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BAG 28.08.2013 - 10 AZR 701/12
BAG 28.08.2013 - 10 AZR 701/12 - Tarifvertragsauslegung - Prozent - Prozentpunkt
Normen
Vorinstanz
vorgehend ArbG Bielefeld, 21. Dezember 2011, Az: 6 Ca 1867/11, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 4. Juni 2012, Az: 8 Sa 97/12, Urteil
Tenor
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juni 2012 - 8 Sa 97/12 - wird zurückgewiesen.
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2. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über das Ausmaß der Absenkung einer tariflichen Sonderzahlung.
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Der Kläger trat im Jahre 1990 in die Dienste der Beklagten, eines Automobilzulieferer-Unternehmens. Er ist bei ihr als Musterbauer beschäftigt. Sein monatliches Entgelt belief sich im maßgeblichen Zeitraum auf 2.678,50 Euro brutto.
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Auf das Arbeitsverhältnis der beiderseits tarifgebundenen Parteien findet ua. der Einheitliche Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18. Dezember 2003 (ETV 13. ME) Anwendung. Nach § 2 Nr. 2.2 dieses Tarifvertrags steht dem Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 55 vH eines Monatsentgelts zu. In dem am 13. Dezember 2010 abgeschlossenen Standortsicherungstarifvertrag ist eine vorübergehende Absenkung dieses 13. Monatseinkommens für die Jahre 2010 bis 2014 vorgesehen. Der Tarifvertrag enthält, soweit von Belang, folgende Regelungen:
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„3.1
Tarifliche Einmalzahlungen
3.1.1.
Die tariflichen Ansprüche auf
die betriebliche Sonderzahlung gemäß § 2 des einheitlichen Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens (ETV 13. ME) vom 18. Dezember 2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens werden im Jahr 2010 um 10 Prozent sowie im Jahr 2011 um 40 Prozent des jeweiligen individuellen Anspruchs abgesenkt.
3.1.2.
Die tariflichen Ansprüche auf
die zusätzliche Urlaubsvergütung gemäß § 14 Nr. 1. des einheitlichen Manteltarifvertrages (EMTV) vom 18. Dezember 2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens werden in den Jahren 2011 und 2012 um jeweils 40 Prozent des jeweiligen individuellen Anspruchs abgesenkt.
…
3.2
Kompensation der reduzierten tariflichen Einmalzahlungen durch zusätzliche Arbeitszeit
Die Beschäftigten können ab dem 01.07.2012 auf freiwilliger Basis zur Kompensation der Reduzierung der tariflichen Einmalzahlungen (betriebliche Sonderzahlung und zusätzliche Urlaubsvergütung) gemäß Ziffer 3.1 wertgleich wöchentlich 2,5 Stunden als zusätzliche unbezahlte Arbeitszeit leisten.
…
Macht der Beschäftigte von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch, werden die tariflichen Einmalzahlungen gemäß Ziff. 3.1 über die angeführten Zeiträume hinaus bis zur Beendigung dieses Standortsicherungstarifvertrages weiterhin um jeweils 40 Prozent abgesenkt.
…
3.8
AT-/ÜT-Beschäftigte, leitende Angestellte
…
Die persönlichen Arbeitszeitkonten dieser Beschäftigten werden während der Laufzeit dieser Vereinbarung wie folgt mit Minusstunden belastet:
2010
15 Minusstunden
2011
40 Minusstunden
2012
40 Minusstunden
2013
40 Minusstunden
2014
20 Minusstunden.
Soweit außertarifliche bzw. übertarifliche Beschäftigte Anspruch auf Zahlung eines Bonus haben, wird der Bonus um 40 % des individuellen regelmäßigen Bruttomonatsentgelts abgesenkt.
Zur Kompensation der Reduzierung der Bonuszahlung können ab dem 01.07.2012 auf freiwilliger Basis wertgleich wöchentlich 2,5 Stunden als zusätzliche unbezahlte Arbeitszeit geleistet werden.
