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BFH 03.09.2015 - VI R 1/14
BFH 03.09.2015 - VI R 1/14 - Einkommensteuernachzahlung bei Nettolohnvereinbarung
Normen
§ 11 Abs 1 S 4 EStG 2002, § 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 38a Abs 1 S 3 EStG 2002, EStG VZ 2008
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 3. Dezember 2013, Az: 13 K 2184/12 E, Urteil
Leitsatz
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1. Leistet der Arbeitgeber bei einer Nettolohnvereinbarung für den Arbeitnehmer eine Einkommensteuernachzahlung für einen vorangegangenen Veranlagungszeitraum, wendet er dem Arbeitnehmer Arbeitslohn zu, der dem Arbeitnehmer als sonstiger Bezug im Zeitpunkt der Zahlung zufließt.
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2. Der in der Tilgung der persönlichen Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber liegende Vorteil unterliegt der Einkommensteuer. Er ist deshalb auf einen Bruttobetrag hochzurechnen.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2013 13 K 2184/12 E aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind japanische Staatsangehörige. Sie wurden für das Streitjahr (2008) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Der Kläger war aufgrund einer Entsendungsvereinbarung seit dem Jahr 2004 als Angestellter für die ... (Arbeitgeberin) im Inland tätig. Die Arbeitgeberin zahlte dem Kläger nach Maßgabe einer Nettolohnvereinbarung den vereinbarten Nettolohn und übernahm die auf den Nettolohn entfallenden Steuern. Kam es im Rahmen von Einkommensteuerveranlagungen der Kläger zur Erstattung von Einkommensteuer, führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Erstattungsbeträge an die Arbeitgeberin ab. Kam es hingegen zur Nachzahlung von Einkommensteuer, zahlte die Arbeitgeberin die Nachzahlungsbeträge an das FA.
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Für das Streitjahr erklärte der Kläger einen Bruttoarbeitslohn laut Lohnsteuerkarte in Höhe von 280.057 € und steuerpflichtigen Arbeitslohn, von dem kein Steuerabzug vorgenommen worden war, in Höhe von - 21.705 €. Der letztgenannte Betrag setzte sich aus Einkommensteuererstattungen für die Jahre 2005 bis 2007 in Höhe von 22.924,89 € und einer von der Arbeitgeberin an das FA im Streitjahr gezahlten Einkommensteuernachzahlung für 2004 in Höhe von 1.219,58 € zusammen.
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Das FA rechnete die Einkommensteuernachzahlung für 2004 auf einen Bruttobetrag von 2.189 € hoch und setzte die Einkommensteuer der Kläger dementsprechend unter Berücksichtigung eines Bruttoarbeitslohns des Klägers von 259.321 € (280.057 € - 22.924,89 € + 2.189 €) fest.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 268 veröffentlichten Gründen statt. Die Einkommensteuernachzahlung für 2004 erhöhe den Arbeitslohn des Klägers nur um den von der Arbeitgeberin gezahlten Betrag von 1.219,58 €. Das FA habe diesen Betrag zu Unrecht auf einen Bruttolohn hochgerechnet. Bei einer Nettolohnvereinbarung sei es nicht zulässig, auf die vom Arbeitgeber getragene Lohnsteuer nochmals eine Steuer zu berechnen, da diese bereits Teil des Bruttolohns sei.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 3. Dezember 2013 13 K 2184/12 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass es sich bei der von der Arbeitgeberin im Streitjahr geleisteten Nachzahlung zur Einkommensteuer der Kläger für 2004 nicht um steuerpflichtigen Nettoarbeitslohn handelte, der auf einen Bruttolohn hochzurechnen war.
