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BFH 27.07.2011 - IV B 131/10
BFH 27.07.2011 - IV B 131/10 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde - Verschulden bei elektronischer Fristenkontrolle
Normen
§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 2 FGO, § 116 Abs 3 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 4 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG München, 26. Oktober 2010, Az: 12 K 3198/08, Urteil
Leitsatz
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NV: Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden. Wird eine elektronische Fristenkontrolle - z.B. im Zuge einer Neuinstallation des Rechners - außer Funktion gesetzt, müssen sie sich entweder selbst rechtzeitig vergewissern, dass die Fristenkontrolle wieder funktioniert, oder die Einhaltung der laufenden Fristen in anderer Form sicherstellen. Es genügt nicht, die erforderliche erneute Aktivierung der elektronischen Fristenüberwachung einem vertrauenswürdigen und ansonsten zuverlässigen Mitarbeiter zu übertragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob am 3. Dezember 2010 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts München, das ihm am 4. November 2010 zugestellt worden war. Am 16. Dezember 2010 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um einen Monat vom 4. Januar 2011 bis zum 4. Februar 2011 zu verlängern. Diesem Antrag entsprach der Vorsitzende des erkennenden Senats, wie die Geschäftsstelle den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 mitteilte. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ging am 18. Februar 2011 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
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Gleichzeitig mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragten die Prozessbevollmächtigten am 18. Februar 2011, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist zu gewähren.
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Sie tragen vor, der Ablauf der Begründungsfrist am 4. Februar 2011 sei ordnungsgemäß in den elektronischen Fristenkalender eingetragen worden. Dieser werde seit Januar 2004 über ein zertifiziertes Datev-Programm geführt, das von X geprüft worden sei und den gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Fristenüberwachung entspreche; es habe bisher ordnungsgemäß funktioniert. Die elektronische Fristenüberwachung sei so eingestellt, dass das Programm sowohl unmittelbar nach dem Starten des Rechners als auch anschließend alle vier Stunden über den aktuellen Fristenstand informiere. An Tagen, an denen keine Fristen abliefen, erfolge keine Meldung durch das Programm.
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Das Sekretariat der Prozessbevollmächtigten lege sämtliche Schreiben, die eine Frist beinhalteten, dem Partner in der Sozietät Herrn Steuerberater A vor. Dieser sei seit Gründung der Kanzlei sowohl für die Kontrolle der Eintragung der Fristen als auch für die Einrichtung von Rechnern und die Installation von Software zuständig.
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Am 3. Februar 2011 abends nach Arbeitsende sei von A und dem Mitarbeiter der Kanzlei B auf den Rechnern der Kanzlei ein neues Betriebssystem (Windows 7) installiert worden. Die Installation des Betriebssystems habe auch die Neuinstallation der Datev-Software erfordert. Da A am nächsten Tag einen Auswärtstermin gehabt habe, habe er noch am Abend des 3. Februar 2011 B beauftragt, die individuellen Datev-Einrichtungen, zu denen auch die Aktivierung der elektronischen Fristenüberwachung gehöre, gleich am Morgen des 4. Februar 2011 zu Arbeitsbeginn wieder herzustellen. Denn diese Einrichtungen seien nur unter dem Datev-Login des jeweiligen Users möglich, dessen Anwesenheit somit erforderlich sei.
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Die Streitsache des Klägers werde von dem Partner in der Sozietät der Prozessbevollmächtigten Herrn Steuerberater C bearbeitet. Dieser habe keine Kenntnis von Ablauf und Auswirkungen der Installationsarbeiten gehabt. Als er seinen Rechner am 4. Februar 2011 morgens eingeschaltet habe, habe sich gezeigt, dass Windows 7 installiert worden sei. Er sei davon ausgegangen, dass damit die Installation abgeschlossen gewesen sei. An diesem Tag habe er keine Fristenmitteilungen über den Rechner erhalten. Dies sei jedoch nicht ungewöhnlich, da er an Tagen, an denen keine Fristen abliefen, ohnehin keine Mitteilungen erhalte. Erst als C am 7. Februar 2011, am zweiten Tag in Folge, wieder keine Fristenmitteilung erhalten habe, habe er sich gewundert und A gefragt, ob es gegebenenfalls Probleme mit der Fristenbenachrichtigung geben könne. Daraufhin habe der hinzugerufene B mitgeteilt, dass er es versäumt habe, die individuellen Datev-Einrichtungen am Rechner des C vorzunehmen. Das sei umgehend nachgeholt worden, wobei auch die am 4. Februar 2011 abgelaufene Begründungsfrist angezeigt worden sei.
