BVerfG 26.06.2013 - 1 BvR 1148/13 - Nichtannahmebeschluss: Beschränkte Portabilität der Altersrückstellungen für Altverträge in der privaten Krankenversicherung (§ 204 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst b VVG 2008) verfassungsrechtlich unbedenklich - Beschränkung auf Fälle des Wechsels in den Basistarif einer anderen Versicherung verletzt Betroffenen nicht in Grundrechten - Altersrückstellungen nicht durch Art 14 Abs 1 GG geschützt
Normen
Artikel 3, Artikel 14, § 204 2008
Vorinstanz
vorgehend BGH, 6. März 2013, Az: IV ZR 143/11, Beschluss
vorgehend BGH, 24. Oktober 2012, Az: IV ZR 143/11, Beschluss
Gründe
I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine zivilrechtliche Auseinandersetzung über die durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe
b VVG nur unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichte Portabilität von Alterungsrückstellungen beim Wechsel eines privat
krankenversicherten Versicherungsnehmers zu einem anderen privaten Krankenversicherer.
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Der Beschwerdeführer war bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer privaten Versicherungsgesellschaft, seit 1986 privat
im Volltarif krankenversichert. Diesen Versicherungsvertrag kündigte er mit Schreiben vom 29. Juni 2009 und schloss eine private
Krankenversicherung im Volltarif bei einem anderen privaten Krankenversicherer ab. Mit seiner Klage begehrte er von der Beklagten
die Auszahlung der für ihn gebildeten Alterungsrückstellungen an den neuen Krankenversicherer.
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Das Landgericht wies die Klage ab; die dagegen gerichtete Berufung wies das Oberlandesgericht zurück. Die vom Oberlandesgericht
gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassene Revision des Beschwerdeführers wies der Bundesgerichtshof nach entsprechendem
Hinweis im Beschlusswege nach § 552a ZPO zurück (veröffentlicht in VersR 2013, S. 612 f.). Ein Zulassungsgrund liege nicht
vor. Der Rechtssache komme insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Die
Revision habe auch in der Sache keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht habe richtig entschieden. § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe
b VVG begründe bei einem vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossenen Vertrag nur dann einen Anspruch auf Übertragung der Alterungsrückstellungen,
wenn der Wechsel in den Basistarif eines anderen Versicherers erfolge. Bei einem Wechsel aus einem solchen Altvertrag in den
Volltarif eines anderen Versicherers bestehe kein Anspruch auf eine teilweise Übertragung der Alterungsrückstellungen. Die
Begrenzung der für Altverträge befristet möglichen teilweisen Portabilität der Alterungsrückstellungen auf einen Wechsel in
den Basistarif eines anderen Versicherers durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG sei verfassungsgemäß.
II.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung seiner Revision durch den Bundesgerichtshof
sowie dessen vorausgegangenen Hinweisbeschluss. Er rügt im Wesentlichen, die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung
des § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG berücksichtige seine Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG
nicht hinreichend.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung
zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers
angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>). Anhaltspunkte
dafür, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen die als verletzt gerügten verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers
verstoßen könnten, sind auf Grundlage des Vorbringens der Verfassungsbeschwerde nicht ersichtlich.
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1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs richtet, ist sie bereits unzulässig.
Bei dem Hinweis handelt es sich nicht um eine den Beschwerdeführer beschwerende Entscheidung.
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2. Die Zurückweisung der Revision des Beschwerdeführers ist von Verfassungs wegen offensichtlich nicht zu beanstanden. Der
Bundesgerichtshof hat nach dem eindeutigen Wortlaut des § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG zutreffend entschieden,
dass die Mitnahme der Alterungsrückstellungen bei dem Wechsel in den Volltarif eines anderen Krankenversicherers nicht möglich
ist. Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien rechtfertigen. Die zunächst im Gesetzentwurf in
§ 178f VVG (Entwurf) vorgesehene Regelung, die eine Übertragbarkeit der dem Basistarif entsprechenden Alterungsrückstellungen
für jeden Tarifwechsel vorgesehen hatte (BTDrucks 16/3100, S. 80 f., 206 f. zu Nr. 4), ist gerade nicht Gesetz geworden. Der
im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens abgeänderte, mit § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG in Kraft getretene Wortlaut
ist eindeutig und spiegelt den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers wider. Eine andere - dem Wortlaut des § 204 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG zuwiderlaufende - Auslegung der Norm, wie vom Beschwerdeführer gefordert, wäre selbst bei Verletzung
seiner Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht möglich. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zum Wortlaut
und zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers treten würde, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht begründet
werden. Anderenfalls würde das Bundesverfassungsgericht der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten
Gesetzgebers vorgreifen (vgl. BVerfGE 112, 164 183>).
