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BAG 23.10.2019 - 8 AZN 718/19
BAG 23.10.2019 - 8 AZN 718/19 - Verhältnis von Nichtzulassungsbeschwerde und Anhörungsrüge
Normen
§ 72a ArbGG, § 78a Abs 1 S 1 Nr 1 ArbGG, § 233 ZPO, § 85 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend ArbG Osnabrück, 28. März 2018, Az: 2 Ca 371/17, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 14. Mai 2019, Az: 11 Sa 361/18, Urteil
Leitsatz
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Die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a ArbGG ist gegenüber der Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG vorrangig.
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. Mai 2019 - 11 Sa 361/18 - wird - unter Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde - als unzulässig verworfen.
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Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
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Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen. Die Klägerin hat die Nichtzulassungsbeschwerde nicht innerhalb der Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingelegt. Gegen die Versäumung dieser Frist ist ihr keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
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I. Die Klägerin hat die Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG, wonach die Beschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils schriftlich einzulegen ist, versäumt. Das anzufechtende Urteil ist der Klägerin am 20. Mai 2019 zugestellt worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist erst am 15. Juli 2019 und damit nach Ablauf der bis zum 20. Juni 2019 laufenden Beschwerdeeinlegungsfrist eingelegt worden.
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II. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren. Sie war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Sie muss sich vielmehr das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
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1. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist und damit auch die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Dabei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei ihrem Verschulden gleich (BAG 3. Juli 2019 - 8 AZN 233/19 - Rn. 4; 28. Mai 2009 - 2 AZR 548/08 - Rn. 12). Wurde ein Prozessbevollmächtigter tätig, muss der Antragsteller einen Geschehensablauf vortragen, der ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zweifelsfrei ausschließt (BAG 3. Juli 2019 - 8 AZN 233/19 - aaO; 11. August 2011 - 9 AZN 806/11 - Rn. 6). Beruft sich eine Partei darauf, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich in einem Rechtsirrtum befunden und deswegen kein Rechtsmittel oder keinen Rechtsbehelf eingelegt, schließt dies ein Verschulden nur aus, wenn der Rechtsirrtum unvermeidbar oder entschuldbar ist. Hierfür müssen konkrete Umstände dargelegt werden, weil der Rechtsirrtum für einen Rechtsanwalt nur in Ausnahmefällen unverschuldet ist (BAG 11. August 2011 - 9 AZN 806/11 - aaO).
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2. Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, es schuldhaft unterlassen, innerhalb der Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG gegen das anzufechtende Urteil Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Die Klägerin hat keinen Geschehensablauf vorgetragen, der ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (zweifelsfrei) ausschließen würde. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat - nach dem Vorbringen der Klägerin - noch innerhalb der Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG, nämlich am 3. Juni 2019 Anhörungsrüge beim Landesarbeitsgericht erhoben. Dabei hat er - allerdings in fehlerhafter Einschätzung der prozessualen Vorgaben - angenommen, dass die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde erst nach endgültiger Entscheidung über die Gehörsrüge zu laufen beginnt. Dieser Rechtsirrtum ist verschuldet; er war weder unvermeidbar noch zumindest entschuldbar.
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a) Hat das Landesarbeitsgericht in seinem (End)Urteil die Revision nicht zugelassen, kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör grundsätzlich nur im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden. Die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a ArbGG ist gegenüber der Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG vorrangig. Dies folgt daraus, dass eine Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG in einem solchen Fall grundsätzlich nicht statthaft ist (vgl. LAG Bremen 11. Juni 2008 - 3 Sa 110/07 -; ErfK/Koch 19. Aufl. ArbGG § 78a Rn. 2; GMP/Prütting 9. Aufl. § 78a Rn. 12; Schwab/Weth/Schwab 5. Aufl. ArbGG § 78a Rn. 13; für den Zivilprozess vgl. BGH 13. Dezember 2004 - II ZR 249/03 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 161, 343). Ob eine Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG ausnahmsweise dann statthaft sein kann, wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde zwar grundsätzlich gegeben war, zur Zeit der Erhebung der Anhörungsrüge aber insbesondere wegen Fristablaufs nicht mehr gegeben ist (vgl. hierzu etwa GMP/Prütting aaO Rn. 13 mwN), bedurfte vorliegend schon deshalb keiner Entscheidung, da die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Zeitpunkt der Erhebung der Anhörungsrüge durch die Klägerin noch lief.
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Die Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG kommt nur bei nicht rechtsmittelfähigen Entscheidungen zum Tragen, da § 78a ArbGG nur in einem solchen Fall fehlender Überprüfbarkeit der Entscheidung durch eine höhere Instanz dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nach Urteilserlass selbst zu korrigieren. Ein mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbares Urteil steht einem nicht rechtsmittelfähigen Urteil iSv. § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ArbGG hingegen nicht gleich, weil die Statthaftigkeit der Revision in Fällen eines vorinstanzlichen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG) herbeigeführt werden kann. Dass die Nichtzulassungsbeschwerde kein Rechtsmittel in Bezug auf die Hauptsache, sondern ein Rechtsbehelf ist, ändert nichts daran, dass mit ihr eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erfolgreich geltend gemacht werden kann. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, daneben eine Anhörungsrüge entsprechend § 78a ArbGG zuzulassen (vgl. BGH 13. Dezember 2004 - II ZR 249/03 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 161, 343).
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b) Entgegen der Annahme des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beginnt die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht erst nach endgültiger Entscheidung über eine Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG (erneut) zu laufen. Sie verlängert sich auch nicht um den Zeitraum eines Anhörungsrügeverfahrens nach § 78a ArbGG. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Die Anhörungsrüge hat keinen Einfluss auf den Beginn von Fristen (BGH 24. Juni 2009 - IV ZB 2/09 - Rn. 13 ff. mwN) und damit auch keinen Einfluss auf den Beginn der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
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c) Vor diesem Hintergrund war die rechtsirrige Annahme des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, er könne mit der Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde abwarten, bis über das Anhörungsrügeverfahren entschieden ist, weder unvermeidbar noch entschuldbar. Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin es schuldhaft unterlassen, innerhalb der Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG gegen das anzufechtende Urteil Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Der Klägerin muss sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
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III. Von einer weiteren Begründung zum sonstigen, vom Senat geprüften Vorbringen der Klägerin wird abgesehen, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen die Revision zuzulassen ist (§ 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG). Weitergehende Ausführungen sind auch von Verfassungs wegen nicht geboten (vgl. BVerfG 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1382/10 - BVerfGK 18, 301).
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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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