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1. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sämtliche Bezüge und Vorteile, die dem Arbeitnehmer für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Für die Qualifizierung eines Vorteils als Arbeitslohn ist nach ständiger Rechtsprechung maßgebend, ob der Vorteil durch das individuelle Arbeitsverhältnis veranlasst ist, insbesondere ob ihm Entlohnungscharakter zukommt (z.B. Senatsurteile vom 30. Juni 2011 VI R 80/10, BFHE 234, 195, BStBl II 2011, 948, und vom 20. Mai 2010 VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl II 2010, 1069; Schmidt/Krüger, EStG, 34. Aufl., § 19 Rz 40, m.w.N.). Dieser Arbeitslohnbegriff ist auch im Fall einer Nettolohnvereinbarung zugrunde zu legen (z.B. Senatsurteile vom 21. Januar 2010 VI R 2/08, BFHE 228, 80, BStBl II 2010, 639, und vom 29. Oktober 1993 VI R 4/87, BFHE 172, 467, BStBl II 1994, 194).
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Unter einer Nettolohnvereinbarung ist eine Abrede zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses des Inhalts zu verstehen, dass der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt als Nettolohn zahlt, der Arbeitnehmer also den als Nettolohn vereinbarten Betrag ungekürzt durch sämtliche oder bestimmte gesetzliche Abgaben erhält, während sich der Arbeitgeber verpflichtet, die Beträge für den Arbeitnehmer zu tragen (Senatsurteil vom 28. Februar 1992 VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733; Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2013 VI B 144/12, BFH/NV 2014, 181; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 39b Rz 12; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 39b Rz 16; Blümich/Thürmer, § 39b EStG Rz 131).
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Bei der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers führt die Nettolohnvereinbarung insbesondere dazu, dass bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben dem Nettolohn diejenigen Vorteile zu erfassen sind, die in der Übernahme von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber liegen (Senatsurteile vom 26. Februar 1982 VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403; vom 22. Juni 1990 VI R 162/86, BFH/NV 1991, 156, und in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733). Deshalb hat der Arbeitnehmer in seiner Steuererklärung nicht lediglich den Nettolohn, sondern den durch Hochrechnung ermittelten Bruttolohn zu deklarieren. Denn der Arbeitnehmer bleibt auch bei Abschluss einer Nettolohnvereinbarung Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) und seiner persönlichen Einkommensteuer (Schmidt/Krüger, a.a.O., § 39b Rz 13; Pflüger in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 19 Rz 106).
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Einnahmen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit unterliegen im Zeitpunkt ihres Zuflusses (§ 11 EStG) der Einkommensteuer, wobei gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG die Vorschriften der §§ 38a Abs. 1 Sätze 2 und 3, 40 Abs. 3 Satz 2 EStG gelten. Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird hiernach in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt (§ 11 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG).
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2. Nach diesen Maßstäben hat das FA die im Streitjahr geleistete Zahlung der Arbeitgeberin auf die Einkommensteuerschuld der Kläger für 2004 zu Recht als im Streitjahr zugeflossenen Arbeitslohn (sonstigen Bezug) behandelt und diesen Bezug im Hinblick auf die zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberin bestehende Nettolohnvereinbarung auf einen Bruttobetrag hochgerechnet.
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a) Die Übernahme der persönlichen Einkommensteuernachzahlung, die darauf beruhte, dass der Kläger im Jahr 2004 in Japan weitere, zuvor nicht erklärte, dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einkünfte erzielt hatte, stellt Arbeitslohn dar. Dieser Arbeitslohn floss dem Kläger erst mit der Nachzahlung der Einkommensteuer für 2004 durch die Arbeitgeberin im Streitjahr zu, wie das FG zutreffend erkannt hat. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten --zu Recht-- auch kein Streit.
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b) Mit der Übernahme der vorgenannten persönlichen Einkommensteuerschuld in Höhe von 1.219 € hat die Arbeitgeberin dem Kläger Arbeitslohn zugewandt. Denn sie hat, durch das Arbeitsverhältnis des Klägers veranlasst, eine private Schuld des Klägers beglichen. Dieser in der Tilgung einer privaten Schuld liegende Vorteil in Höhe von 1.219 € unterliegt damit seinerseits der Einkommensteuer. Er ist deshalb --entgegen der Auffassung der Vorinstanz-- auf einen Bruttobetrag hochzurechnen.
