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BAG 08.12.2020 - 3 AZN 849/20
BAG 08.12.2020 - 3 AZN 849/20 - Betriebliche Altersversorgung - Nichtzulassungsbeschwerde - Verwirkung - Rügefrist
Normen
§ 72a ArbGG, § 16 BetrAVG, § 242 BGB
Vorinstanz
vorgehend ArbG München, 28. November 2019, Az: 12 Ca 6893/19, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht München, 6. August 2020, Az: 2 Sa 69/20, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 6. August 2020 - 2 Sa 69/20 - wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
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Der Streitwert wird auf 190,44 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie betrifft schon keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.
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1. Nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (BAG 14. April 2005 - 1 AZN 840/04 - zu 2 c aa der Gründe, BAGE 114, 200). Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat (BAG 23. Juni 2020 - 3 AZN 442/20 - Rn. 2).
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2. Die von der Beklagten konkret formulierte Frage:
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„Kann eine Entscheidung hinsichtlich einer vertraglich zugesagten Anpassung, die eine Ermessensentscheidung des Versorgungsschuldners enthält, zeitlich im gesamten Rahmen der nach § 18a S. 1 BetrAVG geltenden 30jährigen Verjährungsfrist des Rentenstammrechts und damit zeitlich länger als eine Entscheidung zur gesetzlichen Anpassung nach § 16 BetrAVG angegriffen werden?“,
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enthält auch bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung keine Rechtsfrage. Sie hat keinen die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm betreffenden Gegenstand. Soweit sich die Beschwerde auf die Regelungen in §§ 16, 18a BetrAVG bezieht, betrifft sie weder die Wirksamkeit noch den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt dieser Normen. Die Beklagte möchte in ihrer Frage ausdrücklich nur deren Wertungen oder ihr Gegenteil für eine allgemeine Verwirkung des Anpassungsrechts heranziehen. Die Anwendung des § 18a Satz 1 BetrAVG wie des § 16 BetrAVG scheidet damit nach ihrer eigenen Begründung aus. Selbst eine sinngemäße Anwendung von § 16 BetrAVG entspräche nicht dem Vorgehen der Beklagten, die die vom Kläger begehrte Anpassung seiner betrieblichen Versorgungsleistungen zum 1. Juli 2015 auch mit Wirkung für die Zukunft dauerhaft ausschließen möchte.
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3. Die Beklagte möchte eigentlich geklärt wissen, ob eine Verwirkung des Rechts, eine Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen geltend zu machen, aus § 242 BGB abgeleitet werden kann.
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Macht die Beklagte daher eine Verwirkung eines Rechts zur Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen geltend, geht es ihr um die Anwendung - also nicht um die Auslegung - des § 242 BGB in seiner Ausprägung der Verwirkung eines Rechts. Die Verwirkung hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab und erfordert sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment. Zu dem erforderlichen Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann. Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur - und nur nach erfolgter Zulassung der Revision - daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (BGH 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17 - Rn. 9). Hieraus lässt sich keine Rechtsfrage ableiten.
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Zu erwägen wäre allenfalls, die Ausgestaltung der Leitlinien des Zeit- und Umstandsmoments der Verwirkung eines vertraglichen Anpassungsrechts als „Rechtsfrage“ iRd. § 242 BGB anzuerkennen (vgl. BGH 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17 - Rn. 15 ff.). In diese Richtung sieht auch das Bundesverwaltungsgericht zum Begriff der Verwirkung eine Nichtzulassungsbeschwerde als zulässig an, wenn ein über die allgemeinen Rechtssätze hinausgehender, weiterer grundsätzlicher Klärungsbedarf zum Institut der Verwirkung besteht (BVerwG 19. Dezember 2008 - 9 B 65.08 - Rn. 13; vgl. auch BFH 18. Februar 2009 - IX B 160/08 -).