...“
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Die Beklagte versteht die Regelungen des Standortsicherungstarifvertrags dahin, dass die tarifliche Sondervergütung im Jahr 2010 um 10 % bezogen auf das Monatsentgelt als Grundwert (100), demnach also - um 10 Prozentpunkte - von 55 vH eines Monatsentgelts auf 45 vH eines Monatsentgelts gesenkt wird. Sie hat deshalb für das Jahr 2010 den auf dieser Grundlage zutreffend errechneten Betrag von 1.205,32 Euro an den Kläger ausgezahlt.
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Der Kläger vertritt demgegenüber eine Kürzung der Sonderzahlung um einen Prozentsatz von 10 vH bezogen auf einen Grundwert von 55 vH des Monatseinkommens, folglich um 5,5 vH auf 49,5 vH eines Monatsentgelts und verlangt hiernach 1.325,86 Euro abzüglich der gezahlten 1.205,32 Euro.
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Nach Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass die Tarifvertragsparteien ihrer Vereinbarung das Verständnis zugrunde gelegt haben, das die Beklagte als maßgebend ansieht.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut der Regelungen im Standortsicherungstarifvertrag sei eindeutig. Angesichts der Grundsätze der Tarifauslegung sei der entgegenstehende Wille der Tarifvertragsparteien unbeachtlich.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 1. März 2012 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung ihrer Auffassung hat sie sich auf den vom Tarifwortlaut abweichenden übereinstimmenden Regelungswillen der Tarifparteien berufen. Dieser finde hinreichenden Ausdruck in Ziff. 3.2 des Standortsicherungstarifvertrags, wonach die Absenkung der tariflichen Leistungen wertgleich durch unbezahlte Mehrarbeit kompensiert werden könne. Eine annähernd wertgleiche Kompensation werde allein auf der Grundlage des übereinstimmenden Regelungswillens erreicht.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden. Die Klage ist unbegründet.
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I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die verlangte Zahlung von 120,54 Euro brutto. Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nämlich § 2 Nr. 2.2 des ETV 13. ME in Verbindung mit Ziff. 3.1.1 des Standortsicherungstarifvertrags lägen nur dann vor, wenn der Tarifvertrag eine Absenkung des 13. Monatseinkommens auf 49,5 % eines Monatseinkommens vorsähe. Die Absenkung beträgt jedoch 10 vH bezogen auf das Monatseinkommen als Grundwert, sodass sich der Zahlungsanspruch auf den bereits geleisteten Betrag beschränkt. Das ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen Norm.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 19. September 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 30, BAGE 124, 110; 7. Juli 2004 - 4 AZR 433/03 - zu I 1 b aa der Gründe, BAGE 111, 204; 8. September 1999 - 4 AZR 661/98 - zu I 1 a der Gründe, BAGE 92, 259) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat (BAG 8. März 1995 - 10 AZR 27/95 - zu II 2 a der Gründe). Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 11. Juli 2012 - 10 AZR 488/11 - Rn. 13).
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2. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass sich die im Standortsicherungstarifvertrag enthaltene Angabe der Prozentsätze 10 und 40, um die das 13. Monatseinkommen abgesenkt werden soll, auf das Monatsentgelt als Grundwert (100), nicht aber auf das 13. Einkommen bezieht. Angegeben sind mit den im Tarifvertrag angeführten Zahlenwerten die Prozentpunkte. Diese zeigen die Differenz der Relationen zwischen ungekürzter und gekürzter betrieblicher Sonderzahlung auf (55 vH - 10 vH = 45 vH bzw. 55 vH - 40 vH = 15 vH), nicht die Relation der Differenz, also das Verhältnis zwischen der vollen und der abgesenkten betrieblichen Sonderzahlung.
