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BFH 07.08.2012 - VII B 173/11
BFH 07.08.2012 - VII B 173/11 - Haftung für hinterzogene Milchabgabe
Normen
Art 2 Abs 1 EWGV 3950/92, Art 2 Abs 4 EWGV 3950/92, § 71 AO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 16. August 2011, Az: 7 K 3289/10, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Ein Molkereimitarbeiter, der Milchlieferungen eines Erzeugers unter fremder Erzeugernummer bucht, um über den die verfügbare Referenzmenge überschreitenden Umfang der Milchlieferungen zu täuschen, begeht eine Steuerhinterziehung und haftet für die hinterzogene Milchabgabe. Unionsrechtliche Milchabgabevorschriften stehen der Anwendung national Haftungsnormen nicht entgegen.
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2. NV: Da Milchabgabe wegen Überschreitung der verfügbaren Referenzmenge auch dann geschuldet wird, wenn der betreffende Mitgliedstaat für den jeweiligen Zwölfmonatszeitraum keine Abgabe an die Union abzuführen hat, besteht in einem solchen Fall auch eine Haftungsschuld desjenigen, der an der Hinterziehung der Milchabgabe mitgewirkt hat.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Mitarbeiter einer Molkerei in Hessen, die sowohl von hessischen als auch von thüringischen Milcherzeugern beliefert wurde. Da thüringische Milcherzeuger die ihnen zugeteilten Referenzmengen seinerzeit zum Teil nicht ausnutzten, während hessische Betriebe mehr Milch erzeugten, als sie nach ihren verfügbaren Referenzmengen liefern durften, eine sog. Ost-West-Saldierung jedoch nicht zulässig war, schufen der Kläger und ein anderer Mitarbeiter der Molkerei etwa ab 1995 die Möglichkeit, die in hessischen Betrieben erzeugte Milch auf thüringische Erzeugernummern zu buchen. Nachdem diese Manipulationen aufgedeckt worden waren, wurden die hinterzogenen Milchabgaben der Zwölfmonatszeiträume 1995/1996 bis 1998/1999 gegen die betreffenden Milcherzeuger festgesetzt und gegen den Kläger sowie den anderen Mitarbeiter der Molkerei Haftungsbescheide erlassen. Außerdem wurden beide wegen Steuerhinterziehung strafrechtlich verurteilt.
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Später stellte sich heraus, dass die für den Zwölfmonatszeitraum 1997/1998 erfassten Lieferungen eines hessischen Betriebs nicht dem zunächst in Anspruch genommenen vermeintlichen Inhaber, sondern dessen Vater (L) als Milcherzeuger zuzurechnen waren. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) hob daraufhin den an den Sohn gerichteten Abgabenbescheid auf und nahm mit entsprechend geändertem Haftungsbescheid mit verbundener Zahlungsaufforderung den Kläger auf Zahlung der Milchabgabe in Anspruch, während gegen L wegen des inzwischen über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahrens ein Abgabenbescheid nicht mehr ergehen konnte.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Fortbildung des Rechts sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
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1. Die Frage, ob andere Personen als der jeweilige Milcherzeuger, die an der Hinterziehung von Milchabgaben mitgewirkt haben, als Haftungsschuldner für die hinterzogenen Abgaben herangezogen werden können, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, weil sie nach den maßgebenden Vorschriften eindeutig zu beantworten und zu bejahen ist.
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Wer eine Steuerhinterziehung begeht, haftet nach § 71 der Abgabenordnung (AO) für die verkürzten Steuern. Dass es sich bei der Verschleierung der die verfügbare Referenzmenge überschreitenden Milchlieferungen des L durch Verrechnung dieser Lieferungen mit Referenzmengen anderer Erzeuger um eine Steuerhinterziehung gehandelt hat und der Kläger und der andere Mitarbeiter der Molkerei diese Steuerhinterziehung begangen haben, indem sie Milchlieferungen an die Molkerei unter fremden Erzeugernummern ermöglichten, steht außer Zweifel und wird auch von Seiten der Beschwerde nicht in Abrede gestellt.
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Es besteht auch kein Zweifel, dass neben dem die Abgabe schuldenden Milcherzeuger die gemäß § 71 AO vorgeschriebene Haftung anderer an einer Abgabenhinterziehung mitwirkender Personen für die hinterzogenen Milchabgaben mit den unionsrechtlichen Vorschriften über die Erhebung der Milchabgabe vereinbar ist. Art. 2 Abs. 1 der im Streitfall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 (VO Nr. 3950/92) des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 405/1), dem zufolge die zu erhebende Abgabe auf die Erzeuger zu verteilen ist, die zur Überschreitung der Gesamtreferenzmenge beigetragen haben, regelt, wer Schuldner der Milchabgabe ist, steht aber nicht nationalen Vorschriften entgegen, welche die Heranziehung anderer Personen als Haftende für diese Schuld vorsehen.
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Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Juli 1994 C-352/92 --Milchwerke Köln/Wuppertal-- (Slg. 1994, I-3385), auf das die Beschwerde sich beruft, folgt nichts anderes. Dort heißt es lediglich, die unionsrechtlichen Milchabgabevorschriften sähen nicht vor, dass der Käufer als Abgabenpflichtiger an die Stelle des Erzeugers trete. Hingegen ist nach dieser Entscheidung im Fall der Abgabenhinterziehung die Inanspruchnahme anderer Personen als Haftende aufgrund nationaler Vorschriften nicht nur zulässig, sondern unionsrechtlich sogar geboten, denn die Mitgliedstaaten sind --wie der EuGH ausführt-- verpflichtet, betrügerische Verhaltensweisen wirksam zu bekämpfen und Ansprüche auf Einziehung oder Nacherhebung hinterzogener Steuern oder Abgaben oder auf Schadenersatz auf jede rechtliche Weise geltend zu machen.
