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Ziff. A.2.5.4. RS 2023/04
Ziff. A.2.5.4. RS 2023/04, Besonderheiten für die britischen Staatsangehörigen
(1) Am 1. 2. 2020 ist das Vereinigte Königreich mit einem Austrittsabkommen aus der Europäischen Union ausgetreten. Am 31. 12. 2020 endete der im Austrittsabkommen vereinbarte Übergangszeitraum. In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht war das Vereinigte Königreich bis zum 31. 12. 2020 so zu behandeln, als sei es Mitgliedstaat der Europäischen Union. Seit dem 1. 1. 2021 ist diese Gleichstellung entfallen. Sofern das Austrittsabkommen keine besonderen Regelungen trifft, sind ab dann britische Staatsangehörige Drittstaatsangehörige und somit nach den Regelungen des AufenthG zu behandeln. Hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung zwischen den Sachverhalten im Sinne des Austrittsabkommens einerseits und den Sachverhalten im Sinne des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit andererseits wird auf die Ausführungen in Abschnitt A.2.2.2 verwiesen.
(2) Das Austrittsabkommen folgt dem grundlegenden Konzept, dass die britischen Staatsangehörigen, die im Einklang mit dem Unionsrecht rechtmäßig zum Ende des Übergangszeitraums in Deutschland gewohnt haben, weiterhin in Deutschland leben dürfen. Das Aufenthaltsrecht nach dem Austrittsabkommen können die betroffenen Personen mit dem Aufenthaltsdokument-GB belegen. Die Aufenthaltsrechte nach dem Austrittsabkommen bestehen nur in dem Mitgliedstaat, in dem sie jeweils ausgeübt worden sind. Nicht von Deutschland ausgestellte Aufenthaltsdokumente, die Rechte nach dem Austrittsabkommen bescheinigen, haben daher in Deutschland nicht die gleichen Rechtswirkungen wie entsprechende deutsche Dokumente. Personen mit GB-Aufenthaltsdokumenten anderer Mitgliedstaaten werden also wie alle anderen britischen Staatsangehörigen behandelt, die in Deutschland kein Aufenthaltsrecht aus dem Austrittsabkommen ableiten können. Im Ergebnis dürfen die britischen Staatsangehörige, die über ein Aufenthaltsdokument-GB eines anderen Mitgliedsstaates verfügen, ohne deutsche Erlaubnis, für deren Erteilung das AufenthG anzuwenden ist, nicht in Deutschland arbeiten oder nach Deutschland umziehen.
(3) Neben den britischen Staatsangehörigen, die am 31. 12. 2020 in Deutschland gewohnt haben, werden vom Austrittsabkommen auch Grenzgänger erfasst, die zum Jahreswechsel 2020/2021 in Deutschland gearbeitet haben und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (bzw. Vereinigten Königreich) ihren Wohnsitz hatten. Für solche Personen wird ein Aufenthaltsdokument-GB in ihrem Wohnsitzstaat und ein deutsches Aufenthaltsdokument für Grenzgänger-GB ausgestellt.
(4) Die Aufenthaltsdokumente-GB in Kartenform enthalten Hinweise auf Artikel 50 EUV und auf Artikel 18 Absatz 4 des Austrittsabkommens. Sie müssen zwingend für einen Gültigkeitszeitraum von mindestens 5 Jahren und höchstens von 10 Jahren ausgestellt werden. Jede Erwerbstätigkeit (Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit) in Deutschland ist mit einem derartigen — in Deutschland ausgestellten — Aufenthaltsdokument erlaubt. Die Gültigkeitsdauer der Karte beinhaltet jedoch keine Aussage zur Dauer des Bestehens des Rechts, das mit der Karte bescheinigt wird. Diese Voraussetzungen für die Erlangung von Aufenthaltsrechten entsprechen im Wesentlichen den Voraussetzungen, die nach den Freizügigkeitsvorschriften der Union für Aufenthaltsrechte gelten. Wurde ein Daueraufenthaltsrecht erworben, wird dies in dem Dokument auf Antrag entsprechend vermerkt.