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Allerdings würde diese Annahme im vorliegenden Verfahren auch nicht zu einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage führen. Es besteht kein über die allgemeinen Rechtssätze hinausgehender grundsätzlicher Klärungsbedarf zum Institut der Verwirkung. Der Beklagten geht es um die konkrete Verwirkung des Rechts, eine unzutreffende Anpassungsentscheidung im Einzelfall zu rügen. Zudem stellt sich in unterschiedlichen Versorgungswerken - selbst bei mit den dem Beschwerdeverfahren ähnlichen vertraglichen Anpassungsregeln - die Frage der Verwirkung stets neu und - anders etwa als bei der Verwirkung gesetzlich vorgesehener Rechte (etwa des Widerrufsrechts) - nicht in gleichförmiger Weise. Folglich ließen sich allenfalls für ein Versorgungswerk Leitlinien aufstellen, die sich in anderen Versorgungswerken erneut - aber anders - stellen könnten. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. zu diesem Merkmal BAG 28. Juni 2011 - 3 AZN 146/11 - Rn. 11 f., BAGE 138, 180).
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4. Im Übrigen bedarf es keiner höchstrichterlichen Entscheidung zu einer vom Revisionsgericht noch nicht entschiedenen Rechtsfrage, wenn die Rechtslage eindeutig ist (BAG 22. April 1987 - 4 AZN 114/87 - juris-Rn. 2 mwN) bzw. sich die streitige Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt (BAG 25. Oktober 1989 - 2 AZN 401/89 - zu I 2 c der Gründe mwN). Nach dem Zweck des Revisionsverfahrens, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu fördern, liegt dieser Ausnahmefall vor, wenn divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte zu der nämlichen Rechtsfrage nicht zu erwarten sind (BAG 25. Oktober 1989 - 2 AZN 401/89 - zu I 2 c der Gründe).
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Unterstellt, es handele sich bei der gestellten Frage um eine Rechtsfrage iSd. § 72a ArbGG, so ist deren Beantwortung eindeutig. Auf eine vertraglich zugesagte Anpassung in einem Versorgungswerk ist die Systematik des § 16 BetrAVG und das hierzu vom Senat entwickelte Fristenregime (vgl. BAG 25. April 2006 - 3 AZR 372/05 - Rn. 15 , BAGE 118, 51 ) nur dann anwendbar, wenn sich das maßgebliche Versorgungswerk und seine Ausführungsbestimmungen nach Wortlaut und Inhalt an § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG anlehnt und zur Anpassung entsprechende ausdrückliche Regelungen enthält, sodass die für die gesetzliche Anpassungspflicht geltenden Grundsätze insgesamt auf die Anpassungen der Ruhegelder anwendbar sind (vgl. BAG 10. Februar 2009 - 3 AZR 783/07 - Rn. 31 zu § 20 Leistungsordnung 1985 Bochumer Verband; 14. Mai 2019 - 3 AZR 112/18 - BAGE 166, 323 zu § 9 Leistungsordnung Essener Verband). Divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte zu der nämlichen Rechtsfrage sind demnach nicht zu erwarten. Das vom Senat aus § 16 BetrAVG abgeleitete Fristenregime berücksichtigt - anders als das von der Beklagten angedachte System -, dass der infolge einer unterlassenen Rüge nicht mehr im Wege der nachträglichen Anpassung auszugleichende Kaufkraftverlust lediglich vorübergehend entfällt. Im Rahmen von § 16 BetrAVG ist zu jedem neuen Anpassungsstichtag der Kaufkraftverlust jeweils vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag auszugleichen (BAG 19. Juni 2012 - 3 AZR 464/11 - BAGE 142, 116), sofern die Anpassung nicht nach § 16 Abs. 4 BetrAVG zu Recht unterblieben war. Dies hat zur Folge, dass es durch das § 16 BetrAVG entnommene Fristenregime nur zu vorübergehenden Nachteilen für die Betriebsrentner kommt, nicht jedoch zu einer dauerhaften Entwertung der laufenden Leistungen.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG. Dabei wurde der 36-fache Wert der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch streitigen künftigen Leistungen iHv. 5,29 Euro nach § 42 Abs. 1 GKG angesetzt.
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