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BAG 14.05.2020 - 6 AZR 320/19
BAG 14.05.2020 - 6 AZR 320/19
Vorinstanz
vorgehend ArbG Düsseldorf, 25. Mai 2018, Az: 11 Ca 949/18, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 10. Mai 2019, Az: 6 Sa 538/18, Urteil
Tenor
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I. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. Mai 2019 - 6 Sa 538/18 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen hat.
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II. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25. Mai 2018 - 11 Ca 949/18 - im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als es die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat. Es wird insgesamt klarstellend wie folgt neu gefasst:
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 27. Januar 2018 nicht aufgelöst worden ist.
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2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
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III. Die Klägerin trägt die Kosten der ersten und zweiten Instanz zu 83 %, der Beklagte zu 17 %. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung sowie hilfsweise über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.
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Die Klägerin war seit dem 23. August 1985 bei einer Fluggesellschaft als Flugbegleiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging im Jahr 2011 auf die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (Schuldnerin) mit Sitz in Berlin über.
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Die Schuldnerin war ebenfalls eine Fluggesellschaft und bediente mit mehr als 6.000 Beschäftigten im Linienflugverkehr inner- und außereuropäische Ziele. Hierfür unterhielt sie ua. Stationen an den Flughäfen Berlin-Tegel und Düsseldorf. In Berlin war der Leiter des Flugbetriebs („Head of Flight Operations“) ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des Cockpitpersonals im operativen Geschäft. Die Umlauf- und Dienstplanung erfolgte für den gesamten Flugbetrieb zentral von Berlin aus. Für das Cockpitpersonal waren vier Area Manager tätig, die jeweils für mehrere Stationen zuständig und dem Flottenmanagement unterstellt waren. Das Kabinenpersonal wurde ua. durch zwei Regional Manager betreut. Den Regional Managern waren sog. Area Manager Kabine („Area Manager Cabin“) untergeordnet. Der Dienstort der Klägerin war Düsseldorf. Die dortige Station fiel in den Zuständigkeitsbereich des Regional Managers West.
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Für das Cockpitpersonal war gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung (TVPV) für das Cockpitpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ eine Personalvertretung (PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV) für das Kabinenpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ (im Folgenden TVPV) die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) errichtet. Die §§ 80 ff. TVPV entsprechen den §§ 111 ff. BetrVG. § 83 Abs. 3 TVPV ist § 113 Abs. 3 BetrVG nachgebildet und sieht iVm. § 83 Abs. 1 TVPV die Gewährung eines Nachteilsausgleichs vor, falls die Schuldnerin eine geplante Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit der PV Kabine versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.
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Am 15. August 2017 beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am 16. August 2017 zum vorläufigen Sachwalter. Danach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am 15. September 2017 lag kein annahmefähiges Angebot vor. Daraufhin wurde beschlossen, weitere Verhandlungen mit der Lufthansa-Gruppe und der britischen Fluggesellschaft easyJet Airline Company Limited (easyJet) zu führen.
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Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung. Demnach war beabsichtigt, den Betrieb bis spätestens 31. Januar 2018 stillzulegen.
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Mit Schreiben vom 12. Oktober 2017 wandte sich die Schuldnerin an die PV Kabine. Es sei beabsichtigt, die durch die Betriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab 26. Oktober 2017, unter Wahrung der gegebenenfalls durch § 113 InsO begrenzten Kündigungsfrist zu erklären. Wegen der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich. Da es sich um eine anzeigepflichtige Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG handle, werde das Konsultationsverfahren hiermit gemäß § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet.
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Mit Beschluss vom 1. November 2017 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Es ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Insolvenzgericht eine drohende Masseunzulänglichkeit an. Zudem stellte er die Klägerin und weiteres nicht mehr einzusetzendes fliegendes Personal von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.
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Bezüglich der beabsichtigten Kündigung des Kabinenpersonals fanden zwischen der Schuldnerin und der PV Kabine Verhandlungen hinsichtlich des Abschlusses eines Interessenausgleichs statt. Es bestand bis zuletzt Uneinigkeit über die Frage, ob die Schuldnerin die PV Kabine ausreichend unterrichtet habe. Im Einigungsstellenverfahren kam kein Interessenausgleich zu Stande.
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Mit Formular und Begleitschreiben vom 12. Januar 2018 erstattete die Schuldnerin bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord eine Massenentlassungsanzeige bezüglich des Kabinenpersonals.