(5) Die ergänzenden Voraussetzungen des § 5 Absatz 11 SGB V, die beim Zustandekommen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V für Ausländer zu prüfen sind, kennen nur eine duale Differenzierung zwischen Angehörigen eines anderen EU-/EWR-Staates bzw. der Schweiz einerseits und allen anderen Ausländern andererseits. In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht geht es bei diesen Personen also um das Aufenthaltsrecht in Deutschland entweder nach dem FreizügG/EU oder dem AufenthG. Insoweit passt das Austrittsabkommen als unmittelbar geltende aufenthaltsrechtliche Anspruchsgrundlage grundsätzlich nicht in diese rechtliche Systematik. Von seiner Zielsetzung und seines Ursprungs her handelt es sich jedoch bei dem Aufenthaltsrecht nach dem Austrittsabkommen um nichts anderes, als um ein aus dem EU-Recht abgeleitetes Freizügigkeitsrecht. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, die vom Austrittsabkommen erfassten Personen mit deutschen GB-Aufenthaltsdokumenten bei der Anwendung des § 5 Absatz 11 SGB V wie die Unionsbürger zu behandeln. Dies bedeutet im Kern, dass § 5 Absatz 11 Satz 2 SGB V grundsätzlich analog anzuwenden ist; die Ausführungen in Abschnitt A.2.5.2 gelten entsprechend, sofern sie im Einzelfall praktische Relevanz erlangen.
Beispiel 1:
Frau A. ist britische Staatsangehörige. Sie hat vor dem 1. 1. 2021 das Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland unter den in Artikel 15 des Austrittsabkommens festgelegten Bedingungen erworben. Am 1. 5. 2022 hat sie Deutschland für einen Zeitraum von 4 Jahren wegen einer beruflichen Tätigkeit in Australien (keine Entsendung) verlassen. Vor dem Verzug ins Ausland war sie gesetzlich versichert. Frau A. ist aufgrund des Austrittsabkommens weiterhin berechtigt, nach Deutschland zurückkehren und ihr Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland auszuüben; sie behält alle damit verbundenen Rechte nach dem Austrittsabkommen, weil eine Abwesenheit von höchstens 5 aufeinanderfolgenden Jahren als unschädlich gilt. Ihre Aufenthaltsrechte kann sie mit den Aufenthaltsdokumenten-GB nachweisen. Nach der Rückkehr aus Australien ist Frau A. zunächst nicht erwerbstätig und lebt von ihren Ersparnissen.
Beurteilung:
Es handelt sich um einen Sachverhalt im Sinne des Austrittsabkommens. Mit der Rückkehr nach Deutschland unterliegt Frau A. der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 Buchstabe a SGB V, sofern keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall vorliegt. In die Prüfung des Tatbestandsmerkmals "letzte Krankenversicherung in der GKV oder PKV" sind nur die Zeiträume einzubeziehen, in denen Frau A. vom Geltungsbereich des deutschen Krankenversicherungsrechts erfasst war. Die Zeiten der Versicherung in Australien sind bei dieser Prüfung auszuklammern, weil zwischen Deutschland und Australien hinsichtlich der Krankenversicherung kein Koordinierungsabkommen existiert. Die ergänzenden Voraussetzungen des § 5 Absatz 11 Satz 2 SGB V sind grundsätzlich zu prüfen. Diese führen jedoch nicht zum Ausschluss der Auffang-Versicherungspflicht, weil Frau A. bereits das Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland erworben hat, sodass die Anforderungen des § 4 FreizügG/EU für sie ohne Belang sind.
Beispiel 2:
Wie Beispiel 1, mit der Abweichung, dass Frau A sich ab dem 1. 5. 2022 für 4 Jahre beruflich im Vereinigten Königreich aufgehalten hat und dort gesetzlich versichert war.
Beurteilung:
Es handelt sich um einen Sachverhalt im Sinne des Austrittsabkommens. Für Frau A. sind mit der Verlegung des Wohnortes nach Deutschland die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Anwendbarkeit des § 188 Absatz 4 SGB V ist ausgeschlossen, weil Frau A. zuletzt nicht in Deutschland versichert war. Die freiwillige Versicherung nach § 9 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB V ist vorrangig vor der Auffang-Versicherungspflicht zu prüfen. Diese setzt eine erforderliche Vorversicherungszeit und eine rechtzeitige Antragstellung voraus. Die "letzte" Versicherung bei einem britischen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Sinne des Ausscheidens aus der Versicherungspflicht und der Vorversicherungszeit mit der Versicherung in der deutschen GKV gleichzustellen. Kommt keine freiwillige Versicherung zustande und liegt keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall vor, unterliegt Frau A. der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 Buchstabe a SGB V. Die "letzte" gesetzliche Versicherung im Vereinigten Königreich ist auch im Sinne dieser Vorschrift mit der Versicherung in der deutschen GKV gleichzustellen. Die ergänzenden Voraussetzungen des § 5 Absatz 11 Satz 2 SGB V sind grundsätzlich zu prüfen. Diese führen jedoch nicht zum Ausschluss der Auffang-Versicherungspflicht (und auch nicht der freiwilligen Krankenversicherung), weil Frau A. bereits das Recht auf Daueraufenthalt in Deutschland erworben hat, sodass die Anforderungen des § 4 FreizügG/EU für sie ohne Belang sind.