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a) Der Wortlaut der Tarifnorm ist allerdings mehrdeutig. Er scheint auf den ersten Blick in die dem Kläger günstige Richtung zu weisen, weil die Vorschrift anordnet, die Absenkung solle 10 bzw. 40 Prozent „des jeweiligen individuellen Anspruchs“ betragen. Mit dem „individuellen Anspruch“ wird die betriebliche Sonderzahlung angesprochen. Indes unterscheidet bereits die Umgangssprache nicht immer deutlich zwischen „Prozent“ und „Prozentpunkt“. Auch in der Rechtspraxis schwankt der Sprachgebrauch; so wird in Klageschriften gelegentlich der Ausdruck „Prozent“ im Sinne des vom Gesetzgeber (vgl. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) gewählten Ausdrucks „Prozentpunkt“ benutzt (vgl. BAG 2. März 2004 - 1 AZR 271/03 - zu VII 2 der Gründe, BAGE 109, 369). Der Wortlaut schließt damit eine Auslegung im Sinne des von der Beklagten für richtig gehaltenen Verständnisses nicht vollständig aus. Er ordnet nicht mit der vom Kläger in Anspruch genommenen Ausschließlichkeit an, eine andere Deutung komme unter keinen Umständen in Betracht.
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b) Der Zusammenhang von Ziff. 3.1 des Standortsicherungstarifvertrags mit den weiteren Vorschriften macht deutlich, dass die Absenkung 10 bzw. 40 Prozentpunkte betragen soll. Ziff. 2 gibt den betroffenen Arbeitnehmern für die Zeit ab Juli 2012 die Möglichkeit, die Absenkung des 13. Monatseinkommens durch unentgeltliche Mehrarbeit zu kompensieren. Die Kompensation soll dabei „wertgleich“ erfolgen. Bei der Absenkung des Urlaubsgeldes und des 13. Monatseinkommens um jeweils 40 vH vom Monatsentgelt wird genau der Betrag erreicht, der dem Wert der zur Kompensation vorgesehenen wöchentlichen Mehrarbeit von 2,5 Stunden in einem Zeitraum von zwölf Monaten entspricht. Die Absenkung wird also im Falle der Leistung unbezahlter zusätzlicher Arbeit exakt kompensiert. Die Kompensation ist daher „wertgleich“, wie der Tarifvertrag verlangt. Die vom Kläger bevorzugte Auslegung würde dagegen zu einer deutlichen Überkompensation führen. Die Arbeitnehmer müssten zB bei einem Monatsgehalt von 2.000,00 Euro Arbeitsstunden im Wert von 1.600,00 Euro erbringen, um eine Kürzung von 1.016,00 Euro auszugleichen.
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c) Bei derartiger Lage spricht die Tarifgeschichte für das hier gewonnene Ergebnis (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 10 AZR 1035/08 - Rn. 29). Maßgeblich ist insoweit die vom Landesarbeitsgericht festgestellte, ausdrücklich erklärte Absicht der Tarifvertragsparteien, die Regelung so zu treffen, wie sie von der Beklagten angewandt worden ist.
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d) Die Einwände der Revision gegen dieses Auslegungsergebnis greifen nicht durch. Dass der Kläger in den Jahren 2010 und 2011 keine Kompensation der Absenkung durch unbezahlte Mehrarbeit erreichen konnte, ist im Tarifvertrag ausdrücklich so geregelt. Es ändert an den für die Auslegung entscheidenden Gesichtspunkten nichts. Die Annahme, die Tarifvertragsparteien könnten bei identischem Wortlaut für die Jahre 2010 und 2011 eine andere Regelung als für die Jahre 2012 bis 2014 getroffen haben, liegt fern.
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e) Die Ausführungen der Revision zum Zustandekommen des Standortsicherungstarifvertrags enthalten im Wesentlichen neuen Vortrag, der im Revisionsverfahren nicht berücksichtigungsfähig ist. Abgesehen davon sind die Ausführungen auch unbehelflich. Aus ihnen geht allenfalls hervor, dass eine geringere Absenkung im Gespräch war. Der Kläger räumt aber selbst ein, dass eine Vereinbarung auf dieser Grundlage nicht zustande gekommen ist und in einer gemeinsamen Information von Betriebsrat und Werksleitung vom 10. Dezember 2010 - also drei Tage vor Abschluss des Tarifvertrags - eine Absenkung des 13. Monatseinkommens ausdrücklich auf „45 % des regelmäßigen Entgelts“ angekündigt wurde.
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II. Die Kosten der Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
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