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BVerfG 09.12.2024 - 1 BvR 839/24
BVerfG 09.12.2024 - 1 BvR 839/24 - Erfolglose Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen § 126 Abs 1b SGB V (RIS: SGB 5; Ausnahme für Apotheken von der Präqualifizierungspflicht nach § 126 Abs 1 S 2, Abs 1a S 2 Halbs 1 SGB 5) - Unzulässigkeit insb mangels Darlegung der Beschwerdebefugnis
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 2 Nr 4c ALBVVG, § 126 Abs 1a S 2 Halbs 1 SGB 5, § 126 Abs 1b SGB 5, § 126 Abs 1 S 2 SGB 5
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin ist Mutter-Konzern eines mittelständischen Sanitätshaus-Konzerns. Ein wesentlicher Teil der Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin umfasst die Herstellung, Abgabe und Anpassung von Hilfsmitteln und deren Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungen. Dabei ist sie an § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V gebunden, nach dessen Absatz 1 Vertragspartner der Krankenkassen nur Leistungserbringer sein können, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Nach § 126 Abs. 1a Satz 2 Halbsatz 1 SGB V haben diese Leistungserbringer ihre Eignung durch das Zertifikat einer Präqualifizierungsstelle nachzuweisen, das auf höchsten fünf Jahre befristet ist. Leistungserbringer, die nur in Einzelfällen auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 3 SGB V an der Versorgung der Versicherten beteiligt sind, können ihre Eignung auch unmittelbar gegenüber der Krankenkasse nachweisen (vgl. § 126 Abs. 1a Satz 1 Halbsatz 2 SGB V).
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II.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen § 126 Abs. 1b SGB V und rügt eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
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§ 126 Abs. 1b SGB V befreit Apotheken von der Vorlage eines Zertifikats der Präqualifizierungsstelle zum Nachweis der Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V für apothekenübliche Hilfsmittel. § 126 Abs. 1b SGB V wurde durch Art. 2 Nr. 4c des Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) eingefügt (vgl. BGBl 2023 I Nr. 197, S. 5) und ist seit dem 27. Juli 2023 in Kraft (vgl. Art. 8 Abs. 1 ALBVVG). Die Definition apothekenüblicher Hilfsmittel ergibt sich - wie von § 126 Abs. 1b Satz 2 SGB V vorausgesetzt - aus einer Vereinbarung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V.
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Die Vorschrift soll der Entbürokratisierung durch die Vermeidung einer Doppelprüfung dienen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers besitze das Personal in öffentlichen Apotheken die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten im Umgang mit Hilfsmitteln. Es bestehe nach der Apothekenordnung eine bundesrechtliche Verpflichtung zur Vorhaltung geeigneter Räumlichkeiten und Personal zur Versorgung und Beratung von Patientinnen und Patienten, unter anderem über den Umgang mit Medizinprodukten, zu denen auch Hilfsmittel gehörten. Die Ausbildungen von Apothekerinnen und Apothekern sowie pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) seien umfangreich und jeweils auf Bundesebene einheitlich geregelt. Umfasst sei von der Ausbildung auch die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Umgang mit Medizinprodukten (vgl. BTDrucks 20/7397, S. 58 f.).
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Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Zwischen der Gruppe der Apotheken (§ 126 Abs. 1b SGB V) und der Gruppe der Hilfsmittelerbringer (§ 126 Abs. 1a SGB V) bestünden keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten, weil sich die Unterschiede auf die erlernten Berufe beschränkten.
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Dadurch, dass Apotheken von der Präqualifizierungspflicht ausgenommen würden, andere Berufsgruppen jedoch nicht, liege ein Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung vor, der mangels Vorliegens vernünftiger Gründe des Allgemeinwohls nicht gerechtfertigt sei. Die Einschätzung des Gesetzgebers, das Personal in öffentlichen Apotheken verfüge über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten im Umgang mit Hilfsmitteln, treffe nicht zu. Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit Medizinprodukten seien in der Ausbildung für Berufe in einer Apotheke nur in sehr eingeschränktem Umfang angelegt. Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit Hilfsmitteln im Übrigen würden dagegen überhaupt nicht vermittelt. Apothekerinnen und Apotheker sowie PTA seien, was Medizinprodukte angehe, Generalisten.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist mangels des Vorliegens eines Annahmegrundes nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat insbesondere ihre Beschwerdebefugnis nicht in einer den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise dargelegt.
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1. Eine hinreichende Substantiierung setzt voraus, dass sowohl die Möglichkeit der eigenen, unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit als auch die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt wird (vgl. BVerfGE 159, 355 375 Rn. 25>). Zu den aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde gehört, das als verletzt behauptete Recht zu bezeichnen und den seine Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und konkret bezogen auf die eigene Situation darzulegen (vgl. BVerfGE 81, 208 214>; 99, 84 87>; 159, 223 270 Rn. 89>; stRspr). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein sollen (vgl. BVerfGE 130, 1 21>; 149, 86 108 f. Rn. 61>; 159, 223 270 Rn. 89>; jeweils m.w.N.).
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2. Die Beschwerdeführerin hat nicht hinreichend dargelegt, von der angegriffenen Vorschrift selbst betroffen zu sein. Sie gehört nicht zum Adressatenkreis der angegriffenen gesetzlichen Regelung. Zwar kann eine beschwerdebefugte Person grundsätzlich auch gegen eine gesetzliche Regelung, deren Adressatin sie nicht ist, Verfassungsbeschwerde erheben. Das setzt jedoch voraus, dass sie materiell betroffen ist. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn sie vom Anwendungsbereich der Vorschrift unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz ausgenommen ist (vgl. BVerfGE 29, 268 273>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Januar 2011 - 2 BvR 94/11 -, Rn. 4).