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B sei seit 2001 Steuerfachangestellter und arbeite in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten seit März 2003. Neben seiner steuerrechtlichen Tätigkeit richte B von Beginn an zusammen mit A Rechner ein und installiere Software. Er arbeite stets zuverlässig und habe sich seit Beginn seiner Tätigkeit für die Prozessbevollmächtigten keine Verfehlungen zu Schulden kommen lassen. Unregelmäßigkeiten seien nicht bekannt. Deshalb habe A davon ausgehen dürfen, dass B seinem Auftrag vom 3. Februar 2011 nachkomme, die Datev-Einrichtungen am Rechner des C und damit auch die Aktivierung der elektronischen Fristenkontrolle vorzunehmen.
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Die Revision sei --wie weiter ausgeführt wird-- wegen Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des BFH sowie wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
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Der Kläger beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren und die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
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Es macht u.a. geltend, der Computer sei im vorliegenden Fall nicht spontan "abgestürzt", vielmehr sei vorhersehbar gewesen, dass ein neues Betriebssystem installiert werden würde. Als Vorsichtsmaßnahme hätten folglich die in diesem Zeitraum abgelaufenen Fristen mithilfe eines Ausdrucks kontrolliert werden müssen. Der BFH habe entschieden, dass es ein anwaltliches Organisationsverschulden darstelle, wenn bei einem Rechtsanwalt, der einen elektronischen Fristenkalender führe, die Eingaben in den EDV-Kalender nicht jeweils mithilfe eines Ausdrucks kontrolliert würden (BFH-Beschluss vom 6. August 2001 II R 77/99, BFH/NV 2002, 44).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet wurde.
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1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist eine Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Frist kann nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
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2. Vorliegend ist die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde verspätet beim BFH eingegangen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Das angefochtene Urteil wurde am 4. November 2010 zugestellt. Die vom Vorsitzenden verlängerte Begründungsfrist ist am 4. Februar 2011 abgelaufen. Die Begründung ist jedoch erst am 18. Februar 2011 eingegangen.
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3. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Begründungsfrist war nicht zu gewähren.
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a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zu seiner Begründung sind glaubhaft zu machen und die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 56 Abs. 2 FGO). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zuzurechnen.
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b) Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden (u.a. BFH-Beschluss vom 21. Januar 2003 X B 118/02, BFH/NV 2003, 645). Wird das Verfahren der Fristenkontrolle geändert und/oder zeitweise außer Kraft gesetzt, muss deshalb durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Fristen eingehalten werden. Dem entsprechend hat der BFH entschieden, dass ein Wechsel in der Person des mit der Fristenkontrolle betrauten Büropersonals eine besondere Sorgfalt und Kontrolle der im Zeitpunkt des Wechsels laufenden Fristen durch den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe selbst erfordert (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 645, und vom 13. Juli 1989 VIII R 55/88, BFH/NV 1990, 248).
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c) Bei einer elektronischen Fristenkontrolle können keine geringeren Anforderungen gelten (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 12. Oktober 1998 II ZB 11/98, Deutsches Steuerrecht 1999, 251). Wird die elektronische Fristenkontrolle --wie z.B. im Streitfall im Zuge einer Neuinstallation des Rechners-- außer Funktion gesetzt, muss sich der Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe entweder selbst rechtzeitig vergewissern, dass die Fristenkontrolle wieder funktioniert, oder die Einhaltung der laufenden Fristen in anderer Form sicherstellen (zu den Sorgfaltspflichten bei elektronischer Fristenkontrolle s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 44; BGH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 II ZB 33/04, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Zivilrecht 2006, 500).
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d) Im Streitfall war zwar der Prozessbevollmächtigte A über die im Zuge der Installation des neuen Betriebssystems unvermeidliche Neuinstallation (auch) des elektronischen Fristenkontrollprogramms informiert. Er hat diese jedoch weder selbst überwacht noch sichergestellt, dass der mit der Bearbeitung des Streitfalls befasste Prozessbevollmächtigte C die erforderliche Kontrolle vornahm oder zumindest (rechtzeitig) in anderer Form über den Fristablauf informiert wurde. Dass die erforderliche erneute Aktivierung der elektronischen Fristenüberwachung auf dem Rechner des Prozessbevollmächtigten C einem vertrauenswürdigen und ansonsten zuverlässigen Mitarbeiter übertragen worden war, genügt nicht. Das Verschulden des A ist dem Kläger zuzurechnen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht zu gewähren.
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