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3. Soweit sich die mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Einwände danach mittelbar gegen die Regelung des § 204 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 Buchstabe b VVG selbst richten, erweisen sie sich ebenfalls als unbegründet.
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a) Die Alterungsrückstellungen in der privaten Krankenversicherung fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG,
weil ihnen nicht der Charakter eines konkreten, dem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordneten Eigentumsrechts
zukommt (so BVerfGE 123, 186 253 f.>).
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b) Die durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG nur eingeschränkt ermöglichte Portabilität von Alterungsrückstellungen
für vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossene Verträge verletzt auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Ungleichbehandlung von wechselwilligen Versicherungsnehmern mit vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossen Versicherungsverträgen
bei der Mitnahme von Alterungsrückstellungen ist durch Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt.
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Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 385>; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche
Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 17>; 126, 400 416>). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils
betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 157>; 93, 319 348 f.>;
107, 27 46>; 126, 400 416>; 129, 49 69>).
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Eine Ungleichbehandlung von wechselwilligen Versicherungsnehmern mit vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossenen Versicherungsverträgen
durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG liegt vor, da nur bei einem Wechsel in den Basistarif, nicht aber bei einem
Wechsel in den Volltarif Alterungsrückstellungen - zumindest teilweise - übertragen werden können. Der Gesetzgeber wollte
mit dieser Differenzierung für die Inhaber von Altverträgen zwar grundsätzlich die Wechselmöglichkeit zu einem anderen Versicherer
eröffnen, signifikante Fluktuationen von "guten Risiken" zu Lasten der alten Krankenversicherung und der dort verbleibenden
Versicherungsnehmer jedoch vermeiden (BTDrucks 16/3100, S. 208).
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Diese zu einer Ungleichbehandlung von wechselnden Versicherungsnehmern mit Altverträgen führende Differenzierung ist sachlich
gerechtfertigt. Sie bewegt sich im Rahmen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Für die Einführung einer teilweisen
Portabilität der Alterungsrückstellungen kann sich der Gesetzgeber auf legitime Gemeinwohlinteressen berufen. Die gesetzliche
Neuregelung mit dem Ziel der Schaffung einer wettbewerblichen Situation zwischen den privaten Krankenversicherungen erweist
sich als gerechter Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen. Sie fördert die Kundenorientierung der Versicherungen, führt
zu mehr Vertragsparität und stärkt die Selbstbestimmung der gegenüber den Versicherern strukturell benachteiligten Versicherungsnehmer
in einer den Unternehmen zumutbaren Weise (vgl. BVerfGE 123, 186 253 ff.>; insbesondere 257). Der Gesetzgeber durfte dabei
die Gefahr einer die Funktionsfähigkeit der Versicherungen gefährdenden Risikoselektion durch starke Abwanderung von Versicherten
mit guten Risiken im ersten Halbjahr 2009 als gering einstufen. Denn die Mitnahme eines Teils der Alterungsrückstellungen
wird lediglich bei einem Wechsel in den Basistarif eines anderen Versicherungsunternehmens ermöglicht. Der Basistarif ist
für den durchschnittlichen Versicherten der privaten Krankenversicherung jedoch wegen seines schlechteren Leistungsniveaus
bei gleichzeitig hoher Prämie ökonomisch in der Regel nicht interessant. Dennoch wird ungeachtet der nicht wesentlich verbesserten
Wechseloptionen der Versicherungsnehmer durch § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b VVG eine wettbewerbliche Situation geschaffen,
weil es die Unternehmen zwingt, ihren Kunden die Vorteile eines Verbleibs im eigenen Unternehmen zu verdeutlichen und ihnen
gegebenenfalls neue Vertragsoptionen aufzuzeigen (vgl. BVerfGE 123, 186 259 ff.>).
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Diese Erwägungen tragen auch den weiter vom Beschwerdeführer beanstandeten Ausschluss der Übertragbarkeit der für Zusatzversicherungen
gebildeten Alterungsrückstellungen bei einem Wechsel in den Basistarif eines anderen Versicherers durch § 204 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 Buchstabe b VVG .
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.