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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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Ziff. 9.4. RS 2018/03
Ziff. 9.4. RS 2018/03, Hinreichende Gründe
(1) Damit die Krankenkassen ihrer Pflicht zur zügigen Leistungsentscheidung nachkommen können, sind umgekehrt Leistungsberechtigte oder Dritte (z. B. Leistungserbringer) zur Mitwirkung angehalten. Hinreichende Gründe für eine verzögerte Leistungsentscheidung können danach insbesondere sein,
- - fehlende oder ergänzungsbedürftige Angaben von Tatsachen durch Leistungsberechtigte oder Dritte (z. B. Leistungserbringer), die für die Leistungsentscheidung erheblich sind (z. B. in Form von fehlenden aussagekräftigen Unterlagen des Leistungserbringers),
- - die fehlende oder mangelhafte Mitwirkung des Leistungsberechtigten bei erforderlicher körperlicher Befunderhebung durch den Gutachter (z. B. Absagen eines Termins zur körperlichen Untersuchung durch die Leistungsberechtigten, wenn dadurch eine rechtzeitige Befunderhebung nicht mehr möglich ist bzw. die für eine erforderliche körperliche Untersuchung erforderlichen Unterlagen werden nicht zur Begutachtung mitgebracht oder sind nicht aussagekräftig),
- - Verzögerungen, die bei notwendiger Mitwirkung der Leistungsberechtigten von ihnen zu verantworten sind (z. B. angebotene frühzeitige Termine für körperliche Befunderhebung können von den Versicherten nicht wahrgenommen werden),
- - die fehlende Zustimmung der Leistungsberechtigten zur Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte auf Verlangen der Krankenkasse,
- - bei einem Persönlichen Budget die Durchführung eines Bedarfsfeststellungsverfahrens und die Verhandlungen zur Zielvereinbarung.
(2) Die Abforderung der erforderlichen Informationen kann — sofern die Beschaffung durch die Krankenkasse nicht mit geringerem Aufwand verbunden ist — gegenüber den Leistungsberechtigten (vgl. § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 in Verb. mit § 65 Absatz 1 Nummer 3 SGB I) oder gegenüber den Leistungserbringenden (vgl. § 100 SGB X) erfolgen. Bei einer erforderlichen körperlichen Befunderhebung (Untersuchung) hat die Mitwirkung durch die Leistungsberechtigten zu erfolgen (vgl. § 62 SGB I). Wurden Bevollmächtigte für das Verwaltungsverfahren uneingeschränkt bestellt (vgl. § 13 Absatz 1 Satz 1 SGB X), muss die Krankenkasse die Bevollmächtigten über die Abforderung von Informationen von den Leistungsberechtigten bzw. bei Einladung des Leistungsberechtigten zur körperlichen Befunderhebung verständigen (vgl. § 13 Absatz 3 Satz 2 und 3 SGB X). Hierzu genügt es, wenn den Bevollmächtigten z. B. die Kopie einer Abforderung der erforderlichen Informationen bzw. die Einladung zur körperlichen Befunderhebung übersandt wird. Werden die erforderlichen Informationen von Leistungserbringenden benötigt, die zugleich Bevollmächtigte sind, so empfiehlt sich die Abforderung der Informationen unmittelbar von den Leistungserbringenden und die Unterrichtung der Leistungsberechtigten über die entsprechende Abforderung der Informationen.
(3) Die Gründe für die fehlende oder mangelhafte Mitwirkung der Leistungsberechtigten bzw. von Dritten sind ohne Bedeutung. Selbst triftige Gründe, z. B. in Form einer akuten Krankheit der Leistungsberechtigten oder von Dritten, die eine rechtzeitige Übermittlung bislang fehlender oder ergänzender Informationen oder die Durchführung einer körperlichen Untersuchung zum vorgesehenen Termin verhindern, können zu keinem anderen Ergebnis führen, da andernfalls die Krankenkasse ohne Verschulden sanktioniert werden könnte.
