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BFH 15.05.2013 - VI R 33/12
BFH 15.05.2013 - VI R 33/12 - (Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist bei Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG)
Normen
§ 38 AO, § 169 Abs 1 S 1 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 169 Abs 2 S 2 Nr 2 AO, § 170 Abs 1 Alt 1 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO, § 171 Abs 3a AO, § 25 Abs 3 EStG 2002, § 36 Abs 1 EStG 2002, § 44 Abs 1 S 2 EStG 2002, § 44a Abs 1 Nr 2 EStG 2002, § 44a Abs 2 S 1 Nr 2 EStG 2002, § 44a Abs 2 S 2 Nr 2 EStG 2002, § 44a Abs 2 S 4 Nr 2 EStG 2002, § 56 S 1 Nr 1 Buchst a EStDV 2000, § 68 S 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 24. April 2012, Az: 10 K 752/10 E, Urteil
Leitsatz
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Die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG beendet nicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer des Streitjahres 2002 abgelaufen ist.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erteilte den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) im Mai des Streitjahres 2002 für die Jahre 2001 bis 2003 eine Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Der Kläger erhielt im Streitjahr 2002 von seiner ehemaligen Arbeitgeberin einen Betrag von insgesamt 119.065,88 € (= 232.872,62 DM), von dem die Arbeitgeberin keinen Lohnsteuerabzug vornahm.
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Nachdem das FA aufgrund einer Kontrollmitteilung vom 4. Februar 2009 hiervon erfahren und es die Kläger deshalb noch in demselben Jahr vergeblich zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aufgefordert hatte, setzte es gegenüber den Klägern unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen die Einkommensteuer mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 für das Streitjahr 2002 fest. Dabei veranlagte es die Kläger zusammen und ging insbesondere davon aus, dass es sich bei den Zahlungen der Arbeitgeberin um Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit handele. Aufgrund einer Verwechslung von DM- und Euro-Beträgen setzte es insoweit irrtümlich Einnahmen in Höhe von 232.872,62 € statt in Höhe von 119.065,88 € an.
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Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben erfolglos. Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage machten die Kläger geltend, für den Veranlagungszeitraum 2002 sei wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist eine Festsetzung der Einkommensteuer nicht mehr zulässig gewesen. Überdies wandten sie sich gegen die Höhe der vom FA geschätzten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.
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Noch vor Abschluss des Klageverfahrens reichten die Kläger im Jahr 2011 die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2002 ein. In dieser wurden insbesondere Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers in Höhe von 119.065,88 € erklärt. Das FA erließ am 18. Januar 2012 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid.
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Die Klage, mit der die Kläger im Wesentlichen noch den Ablauf der Festsetzungsfrist geltend machten, hat das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1323 veröffentlichten Gründen abgewiesen.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO).
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Sie beantragen sinngemäß,
das Urteil des FG, den Einkommensteueränderungsbescheid für 2002 vom 18. Januar 2012 sowie den Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 23. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. März 2010 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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Zu Recht hat das FG erkannt, dass dem Erlass des Schätzungsbescheids zur Einkommensteuer 2002 sowie des später ergangenen Einkommensteueränderungsbescheids nicht die Festsetzungsverjährung entgegenstand.
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1. Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies ist hier nicht der Fall.
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a) Die Festsetzungsfrist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 1. Alt. AO). Dies wäre der Ablauf des Jahres 2002, nämlich der Ablauf des Jahres der Entstehung des Steueranspruchs (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG).
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b) Allerdings waren die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger wegen der Höhe des dem Kläger zugeflossenen und nicht lohnversteuerten Arbeitslohns zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 2002 verpflichtet (§ 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung).
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aa) Ist eine Steuererklärung einzureichen, beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO vorbehaltlich eines späteren Beginns nach § 170 Abs. 1 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
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Da die streitbefangene Einkommensteuer mit Ablauf des Jahres 2002 entstanden ist und die Kläger erst während des Klageverfahrens im Jahr 2011 eine Einkommensteuererklärung einreichten, begann die Festsetzungsfrist abweichend von § 170 Abs. 1 1. Alt. AO mit Ablauf des Jahres 2005 und endete mithin --bei einer vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO und vorbehaltlich einer Ablaufhemmung nach § 171 AO-- frühestens mit Ablauf des Jahres 2009.
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bb) Die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG beendet im Gegensatz zur Einreichung einer Steuererklärung nicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.
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aaa) § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass die Festsetzungsfrist schon beginnt, bevor die Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren hat. Der Steuerpflichtige soll nicht durch einen Verstoß gegen seine Erklärungspflicht die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Zeit zur Prüfung des Steuerfalls verkürzen können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Januar 2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687, m.w.N.).
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bbb) Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks kann die Erteilung einer Nichtveranlagungs-Bescheinigung (§ 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) nicht an die Stelle einer fehlenden Steuererklärung treten.
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Die zur Abstandnahme vom Steuerabzug bei bestimmten Kapitalerträgen erteilte Nichtveranlagungs-Bescheinigung entfaltet nach § 44a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG ihre Rechtswirkung bei der Entstehung der Kapitalertragsteuer, d.h. bei Zufluss der Kapitalerträge an den Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG). Da der sich auch auf diese Kapitalerträge erstreckende Einkommensteueranspruch erst danach, nämlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG), kann das FA im Zeitpunkt der Erteilung der Nichtveranlagungs-Bescheinigung das Entstehen des Einkommensteueranspruchs nicht verlässlich beurteilt haben.
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Der bereits deswegen lediglich vorläufige Charakter der Nichtveranlagungs-Bescheinigung (vgl. BFH-Urteil vom 16. Oktober 1991 I R 65/90, BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322) folgt zudem daraus, dass diese aufgrund der bloß voraussichtlichen Einkommensverhältnisse gewährt wird (§ 44a Abs. 1 Nr. 2 EStG), nur unter dem Vorbehalt des Widerrufs ausgestellt wird (§ 44a Abs. 2 Satz 2 EStG) und zurückzugeben ist, wenn das FA sie zurückfordert oder der Gläubiger den Wegfall der Voraussetzungen für ihre Erteilung erkennt (§ 44a Abs. 2 Satz 4 EStG).
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cc) Der Schätzungsbescheid zur Einkommensteuer vom 23. Dezember 2009 ist damit innerhalb einer Festsetzungsfrist von vier Jahren ergangen.
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c) Überdies ist der Einkommensteueränderungsbescheid vom 18. Januar 2012 nicht festsetzungsverjährt.
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Denn selbst bei einer Festsetzungsfrist von vier Jahren wäre ihr Ablauf nach § 171 Abs. 3a AO gehemmt. Nach § 171 Abs. 3a Satz 1 AO läuft in dem Fall, dass ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten wird, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist; dies gilt auch, wenn der Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird. Mithin konnte der von den Klägern angegriffene Schätzungsbescheid zur Einkommensteuer während des Klageverfahrens geändert werden.
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d) Da die Festsetzungsfrist damit selbst bei einer nur vierjährigen Festsetzungsfrist gewahrt ist, kann der Senat dahinstehen lassen, ob im Streitfall die Voraussetzungen einer zehnjährigen Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gegeben sind.
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2. Zu Recht streiten die Beteiligten nicht über die materielle Rechtmäßigkeit des Einkommensteueränderungsbescheids vom 18. Januar 2012, der nach § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Der erkennende Senat sieht daher von weiteren Ausführungen ab.
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