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BFH 27.01.2011 - III R 65/09
BFH 27.01.2011 - III R 65/09 - Auslegung eines Klagebegehrens als Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage
Normen
§ 67 FGO, § 96 Abs 1 S 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 23. April 2008, Az: 2 K 3622/07, Urteil
Leitsatz
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NV: Die Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Festsetzung von Kindergeld für einen unbestimmten Zeitraum abgelehnt wird, ist eine Verpflichtungsklage. Wendet sich ein Kläger in der Klageschrift gegen einen solchen Bescheid, so ist sein Klagebegehren als Verpflichtungsantrag zu beurteilen .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte im Februar 2007 für seine Tochter Kindergeld. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. Mai 2007 ab, weil nach ihrer Ansicht die Einkünfte und Bezüge der Tochter den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes überschritten. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, die am 20. Dezember 2007 beim Finanzgericht (FG) einging. Zunächst beantragte sein Prozessbevollmächtigter, den Ablehnungsbescheid aufzuheben. Mit Schreiben vom 24. Januar 2008 bat der zuständige Berichterstatter, das Rechtsschutzinteresse an einer isolierten Anfechtung des Ablehnungsbescheids darzulegen. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass eine Umstellung des Anfechtungs- auf ein Verpflichtungsbegehren nicht in Betracht komme, weil dies bei fristgebundenen Klagen nur innerhalb der Klagefrist möglich sei. Der Prozessvertreter des Klägers stellte daraufhin den Klageantrag um, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2009, in der er nach entsprechendem richterlichen Hinweis beantragte, die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld ab dem Jahr 2005 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe innerhalb der Klagefrist eine Anfechtungsklage erhoben. Diese sei unzulässig, weil effektiver Rechtsschutz nur durch Erhebung einer Verpflichtungsklage hätte erreicht werden können. Bei der Anfechtung eines ablehnenden Verwaltungsakts bedürfe es der Darlegung eines Interesses des Klägers, weshalb er sich mit der Aufhebung des Ablehnungsbescheids begnügen wolle. Ein derartiges Rechtsschutzinteresse habe der Kläger nicht dargetan. Einen ausdrücklichen Verpflichtungsantrag habe er erst nach richterlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung gestellt. Aber auch dann, wenn man sein Vorbringen dahin auslege, dass er neben der Kassation des Ablehnungsbescheids auch die Verpflichtung zum Erlass eines Festsetzungsbescheids begehrt habe, so sei dies erstmals mit dem am 4. Januar 2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz zum Ausdruck gekommen. Die damit einhergehende Klageänderung sei unzulässig, sie wäre nur innerhalb der Klagefrist möglich gewesen.
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Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Es hätte die Klage in diejenige Klageart umdeuten müssen, die dem Klageziel entspreche, somit in eine Verpflichtungsklage.
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Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
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Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Der Kläger habe in der Klageschrift ausdrücklich die Aufhebung des Ablehnungsbescheids beantragt. Sein Schreiben vom 3. Januar 2008 habe erstmals eine Auslegung des Klagebegehrens über eine Anfechtung hinaus ermöglicht, die damit einhergehende Klageänderung sei jedoch nach § 67 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässig.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat das Klagebegehren zu Unrecht als Anfechtungsklage beurteilt, die erst verspätet zu einer Verpflichtungsklage umformuliert worden sei. Es hat damit rechtsfehlerhaft ein Prozessurteil erlassen.
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1. Zwar hat das FG zutreffend entschieden, dass in einem Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit eines Bescheids geht, durch den ein Antrag auf Gewährung von Kindergeld für einen unbestimmten Zeitraum abgelehnt wird, die Verpflichtungsklage und nicht die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist (Senatsurteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184). Es hat jedoch zu Unrecht den Klageantrag des Klägers nicht als Verpflichtungsantrag behandelt.
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2. Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrages nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH- vom 12. Juni 1997 I R 70/96, BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, m.w.N.). Dies ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich und geboten. Das Wesen der Klage wird nicht durch den Klageantrag bestimmt, sondern durch den begehrten richterlichen Ausspruch. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteil vom 29. April 2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, m.w.N.). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung (BFH-Beschluss vom 22. Juni 2010 VIII B 12/10, BFH/NV 2010, 1846).
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3. Bei Anwendung dieser Grundsätze war das Klagebegehren von Anfang an als Verpflichtungsantrag zu beurteilen. Der Kläger wendet sich in der Klageschrift gegen den Bescheid der Familienkasse vom 23. Mai 2007 sowie gegen die dazu ergangene Einspruchsentscheidung, durch die die Familienkasse abschlägig über seinen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld entschieden hat. Sein Begehren ist darauf gerichtet, Kindergeld zu erhalten. Die isolierte Aufhebung des Ablehnungsbescheids führt nicht zu diesem Klageziel. Der Interessenlage des Klägers entspricht vielmehr der Antrag, die Familienkasse zur Zahlung von Kindergeld zu verpflichten. Der Klageantrag ist deshalb als Verpflichtungsbegehren zu behandeln. Die Frage einer (verspäteten) Klageänderung stellt sich nicht.
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4. Das FG hat hiernach rechtsfehlerhaft ein Prozessurteil erlassen. Die Sache ist nicht spruchreif und wird an das FG zurückverwiesen.
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