(4) Um hinreichende Gründe für eine Überschreitung der jeweils maßgeblichen Frist handelt es sich dann, wenn die für eine Leistungsentscheidung notwendigen Informationen/Tatsachen nicht so rechtzeitig vorliegen oder gewonnen werden (können), dass die Krankenkasse eine Leistungsentscheidung noch bis zum Ablauf der jeweils maßgeblichen Frist — ggf. unter Berücksichtigung einer noch einzuholenden gutachtlichen Stellungnahme oder der Durchführung einer (evtl. notwendigen persönlichen) Befunderhebung (Begutachtung) — treffen und den Leistungsberechtigten zugehen lassen kann. Damit ist nicht bereits jede Anforderung von Angaben oder Unterlagen gegenüber den Leistungsberechtigten oder Dritten ein hinreichender Grund.
(5) Hat die Krankenkasse einen Auftrag zur Erstellung einer gutachtlichen Stellungnahme erteilt und können die MD-Gutachterinnen bzw. Gutachter aufgrund fehlender oder mangelhafter Mitwirkung der Leistungsberechtigten oder von Dritten die gutachtliche Stellungnahme nicht so rechtzeitig erstellen, dass die Krankenkasse noch innerhalb der Frist von 5 bzw. 6 Wochen eine Leistungsentscheidung treffen und den Leistungsberechtigten zugehen lassen kann, haben die MD-Gutachterinnen bzw. Gutachter unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) die Krankenkasse hierüber zu informieren. Damit kann die Krankenkasse die Leistungsberechtigten rechtzeitig über den hinreichenden Grund für eine verzögerte Leistungsentscheidung schriftlich informieren.
(6) Darüber hinaus können hinreichende Gründe allein bereits dann vorliegen, wenn im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung die Einholung eines Obergutachtens oder die Anrufung des Prothetik-Einigungsausschusses erfolgt. Dies gilt gleichermaßen auch für die Einholung eines Obergutachtens bzw. die Anrufung des Prothetik-Einigungsausschusses zu mutmaßlich mangelhaft ausgeführten prothetischen Leistungen im Zusammenhang mit Leistungsanträgen auf eine Neuversorgung. Zwar erfolgt die Einholung eines Obergutachtens bzw. die Anrufung des Prothetik-Einigungsausschusses nicht zur beantragten Neuversorgung sondern zur bereits ausgeführten Leistung. Dennoch liegt auch in diesem Fall ein hinreichender Grund vor, da die Leistungsentscheidung zur beantragten Neuversorgung vom Ausgang der Prüfung abhängt, ob die bereits ausgeführte Leistung mangelhaft ist und demgemäß Gewährleistungsansprüche nach § 136a Absatz 4 Satz 4 SGB V in Bezug auf die bereits erfolgte Versorgung bestehen und somit eine Neuversorgung nicht in Betracht kommen muss. Danach hat die Zahnärztin oder der Zahnarzt für die Versorgung mit Zahnersatz eine 2-jährige — oder aufgrund entsprechender Vereinbarungen der Gesamtvertragspartner auf Landesebene oder zwischen Zahnärztin oder Zahnarzt und Krankenkasse längere — Gewähr zu übernehmen, innerhalb derer [sie oder] er die Erneuerung und Wiederherstellung von Zahnersatz einschließlich Zahnkronen kostenfrei vorzunehmen hat.