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2. Nicht klärungsbedürftig ist auch die weitere seitens der Beschwerde bezeichnete Frage, ob die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner auch im Fall einer Haftung für eine sog. Überschussabgabe i.S. des Art. 2 Abs. 4 VO Nr. 3950/92, die mit keiner Zahlungspflicht des betreffenden Mitgliedstaats gegenüber der Union verbunden ist, mit Unionsrecht vereinbar ist.
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Der beschließende Senat hat bereits entschieden, dass zwischen den von den Mitgliedstaaten erhobenen Milchabgaben und den von ihnen an die Union abzuführenden Beträgen keine strenge Akzessorietät besteht, dass es für die Abgabenpflicht des Milcherzeugers in erster Linie auf die Überschreitung seiner verfügbaren Referenzmenge ankommt und zudem ein Milcherzeuger, der seine die verfügbare Referenzmenge überschreitenden Lieferungen gegenüber der zuständigen Behörde verschleiern konnte, nicht davon profitieren darf, dass die von ihm vorgenommenen Manipulationen erst später nach Haushaltsabschluss aufgedeckt werden (Senatsbeschlüsse vom 25. September 2003 VII B 309/02, BFHE 203, 243, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2004, 17; vom 31. Mai 2006 VII B 48/05, BFHE 213, 459, ZfZ 2006, 373; und vom 30. März 2010 VII B 170/09, BFH/NV 2010, 1669).
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Entspricht es somit den unionsrechtlichen Milchabgabevorschriften, eine hinterzogene Milchabgabe auch dann gegen den Milcherzeuger festzusetzen, wenn die nachträglich festgestellten Mehrlieferungen keinen Einfluss auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat an die Union abzuführende Abgabe haben, so ist nicht erkennbar, weshalb dies hinsichtlich der insoweit akzessorischen Haftungsschuld desjenigen, der an der Hinterziehung der Milchabgabe mitgewirkt hat, anders sein soll.
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3. Die Frage, ob der Hinterzieher der Milchabgabe gemäß § 71 AO für diese auch dann haftet, wenn feststeht, dass bei steuerehrlichem Verhalten des Milcherzeugers keine Abgabenschuld entstanden wäre, ist nicht klärungsfähig. Sie könnte in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht beantwortet werden, weil ihr ein anderer Fall, nicht jedoch der Streitfall zugrunde liegt. Hätte sich nämlich L den Vorschriften gemäß verhalten und nicht die in seinem Betrieb erzeugte Milch unter einer fremden Erzeugernummer an die Molkerei geliefert, so wäre zweifellos eine Abgabenschuld entstanden und wäre Milchabgabe gegen ihn festgesetzt worden, da er --wie das FG festgestellt hat-- in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum über keine Referenzmenge verfügte.
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In Anbetracht der weiteren Beschwerdebegründung soll Hintergrund der seitens der Beschwerde formulierten Frage möglicherweise sein, dass bei steuerehrlichem Verhalten des L dieser nicht in der Lage gewesen wäre, die Abgabenschuld zu begleichen, das HZA also ebenfalls leer ausgegangen wäre. Allerdings ist nicht erkennbar, weshalb in diesem Fall die Inanspruchnahme des Klägers im Wege der Haftung unzulässig sein sollte. Es ist gerade der Sinn der Haftungsvorschriften der AO, neben dem --ggf. zahlungsunfähigen-- Abgabenschuldner andere Personen, die den Schaden des Fiskus mit verursacht haben, zur Zahlung heranziehen zu können. Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließt die Inanspruchnahme eines Haftenden nur dann aus, wenn dessen Verhalten für den Abgabeausfall nicht kausal werden konnte. Das FG hat im Übrigen nicht festgestellt, dass L bereits am Ende des Zwölfmonatszeitraums 1997/1998 zahlungsunfähig war und somit eine gegen ihn für diesen Zwölfmonatszeitraum festgesetzte Milchabgabe nicht hätte entrichten können.
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Wenn die Beschwerde ihre formulierte Rechtsfrage außerdem dahin erläutert, die Molkerei hätte keine Lieferungen von L angenommen, dieser hätte also gar keine Milch vermarkten können, falls er wahrheitsgemäß angegeben hätte, ihr Erzeuger zu sein, so heißt das mit anderen Worten, L hätte bei ehrlichem Verhalten keine Möglichkeit gehabt, Milch zu liefern und auf diese Weise die Milchabgabe zu hinterziehen. Es ist indes nicht nachvollziehbar, woraus sich ergeben soll, dass eine Haftungsinanspruchnahme ausscheidet, wenn ohne den Tatbeitrag des Haftungsschuldners die betreffende Abgabe nicht hätte hinterzogen werden können und folglich ein Abgabeausfall nicht eingetreten wäre, oder warum es bei Marktordnungsabgaben an einem "Vermögensnachteil" des Fiskus fehlen soll, wenn ohne die Hinterziehungstaten eine Abgabe nicht hätte erhoben werden können.
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4. Mangels klärungsbedürftiger bzw. klärungsfähiger Rechtsfragen ist auch der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts nicht gegeben.
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5. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht schlüssig dargelegt.
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