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a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 17>; 126, 400 416>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2016 - 1 BvR 1089/12 u.a. -, Rn. 65). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung dem einen Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 431>; 121, 108 119>; 121, 317 370>; 126, 400 416>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2016 - 1 BvR 1089/12 u.a. -, Rn. 65). Differenzierungen sind möglich, wenn sie durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind, gerechtfertigt sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfGE 138, 136 180 Rn. 121>; 139, 285 309 Rn. 70>; 148, 147 183 f. Rn. 94>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 21. November 2023 - 1 BvL 6/21 -, Rn. 174; stRspr).
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Der beschwerdeführenden Person obliegt es, bei der Rüge eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darzulegen, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine Ungleichbehandlung bestehen soll (vgl. BVerfGK 16, 245 248>; 18, 328 332 f.>) und inwieweit es sich bei den von ihr gebildeten Vergleichsgruppen um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handelt (vgl. BVerfGE 130, 151 174 f.>). Außerdem muss sie sich mit naheliegenden Gründen für eine Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen auseinandersetzen (vgl. BVerfGK 18, 328 332 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2016 - 1 BvR 1089/12 u.a. -, Rn. 66 m.w.N.).
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b) Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, dass es sich bei der Gruppe der Apotheken und der Gruppe, der "die anderen Berufsgruppen der Hilfsmittelerbringer angehören", um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte handelt (vgl. BVerfGE 130, 151 174 f.>). Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die für Apotheken geschaffene Ausnahmeregelung des § 126 Abs. 1b SGB V in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG einem erhöhten Rechtfertigungsbedarf unterliegt, weil auch für andere Hilfsmittellieferanten berufsrechtliche Vorgaben gelten, ohne dass das Präqualifizierungserfordernis formal auf nicht schon anderweitig geregelte Qualifikationsmerkmale beschränkt wäre (vgl. Schneider, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 126 Rn. 13.1 <Sep. 2024>). Ausführungen dazu, aus welchen berufsrechtlichen Vorgaben "der anderen Berufsgruppen der Hilfsmittelerbringer" sich ergibt, dass diese, wie die Apotheken, entsprechende Räumlichkeiten vorhalten müssen und das Personal die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten im Umgang mit Hilfsmitteln hat, lässt die Verfassungsbeschwerde vermissen. Vielmehr beschränkt sich der Vortrag der Beschwerdeführerin darauf, dass keine wägbaren Unterschiede zwischen den Apotheken und anderen Hilfsmittelerbringern bestünden und warum nach ihrer Ansicht die Einschätzung des Gesetzgebers, dass das Personal in öffentlichen Apotheken die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten im Umgang mit Hilfsmitteln besitze, nicht zutreffe.
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3. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG rügt, genügt die Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
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a) Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schützt grundsätzlich nicht vor Veränderungen der Marktdaten und Rahmenbedingungen unternehmerischer Entscheidungen. In der bestehenden Wirtschaftsordnung umschließt das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG das berufsbezogene Verhalten der Unternehmen am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs. Marktteilnehmer haben aber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch die erzielbaren Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Verhältnissen am Markt und damit nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen (vgl. BVerfGE 105, 252 265>; 106, 275 298 f.>; 110, 274 288>; 158, 1 29 Rn. 51> - Ökotox-Daten). Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist jedoch dann berührt, wenn Normen, die zwar die Berufstätigkeit selbst unberührt lassen, aber Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern, infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (BVerfGE 110, 274 288>; vgl. auch BVerfGE 13, 181 186>; 37, 1 18>; 95, 267 302>; 98, 218 258>). Das kann bei staatlicher Planung und Subventionierung mit berufsregelnder Tendenz möglich sein, sofern von der staatlichen Maßnahme Erfasste einem erheblichen Konkurrenznachteil ausgesetzt sind (vgl. BVerfGE 82, 209 223 f.> zum Krankenhausfinanzierungsgesetz).
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b) Einen derartig engen Zusammenhang zwischen der fehlenden Präqualifizierungspflicht für Apotheken und ihrer eigenen Berufstätigkeit hat die Beschwerdeführerin nicht ausreichend dargelegt. Sie führt zwar knapp aus, dass das Präqualifizierungsverfahren als Voraussetzung des Vertragsschlusses nach § 127 SGB V den Marktzugang der Hersteller steuere. Da die Beschwerdeführerin nicht vom Adressatenkreis der angegriffenen Vorschrift erfasst wird, mithin für sie eine Verpflichtung zur Nutzung des Präqualifizierungsverfahrens des § 126 Abs. 1a SGB V auch für apothekenübliche Hilfsmittel besteht, läge ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit aber nur dann nahe, wenn dadurch ihre Wettbewerbschancen spezifisch erheblich beeinträchtigt würden. Hierzu fehlt es an hinreichendem Vortrag. Es hätte zunächst einer genauen Darlegung bedurft, inwieweit die Situation der Apotheken mit der Situation der Beschwerdeführerin vergleichbar oder so verbunden ist, dass eine auf Apotheken bezogene Regelung einen spezifischen Einfluss auf ihre Berufsausübung hat.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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