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Das Begleitschreiben nimmt Bezug auf die am 30. Oktober 2017 und 24. November 2017 gestellten Massenentlassungsanzeigen für das Boden- bzw. Cockpitpersonal und erläutert den Grund für die Entlassung des Kabinenpersonals. Dieses umfasse in der Regel 3.126 Mitarbeiter. Es sei die Kündigung des gesamten Kabinenpersonals beabsichtigt, allerdings unterlägen davon 455 Beschäftigte einem gesetzlichen Sonderkündigungsschutz. Insoweit müssten erst die behördlichen Verfahren durchgeführt werden. Die Personalleitung für das Kabinenpersonal erfolge in sämtlichen Angelegenheiten von Berlin aus. Dort habe auch die auf tariflicher Grundlage gebildete PV Kabine ihren Sitz. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit dem Schreiben an die PV Kabine vom 12. Oktober 2017 eingeleitet worden. Die Personalvertretung habe auch die Personalliste erhalten. Der Ablauf der Beratungen mit der PV Kabine wurde wie folgt dargestellt:
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„Die Betriebsparteien haben ausführlich die Gründe für die vorzunehmenden Entlassungen, die Zahl und Berufsgruppen der zu kündigenden und der insgesamt beschäftigten Mitarbeiter, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien erörtert, beraten und insbesondere überlegt, welche Möglichkeiten zur Vermeidung eines Arbeitsplatzverlustes bestehen.“
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In dem Formular „Entlassungsanzeige gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)“ der Bundesagentur für Arbeit (Stand 06/2017) hat die Schuldnerin angegeben, die Anzeige beziehe sich auf den „Hauptsitz der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“. Hinsichtlich der Angabe der in der Regel Beschäftigten wird maschinenschriftlich auf eine „extra Anlage“ verwiesen. In den Anlagen wird unter „Angaben zu Entlassungen Kabine“ die Zahl von insgesamt 3.126 Beschäftigten, welche der Berufsgruppe 51422 angehören, genannt. Die Anlage 3.31 schlüsselt die Angaben „nach Base“, dh. nach Flughafenstationen, auf. Zudem wurde eine anonymisierte Personalliste eingereicht, welche Geschlecht und Wohnort angibt.
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Mit Beschluss vom 17. Januar 2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.
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Mit Schreiben vom 19. Januar 2018 hörte der Beklagte die PV Kabine und die Schwerbehindertenvertretung Bord zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung sämtlicher in einer Anlage 2 benannten Beschäftigten des Kabinenpersonals an. Die PV Kabine widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 26. Januar 2018.
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Der Beklagte kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 2018 zum 30. April 2018.
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Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen diese Kündigung gewandt. Sie sei unwirksam. Eine Betriebsstilllegung sei weder beabsichtigt gewesen noch vollzogen worden. Es habe vielmehr ein Betriebs(teil)übergang auf ein Unternehmen der Lufthansa-Gruppe bzw. auf easyJet stattgefunden. Zudem sei die PV Kabine nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Dies gelte sowohl bezüglich des nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahrens als auch bezüglich der erforderlichen Anhörung vor Erklärung der Kündigung. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.
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Sollte die Kündigung wirksam sein, bestünde jedenfalls ein Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG bzw. § 83 Abs. 3 TVPV.
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Die Klägerin hat daher - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - zuletzt beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 27. Januar 2018 nicht aufgelöst worden ist;
2.
hilfsweise für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung vom 27. Januar 2018
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 44.587,27 Euro brutto nicht unterschreiten sollte, zu zahlen;
3.
weiterhin hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit des Klageantrags zu 2.
festzustellen, dass der Klägerin eine Abfindung iHv. 44.587,27 Euro als Masseverbindlichkeit iSd. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zusteht.
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Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein Betriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Die Rechte der PV Kabine seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt worden.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin die angeführten Klageziele weiter. An einem im Berufungsverfahren noch anhängigen Antrag auf Auskunftserteilung hat sie nicht festgehalten.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet.
- 22
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1. Die streitgegenständliche Kündigung ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Dies hat der Senat in einem Parallelverfahren entschieden und nimmt auf die Begründung dieses Urteils Bezug (BAG 14. Mai 2020 - 6 AZR 235/19 - Rn. 113 ff.). Die Schuldnerin hat den Betriebsbegriff des Massenentlassungsrechts verkannt und deswegen die Anzeige bei der unzuständigen Agentur für Arbeit Berlin Nord erstattet. Eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit Düsseldorf erfolgte vor Zugang der Kündigung bei der Klägerin hingegen nicht. Darüber hinaus entspricht die Anzeige im Hinblick auf die sog. „Muss-Angaben“ nicht den Vorgaben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG. Schließlich hat die Schuldnerin den Stand der Beratungen mit der PV Kabine gegenüber der Agentur für Arbeit nicht ausreichend dargelegt und dadurch gegen § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG verstoßen.
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2. Die Hilfsanträge fielen nicht zur Entscheidung an. Sie waren für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung ist nicht eingetreten. Soweit die Vorinstanzen über die Hilfsanträge entschieden haben, sind diese Entscheidungen gegenstandslos.
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3. Die Kosten der Vorinstanzen waren zwischen den Parteien gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu verteilen, denn der Antrag auf Auskunftserteilung wurde mit dem Berufungsurteil rechtskräftig abgewiesen. Die Kosten des auf den Kündigungsschutzantrag und die nicht zur Entscheidung angefallenen Hilfsanträge beschränkten Revisionsverfahrens hat der Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO allein zu tragen.
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