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Nichts anderes ergibt sich daraus, dass es sich bei der privaten Schuld, die die Arbeitgeberin des Klägers im Streitfall getilgt hat, um eine Einkommensteuerschuld handelte. Auch insoweit hat die Hochrechnung auf einen Bruttobetrag nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen. Denn dies entspricht dem Regelfall bei der Nettolohnvereinbarung, die nämlich dazu führt, dass im wirtschaftlichen Ergebnis Einkommensteuer auf Einkommensteuer zu entrichten ist (Senatsurteil in BFHE 172, 467, BStBl II 1994, 194). Auch die vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer übernommene Lohn- bzw. Einkommensteuer ist bei einer Nettolohnvereinbarung ihrerseits Teil des Arbeitslohns. Der Arbeitnehmer ist durch die Übernahme seiner persönlichen Lohn- bzw. Einkommensteuer durch den Arbeitgeber bereichert; er erhält einen durch das Arbeitsverhältnis veranlassten Vorteil.
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c) An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts dadurch, dass durch die Nachzahlung im Streitjahr eine Einkommensteuererstattung für 2004, die im Jahr 2006 erfolgte, teilweise rückgängig gemacht wurde. Denn die Einkommensteuererstattung für 2004, bei der es sich um die Rückzahlung überzahlten Arbeitslohns handelte (dazu Senatsurteil vom 30. Juli 2009 VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148), und die in der Übernahme der persönlichen Einkommensteuerschuld liegende Lohnzahlung im Streitjahr sind verschiedene Zahlungsvorgänge, die daher auch getrennt nach den jeweils dafür geltenden Maßstäben zu beurteilen sind. Zwischen Einnahmen und Ausgaben (negativen Einnahmen) gibt es kein generelles Korrespondenzprinzip; eine Gesamtbetrachtung ist im Einkommensteuergesetz im Allgemeinen und zur Beurteilung von Arbeitslohn im Besonderen nicht möglich (Senatsurteil vom 13. Januar 2011 VI R 63/09, BFH/NV 2011, 743, Rz 23; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 11 Rz 9). Die Rückzahlung überzahlten Arbeitslohns ist kein mit der Lohnzahlung vergleichbarer Sachverhalt.
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d) Die Hochrechnung der Einkommensteuernachzahlung auf einen Bruttolohn führt auch nicht dazu, dass die Arbeitgeberin dem Kläger einen höheren Arbeitslohn als vertraglich geschuldet zuwendet. Aufgrund der Nettolohnvereinbarung war die Arbeitgeberin gegenüber dem Kläger zu einer ungekürzten Auszahlung des gleichbleibenden Monatsnettolohns verpflichtet. Gesetzliche Abgaben, insbesondere die persönliche Einkommensteuer des Arbeitnehmers, sollen bei einer Nettolohnvereinbarung --grundsätzlich unabhängig von ihrer Höhe-- nicht zu Lasten des Arbeitnehmers, sondern insgesamt zu Lasten des Arbeitgebers gehen (Senatsurteile vom 6. Dezember 1991 VI R 122/89, BFHE 166, 540, BStBl II 1992, 441, und in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733; Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 24. Juni 2003 9 AZR 302/02, BAGE 106, 345, 349, m.w.N., und vom 26. August 2009 5 AZR 616/08, juris). Durch die Einkommensteuernachzahlung wird also nicht der laufende Nettoarbeitslohn korrigiert, sondern eine in der Nettolohnvereinbarung strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich geschuldete Gehaltsnachzahlung in einem späteren Veranlagungszeitraum (dem Streitjahr) als sonstiger Bezug geleistet.
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e) Die hiernach gebotene Hochrechnung des Nettoarbeitslohns von 1.219 € auf einen Bruttobetrag ergibt rechnerisch den vom FA in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid angesetzten Betrag von 2.189,60 €. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
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f) Der Arbeitslohn aus der Übernahme der persönlichen Einkommensteuerschuld für 2004 ist dem Kläger als sonstiger Bezug im Zeitpunkt der Tilgung der Steuerschuld durch seine Arbeitgeberin im Streitjahr zugeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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