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BFH 12.06.2015 - III B 81/14
BFH 12.06.2015 - III B 81/14 - Anfechtung der Erklärung über die Rücknahme einer Nichtzulassungsbeschwerde - Unzulässige Beschwerde wegen Nichtzulassung der Beschwerde im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung
Normen
§ 72 Abs 2 S 3 FGO, § 121 FGO, § 579 ZPO, § 580 ZPO, § 128 Abs 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 24. Juli 2014, Az: 8 V 1418/14, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Stellt der BFH das Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision nach Rücknahme der Beschwerde ein, ist das Verfahren fortzusetzen und über die Wirksamkeit der Rücknahme sowie gegebenenfalls über die Sache selbst zu entscheiden, wenn der Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO die Unwirksamkeit der Rücknahme der Beschwerde geltend macht .
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2. NV: Die Rücknahme der Beschwerde kann als Prozesshandlung grundsätzlich weder widerrufen noch in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen angefochten werden .
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3. NV: Erklärt ein rechtskundiger Prozessvertreter die Rücknahme der Beschwerde kommt ein Widerruf der Rücknahme der Beschwerde ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579, 580 ZPO gegeben ist oder die Rücknahme auf einem offenkundigen Versehen beruht .
Tenor
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Das Verfahren wird eingestellt, nachdem der Antragsteller die Beschwerde gegen den Beschluss des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 24. Juli 2014 8 V 1418/14 wirksam zurückgenommen hat (§ 125 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung entsprechend).
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen (§ 143 Abs. 1, § 136 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung).
Tatbestand
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I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wurde im Streitjahr 2006 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) wich von der abgegebenen Einkommensteuererklärung in mehreren Punkten ab und erließ unter dem 16. April 2008 entsprechende Bescheide zur Einkommensteuer 2006 und zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen. Im Rahmen des gegen den Einkommensteuerbescheid geführten Einspruchsverfahrens begehrten der Antragsteller und seine Ehefrau Aussetzung der Vollziehung (AdV) beider Bescheide. Das FA traf über diese Anträge keine Entscheidung.
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Die daraufhin beim Finanzgericht (FG) beantragte AdV der beiden Bescheide hatte keinen Erfolg. Die Beschwerde an den Bundesfinanzhof (BFH) ließ das FG nicht zu.
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Der Antragsteller wendete sich mit der "Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision" gegen den Beschluss des FG. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2014 teilte der Antragsteller mit, dass er die Nichtzulassungsbeschwerde "gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 24. Juli 2014 - 8 V 1418/14" zurücknehme. Zur Begründung führte er aus, dass er die Verlängerung der Begründungsfrist beantragt habe, obwohl damals und bis heute das FG keinen förmlichen Beschluss abgesetzt habe. Der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist sei gegenstandslos.
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Mit Beschluss vom 29. Oktober 2014 stellte der erkennende Senat das Verfahren im Hinblick auf die vom Antragsteller erklärte Rücknahme der Beschwerde ein.
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Mit Schreiben vom 24. November 2014 beantragte der Antragsteller, den Einstellungsbeschluss zurückzunehmen und das Verfahren fortzuführen. Zur Begründung verwies er darauf, dass ein Erklärungsirrtum vorgelegen habe. Ein förmlicher Beschluss des FG habe nicht in dem vorliegenden Verfahren, sondern in einem anderen Verfahren ausgestanden. Der Antragsteller habe insoweit die Aktenzeichen verwechselt.
Entscheidungsgründe
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II. Das Verfahren ist einzustellen, da der Antragsteller eine wirksame Rücknahme seiner Beschwerde erklärt hat (§ 121 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- entsprechend i.V.m. § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO).
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1. Die Rücknahme der Beschwerde war wirksam.
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a) Wird --wie hier-- nach Ergehen eines Einstellungsbeschlusses in der Frist des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO die Unwirksamkeit der Rücknahme des Antrags geltend gemacht, hat das Gericht das Verfahren fortzusetzen und über die Wirksamkeit der Rücknahme sowie gegebenenfalls über die Sache selbst zu entscheiden (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 72 Rz 40).
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b) aa) Die Rücknahme einer Beschwerde ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht --etwa in entsprechender Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung von Willenserklärungen-- angefochten werden (vgl. zur Klagerücknahme z.B. BFH-Urteil vom 26. Oktober 2006 V R 40/05, BFHE 215, 53, BStBl II 2007, 271, m.w.N.).
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Wird --wie hier-- ein rechtskundiger Prozessvertreter tätig, kommt --anknüpfend an die Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO-- ein Widerruf der Rücknahme der Beschwerde ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579, 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben ist oder die Rücknahme auf einem offenkundigen Versehen beruht (BFH-Beschluss vom 12. August 2009 X S 47/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1997; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Rz 30 f.).
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bb) Ein derartiger Ausnahmefall liegt im Streitfall indes nicht vor. Ein Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579 und 580 ZPO ist nicht gegeben. Auch liegt kein offenkundiges Versehen vor. Zwar hat der Antragsteller in seinem Schreiben vom 22. Oktober 2014 auch auf ein anderes Aktenzeichen (8 V 2653/14) des FG Bezug genommen. Nachdem betreffend dieses weiteren Aktenzeichens (8 V 2653/14) kein Verfahren beim BFH anhängig war und der Antragsteller in diesem und weiteren Verfahren auch inhaltliche Verknüpfungen zu anderen Verfahren hergestellt hat, war weder ersichtlich, welche genauen Motive der Beschwerderücknahme zugrunde lagen, noch erkennbar, dass die Rücknahmeerklärung auf einem Versehen beruhen könnte. Es bestand daher kein Anlass von dem Grundsatz abzuweichen, dass Angehörige der steuerberatenden Berufe mit ihren Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen sind (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Juni 2011 V B 24/10, BFH/NV 2011, 1532, m.w.N.).
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2. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die Beschwerde ohnehin unzulässig gewesen wäre.
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Gegen die Entscheidung eines FG über die AdV nach § 69 Abs. 3 und 5 FGO ist die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO nur statthaft, wenn sie vom FG zugelassen worden ist (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. August 2013 III B 49/13, BFH/NV 2013, 1797, m.w.N.). Das FG hat jedoch ausweislich Nr. 3 des Tenors und Abschnitt II.3. der Gründe seiner Entscheidung die Beschwerde ausdrücklich nicht zugelassen. Ebenso sieht die FGO eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Beschwerde bei einer Entscheidung des FG über einen Antrag auf AdV nicht vor (s. im Einzelnen BFH-Beschluss vom 21. November 2006 VI B 80/06, BFH/NV 2007, 478).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 143 Abs. 1, § 136 Abs. 2 FGO.
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