(6) Sofern britische Staatsangehörige nicht unter den Regelungsbereich des Austrittsabkommens fallen, sind sie wie andere Drittstaatsangehörige und somit nach den Regelungen des AufenthG zu behandeln. Sie benötigen für einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland spätestens nach Ablauf von 90 Tagen eines visumfreien Aufenthalts einen Aufenthaltstitel. Vergleichbares gilt, wie oben dargelegt, für britische Staatsangehörige, die über ein Aufenthaltsdokument-GB eines anderen Mitgliedsstaates verfügen.
(7) Bei britischen Staatsangehörigen ohne deutsche Aufenthaltsdokumente-GB ist bei der Prüfung einer möglichen Auffang-Versicherungspflicht der Ausschlusstatbestand nach § 5 Absatz 11 Satz 1 SGB V zu prüfen. Dessen Anwendung führt im Regelfall zum Ausschluss der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V bereits deswegen, weil das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltserlaubnis von mehr als 12 Monaten nicht erfüllt ist; im Übrigen wäre auch die Erteilung eines derartigen Aufenthaltstitels ohnehin regelmäßig an die Verpflichtung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts als Bedingung gekoppelt.
(8) Demgegenüber bleibt das Zugangsrecht zur GKV für britische Staatsangehörige ohne deutsche Aufenthaltsdokumente-GB nach Maßgabe der Regelungen des § 9 SGB V unter Berücksichtigung des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit grundsätzlich unberührt. Anders als die mit den einschränkenden Bedingungen des § 5 Absatz 11 Satz 1 SGB V verbundene Auffang-Versicherungspflicht ist der freiwillige Beitritt nach § 9 SGB V nicht an das Vorhandensein eines Aufenthaltstitels (mit bestimmten Merkmalen) geknüpft. Die Rechtmäßigkeit der Wohnortnahme in Deutschland nach Maßgabe des AufenthG ist — anders als nach Maßgabe des FreizügG/EU für nicht erwerbstätige Unionsbürger — wörtlich nicht unmittelbar an die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes geknüpft. Das Erfordernis eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes als Bedingung für eine reguläre Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Maßgabe des AufenthG wird erst im Zusammenhang mit dessen Finanzierung relevant. So regelt § 5 Absatz 1 Nummer 1 AufenthG, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Eine Legaldefinition eines gesicherten Lebensunterhalts ergibt sich aus § 2 Absatz 3 AufenthG. Danach ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann.
(9) Im Ergebnis kommt für britische Staatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel in Deutschland — insbesondere zum Zweck der Erwerbstätigkeit — beantragen, unter Berücksichtigung des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit eine freiwillige Versicherung in der GKV in Betracht, sofern bei ihnen ausländerrechtlich die Sicherung des Lebensunterhalts gegeben ist (vorausgesetzt, diese ist nach dem AufenthG auch vorgesehen). Dieser Tatbestand wird durch die zuständige Ausländerbehörde bei der Bearbeitung eines Antrages auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels geprüft. Ansonsten sind für die freiwillige Versicherung die Voraussetzungen des § 9 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bzw. 2 SGB V zu prüfen. Die im Vereinigten Königreich zurückgelegten Versicherungszeiten in der GKV sind nach Artikel KSS.7 Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zu berücksichtigen und auch das nach § 9 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bzw. 2 SGB V verlangte Ausscheiden aus der Versicherungspflicht bzw. aus der Familienversicherung wird dem entsprechenden Ereignis im Vereinigten Königreich nach Artikel KSS.6 Abkommen über Handel und Zusammenarbeit gleichgestellt. Der nach Artikel KSS.13 Absatz 4 Abkommen über Handel und Zusammenarbeit verlangte Bezug zur deutschen GKV gilt jedenfalls dann als gegeben, wenn für die Person aufgrund der (angestrebten) Erwerbstätigkeit in Deutschland die deutschen Rechtsvorschriften gelten (Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe a Abkommen über Handel und Zusammenarbeit). Die Antragsfrist nach § 9 Absatz 2 Nummer 1 bzw. 2 SGB V ist zu beachten. Bei Erfüllung der vorgennannten Voraussetzungen kommt die freiwillige Versicherung unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung eines Aufenthaltstitels zustande. Im Übrigen bleibt das Beitrittsrecht nach § 9 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 SGB V bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen unberührt.
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