(7) Die Einholung eines Obergutachtens bzw. die Anrufung des Prothetik-Einigungsausschusses muss so rechtzeitig nach Vorlage der gutachtlichen Stellungnahme erfolgen, dass die Leistungsberechtigten hierüber noch bis zum Ablauf der Frist von 6 Wochen schriftlich informiert werden kann. Vor diesem Hintergrund können die vertraglichen Regelungen, die nach dem Zugang der Stellungnahme der Gutachterin oder des Gutachters die Beantragung eines Obergutachtens durch die Krankenkasse bzw. die Vertragszahnärztin oder den Vertragszahnarzt vorsehen, bei
- - geplanter Parodontosebehandlung bzw. Therapieergänzung innerhalb von einem Monat (vgl. § 4 Absatz 1 der Anlage 5 BMV-Z),
- - implantologischer Leistung ohne einzuhaltende Frist (vgl. Abschnitt B der Anlage 7 BMV-Z),
- - kieferorthopädischer Behandlung oder einem Verlängerungsantrag innerhalb von einem Monat (vgl. § 4 Absatz 1 der Anlage 4 BMV-Z),
- - geplanter Zahnersatzversorgung innerhalb von einem Monat (vgl. §§ 5 ff. der Anlage 6 BMV-Z),
- - mutmaßlich mangelhaft ausgeführter Zahnersatzversorgung innerhalb von einem Monat (vgl. §§ 5 ff. der Anlage 6 BMV-Z),
(8) Gründe, die hingegen in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fallen, wie z. B. Organisationsmängel oder Arbeitsüberlastung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sind nicht hinreichend. Dies gilt gleichermaßen für Gründe, die in den Verantwortungsbereich des MD bzw. der Gutachterin oder des Gutachters fallen. Daher müssen sowohl Krankenkassen als auch der jeweilige MD bzw. die Gutachterin oder der Gutachter alle in ihren jeweiligen Verantwortungsbereich fallenden Maßnahmen ergreifen, damit eine Leistungsentscheidung zügig, spätestens jedoch innerhalb der Frist von 3, 5 bzw. 6 Wochen erfolgen kann. Die Krankenkassen haben daher unter Berücksichtigung der sehr engen Fristen unverzüglich
- - eingehende Leistungsanträge auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen,
- - die Erforderlichkeit einer gutachtlichen Stellungnahme — ggf. gemeinsam mit dem MD — zu klären und ggf. eine gutachtliche Stellungnahme in Auftrag zu geben sowie
- - ggf. die für eine Leistungsentscheidung bzw. eine in diesem Zusammenhang erforderliche gutachtliche Stellungnahme notwendigen Informationen/Tatsachen abzufordern — soweit nicht der MD die Einholung von Informationen/Tatsachen übernommen hat; für diesen Fall hat der MD die Informationen/Tatsachen unverzüglich abzufordern — und
- - die eingegangenen Informationen/Tatsachen an den MD zu übermitteln.
(9) Unvorhersehbare Ereignisse, wie z. B. das Auftreten einer Epidemie bzw. Pandemie (z. B. Coronavirus/COVID-19) können u. U. einen hinreichenden Grund gemäß § 13 Absatz 3a Satz 5 und 6 SGB V darstellen, da diese nicht dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zugerechnet werden können. Ein hinreichender Grund kann allerdings in diesem Kontext erst dann angenommen werden, wenn die Krankenkassen alle erdenklichen organisatorischen, personellen und technischen Maßnahmen ergriffen haben, um eine zeitnahe Leistungsentscheidung über die von der Genehmigungspflicht umfassten Leistungen für die Versicherten sicherzustellen. Zu diesen Maßnahmen können neben einer Nutzung der vorhandenen Digitalisierungsverfahren, insbesondere auch innerbetriebliche organisatorische Maßnahmen wie z. B. die Arbeitsverlagerung an andere Standorte oder die Einbeziehung fachfremder Arbeitsbereiche gehören.
(10) Sollten auch die MD — trotz aller ergriffen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Begutachtungsverfahrens — aufgrund einer Epidemie bzw. Pandemie nicht mehr in ausreichendem Maße handlungsfähig sein, kann auch dies einen hinreichenden Grund im Sinne des § 13 Absatz 3a Satz 5 und 6 SGB V darstellen.
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