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BSG 19.05.2021 - B 14 AS 389/20 B
BSG 19.05.2021 - B 14 AS 389/20 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig - Zulassungsbedürftigkeit der Berufung - Nichtübersteigung eines Beschwerdewertes in Höhe von 750 Euro - Ermittlung des Beschwerdewertes
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 158 S 1 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Neubrandenburg, 17. Juni 2019, Az: S 11 AS 1044/15
vorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 21. September 2020, Az: L 8 AS 388/19, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. September 2020 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
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Im Klageverfahren hatten die Kläger höheres Alg II bzw Sozialgeld, bezogen auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (Heizstromkosten und Zinsen eines Baukredits) geltend gemacht. Beim SG hatte ihre Prozessbevollmächtigte zuletzt erklärt, die Übernahme der Zinsen werde nicht weiter verfolgt. Nach einem auf den Teil einer Stromrechnung wegen der Heizkosten abgegebenen und angenommenen Teilanerkenntnis hat das SG die unbezifferte weitergehende Klage mit Urteil vom 17.6.2019 abgewiesen.
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Im Berufungsverfahren haben die Kläger vorgebracht, das SG habe die Stromkosten fehlerhaft geschätzt, die Warmwassererzeugungskosten nicht ermittelt und sich mit dem Baukredit nicht in der gebotenen Weise befasst. Das LSG hat die Kläger darauf hingewiesen, dass nicht erkennbar sei, welches konkrete Begehren verfolgt werde, weil sich aus ihren Einwänden zur Schätzung nicht ergebe, dass sich bei Vermeidung der beanstandeten Fehler ein höherer zustehender Betrag ermitteln lasse. Für die Zulässigkeit der Berufung seien das verfolgte Begehren und die sich hieraus ergebende Beschwer maßgeblich. Eine unzulässige Berufung könne gemäß § 158 SGG durch Beschluss verworfen werden. Mit Beschluss vom 21.9.2021 hat das LSG die Berufung als unzulässig verworfen. Wegen der Stromkosten und der Warmwassererzeugungskosten hätten die Kläger keinen konkreten Betrag geltend gemacht, der ihnen noch zustünde. Wegen der Zinsen seien sie nicht beschwert, weil sie das hierauf gerichtete Begehren erstinstanzlich nicht weiterverfolgt hätten.
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Mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden machen die Kläger Verfahrensmängel geltend. Das LSG habe zu Unrecht durch "Prozessurteil statt Sachurteil" entschieden, weil die Beschwer mehr als 750 Euro betragen habe. Im November 2015 sei eine Stromrechnung von 5290,34 Euro zzgl eines Abschlags von 546 Euro fällig gewesen. Der Beklagte habe 1625,25 Euro anerkannt. Das SG habe festgehalten, dass sie den Differenzbetrag aus der Stromrechnung abzüglich der Werte für Strom, die in der Regelleistung enthalten seien, als Heizstrom beanspruchten. Werde der sich aus der Regelleistung für Alleinstehende ergebende Stromanteil für vier Personen zugrunde gelegt, ergebe sich ein maximal abzugsfähiger Haushaltsstromanteil von 124,04 Euro, mithin ein noch streitiger Betrag von 3541,11 Euro. Die Zentralheizung habe seit Jahren nicht funktioniert und mit einem Dauerbrandofen könne kein ganzes Haus beheizt werden. Mit Blick auf die Heizstromkosten könne nicht ausgeschlossen werden, dass das LSG bei einer Sachentscheidung höhere Leistungen zugesprochen hätte. Außerdem habe das LSG bei zutreffender Ermessensausübung nicht durch Beschluss nur durch die Berufsrichter entscheiden dürfen. Die fehlerhafte Besetzung sei als absoluter Revisionsgrund zu berücksichtigen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerden sind zulässig und begründet. Auf die Beschwerden der Kläger war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 160a Abs 5 SGG).
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Die Kläger haben noch formgerecht (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ("Prozessurteil statt Sachurteil", Verfahrensmangel nach stRspr seit BSG 27.10.1955 - 4 RJ 105/54 - BSGE 1, 283; zu den Anforderungen an die Bezeichnung dieses Verfahrensmangels BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 86/18 B - RdNr 5) gerügt, der vorliegt.
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Das LSG hat zu Unrecht die Berufungen der Kläger als unzulässig verworfen, weil die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Berufung aus § 144 Abs 1 Satz 1 SGG gegeben waren. Der im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerden dargetane Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und der Verfahrensablauf lassen es nicht zu, den Wert des Beschwerdegegenstands mit weniger als 750,01 Euro (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) zu beziffern. Das gilt auch unter Berücksichtigung eines erstinstanzlich nicht geltend gemachten Mehrbedarfs für Warmwassererzeugung (vgl zur Beschränkung des Streitgegenstands wegen der Abtrennbarkeit des auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung bezogenen Verfügungssatzes nur BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 f) sowie unter Außerachtlassung von Zinsen.
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Der Wert des Beschwerdegegenstands iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des Beschwerdegegenstands für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird (vgl BSG vom 27.7.2004 - B 7 AL 104/03 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 2 RdNr 5). Bei einem unbezifferten Antrag kann auf eine überschlägige Berechnung zurückgegriffen werden (vgl BSG vom 14.8.2008 - B 5 R 39/07 R - SozR 4-2600 § 210 Nr 2 RdNr 11; BSG vom 13.6.2013 - B 13 R 437/12 B - RdNr 12). Maßgebender Zeitpunkt für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstands ist derjenige der Einlegung der Berufung (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 4 Abs 1 ZPO; zur Addition bei subjektiver Klagehäufung nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 5 ZPO BSG vom 24.6.2020 - B 4 AS 10/20 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 23 RdNr 18 unter Hinweis auf BSG vom 10.8.2016 - B 14 AS 51/15 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 26 RdNr 10).
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Nach den Ausführungen im Urteil des SG, die das LSG neben den angefochtenen Bescheiden und dem Klagevorbringen der Bestimmung desjenigen zugrunde zu legen hatte, was den Klägern vom SG versagt worden ist, ging es den Klägern um die volle Übernahme des im November 2015 fälligen Nachzahlbetrags aus der Stromabrechnung abzüglich der Werte für Strom, die im Regelbedarf enthalten sind. Wie in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung dargetan, beläuft sich das von den Klägern wegen der Rechnung von 5290,34 Euro noch Verlangte auch unter Berücksichtigung des beim SG anerkannten Betrags von 1625,25 Euro - Einzelheiten der Berechnung der in die Regelbedarfsbemessung der Kläger über das RBEG vom 24.3.2011 (BGBl I 453) eingeflossenen Beträge für Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile außer Acht lassend - auf deutlich mehr als 750 Euro. Angesichts der unbeschränkt eingelegten Berufungen musste von ihrer Statthaftigkeit nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ausgegangen werden.
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Ob der Verfahrensmangel "Prozessurteil statt Sachurteil" zugleich dazu führt, dass das LSG bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen ist, weil es auch bei einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter (§§ 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 SGG) unter weiteren Voraussetzungen über die Berufungen der anwaltlich vertretenen Kläger entscheiden hätte können, kann angesichts dessen dahinstehen (vgl zur Auslegung von Klage- und Berufungsbegehren im Zusammenhang mit der Verwerfung der Berufung gegen einen Gerichtsbescheid als unzulässig durch Beschluss BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 51/20 B - RdNr 12).
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
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