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BSG 26.01.2021 - B 9 V 26/20 B
BSG 26.01.2021 - B 9 V 26/20 B - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopfer - miterlebter Suizid - vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff - feindselige Willensrichtung - Strafrechtsakzessorietät - Straflosigkeit der Selbsttötung - psychische Gewalt - fehlende körperliche Einwirkung - sozialgerichtliches Verfahren - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - irreführende Anhörungsmitteilung - rechtliches Gehör - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 1 Abs 1 S 1 OEG, StGB, § 62 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a SGG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Köln, 18. November 2019, Az: S 5 VG 60/13, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. Mai 2020, Az: L 13 VG 12/20, Beschluss
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen körperlicher Misshandlungen durch ihren zweiten Ehemann und seinen anschließenden Selbstmord in ihrer Anwesenheit.
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Der Beklagte lehnte den Anspruch wegen Unbilligkeit iS von § 2 OEG ab (Bescheid vom 14.5.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2013).
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Das SG hat den Beklagten verurteilt, im Einzelnen bezeichnete Gesundheitsstörungen wie eine Trigeminusneuralgie und Knochennarben als Schädigungsfolgen festzustellen und dafür Heilbehandlung zu gewähren. Abgewiesen hat es dagegen die Klage auf Feststellung einer schweren psychischen Dauerschädigung als Schädigungsfolge sowie auf Gewährung von Rentenleistungen nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von wenigstens 40 (Urteil vom 18.11.2019).
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Mit Beschluss vom 4.5.2020 hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Lediglich die mehrfachen körperlichen Misshandlungen der Klägerin durch ihren verstorbenen Ehemann stellten vorsätzliche, rechtswidrige Gewalttaten dar. Psychische Schädigungsfolgen ließen sich insoweit aber nicht abgrenzen. Die anatomischen Folgen der Schläge bedingten keinen relevanten GdS. Der Suizid des verstorbenen Ehemanns sei kein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff im Sinne des OEG.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Frage, ob ein Selbstmord ein Angriff iS von § 1 OEG sein könne, bedürfe grundsätzlicher Klärung. Zudem habe das LSG Verfahrensfehler begangen.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel (zu 1.), noch eine grundsätzliche Bedeutung (zu 2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Daran fehlt es hier.
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a) Die Klägerin rügt, das LSG habe nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil seine Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG irreführend gewesen sei. Indes teilt sie bereits den genauen Inhalt dieser Mitteilung nicht mit. Der Senat kann sich deshalb nicht, wie es erforderlich wäre, allein auf der Grundlage der Beschwerdebegründung ein abschließendes Urteil über die Verfahrensrüge bilden. Ohnehin braucht die Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG keine Angaben über die Gründe der beabsichtigten Entscheidung und der zugrunde liegenden Beweiswürdigung zu enthalten (Senatsbeschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - juris RdNr 29).
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b) Die Klägerin kritisiert darüber hinaus, das LSG habe sich nicht mit ihren Einwendungen gegen Person, Verfahren und Ergebnis der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. G. auseinandergesetzt. Indes hat sie diese Einwendungen wiederum nicht im Einzelnen mitgeteilt; ein Verweis auf die Ausführungen der Berufungsbegründung genügt dafür nicht.
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Zudem wendet die Klägerin sich mit dieser Rüge und mit dem Vorwurf, das LSG habe ihre Angaben zur Unverträglichkeit von Medikamenten "ohne jeden sachlichen Anhaltspunkt" als Schutzbehauptung angesehen, gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Diese entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indes vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN).
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In dieser Hinsicht hat die Beschwerde auch keine Verletzung rechtlichen Gehörs dargelegt. Art 103 Abs 1 GG schützt nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07 ua - juris RdNr 13 mwN). Entgegen der Ansicht der Beschwerde ergibt sich aus Art 103 Abs 1 GG in der Regel keine Pflicht des Tatsachengerichts, auf die beabsichtigte Würdigung der medizinischen Befunde und Beweisergebnisse hinzuweisen (vgl Senatsbeschluss vom 27.5.2015 - B 9 SB 66/14 B - juris RdNr 7 mwN). Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, warum die Beweiswürdigung des LSG überraschend gewesen sein sollte und das Gericht deshalb ausnahmsweise doch zu einem rechtlichen Hinweis verpflichtet haben könnte.
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c) Soweit die Beschwerde dem LSG vorwirft, es habe ohne ausreichende Tatsachengrundlage entschieden, scheint sie einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 103 SGG rügen zu wollen. Um mit dieser Rüge durchzudringen, hätte sie indes einen substantiierten, vom LSG übergangenen Beweisantrag bezeichnen müssen (vgl Senatsbeschluss vom 27.8.2020 - B 9 SB 4/20 B - juris RdNr 10 mwN). Das hat sie versäumt.
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2. Ebenso wenig dargelegt hat die Beschwerde die behauptete grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Diese kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - juris RdNr 7 mwN).
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Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des einschlägigen Gesetzes sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
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Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Die Klägerin hält es für klärungsbedürftig, ob der in Anwesenheit eines Dritten durchgeführte Suizid - insbesondere unter den besonderen Umständen ihres Falles - die Voraussetzungen des § 1 OEG erfüllen kann. Allerdings hat es die Beschwerdebegründung versäumt, sich ausreichend mit der Rechtsprechung des Senats zum Begriff des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG auseinanderzusetzen, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung zutreffend gestützt hat. Ein solcher Angriff setzt - über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus - eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Für diese ist nicht die innere Einstellung des Täters maßgebend, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns, die vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz verstanden wird (vgl zuletzt nur Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 23). Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich maßgeblich durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 52 mwN). Ohne das so im Sinne von Strafrechtswidrigkeit verstandene Merkmal der Rechtsfeindlichkeit würden im Opferentschädigungsrecht Billigkeitserwägungen drohen und die für die Bewertung des Täterverhaltens maßgebende normative Grenze ihre klaren Konturen verlieren (Senatsurteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 64).
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Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hätte die Beschwerde sich damit auseinandersetzen müssen, dass Selbstmord nach deutschem Recht straflos ist, wie das Berufungsgericht zu Recht im Einzelnen ausgeführt hat. Die Beschwerde hätte daher darlegen müssen, warum der Ehemann der Klägerin mit seinem straflosen Selbstmord trotzdem zugleich einen rechtswidrigen Angriff iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG auf sie hätte verüben können.
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Unabhängig davon fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit dem Tatbestandsmerkmal einer gewaltsamen Einwirkung, wie sie ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nach der Rechtsprechung des Senats beinhaltet. Allein die seelische Wirkung einer (Straf)-Tat auf das Opfer ohne Einsatz körperlicher Mittel kann das Erfordernis des tätlichen - im Sinne eines körperlichen - Angriffs mittels gewaltsamer Einwirkung nicht erfüllen oder ersetzen (Senatsurteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21 RdNr 25). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Beschwerde ebenfalls nicht substantiiert auseinander; daher legt sie keinen erneuten oder fortbestehenden Klärungsbedarf dar. Allein ihr Appell, den Gewaltbegriff "zu überdenken", weil auch tiefgreifende seelische Traumata körperliche Folgen hätten, genügt insoweit nicht (vgl Senatsurteil vom 16.12.2014, aaO).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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