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BSG 20.05.2020 - B 13 R 254/17 B
BSG 20.05.2020 - B 13 R 254/17 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Antrag auf Terminverlegung wegen Erkrankung - Einreichung eines unzureichenden ärztlichen Attestes
Normen
§ 62 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 S 1 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Speyer, 31. Mai 2016, Az: S 20 R 490/14, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 14. Juni 2017, Az: L 4 R 117/17, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Juni 2017 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten.
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Die Beklagte führte beim Kläger eine Kontenklärung im Rahmen eines Vormerkungsverfahrens (§ 149 Abs 5 SGB VI) durch und stellte die bis zum 31.12.2007 zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten verbindlich fest (Bescheid vom 25.3.2014). Dabei merkte sie bezogen auf den streitigen Zeitraum Pflichtbeitragszeiten vom 1.3. bis zum 31.5.1994 vor. Dagegen hat der Kläger Klage auf durchgehende Vormerkung der Zeiten von "Januar 1979 bis Oktober 1994" als Pflichtbeitragszeiten erhoben. Nachdem die Beklagte den darin liegenden Widerspruch zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom 5.8.2016), hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 31.5.2016). Im Berufungsverfahren hat das LSG den Kläger am 19.5.2017 zur mündlichen Verhandlung am 14.6.2017 geladen. Mit Telefax vom 12.6.2017, das am selben Tag um 18.26 Uhr beim LSG eingegangen ist, hat der seinerzeit nicht vertretene Kläger Terminverlegung beantragt. Er sei am 27.4.2017 am Fuß operiert worden und könne immer noch nicht laufen, wolle seine Argumente aber in der Verhandlung persönlich vortragen. Mit Schreiben vom 13.6.2017 hat das LSG ihn darauf hingewiesen, dass eine Terminsaufhebung derzeit nicht beabsichtigt sei, dies komme nur bei Vorlage eines ärztlichen Attestes über die Wegeunfähigkeit in Betracht. Daraufhin hat der Kläger mit Telefax vom 13.6.2017, das am selben Tag um 17.42 Uhr beim LSG eingegangen ist, eine formlose Bescheinigung des niedergelassenen Chirurgen Dr. M. G. vom 13.6.2017 vorgelegt, wonach er aufgrund einer Außenknöchelfraktur nicht ausreichend mobil sei. Das LSG hat am 14.6.2017 von 11.25 bis 11.50 Uhr in Abwesenheit des weiterhin unvertretenen Klägers mündlich verhandelt und die Berufung aufgrund dieser Verhandlung zurückgewiesen (Urteil vom 14.6.2017). Im Berufungsurteil hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Verlegungsgrund glaubhaft gemacht. Dass er reise- und/oder verhandlungsfähig sei, lasse das vorgelegte Attest nicht erkennen. Darin würden insbesondere die konkreten Auswirkungen der Außenknöchelfraktur nicht dargelegt.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Grundsatz der Mündlichkeit.
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II. 1. Die zulässige Beschwerde ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
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a) Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) in Verbindung mit dem Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) verletzt.
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aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (BSG Beschluss vom 28.8.1991 - 7 BAr 50/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5 mwN; BSG Beschluss vom 24.10.2013 - B 13 R 230/13 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 27.6.2019 - B 5 RE 10/18 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 13.12.2018 - B 5 R 192/18 B - juris RdNr 15). Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG vor und wird dies ordnungsgemäß beantragt, besteht grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (BSG Urteil vom 10.8.1995 - 11 RAr 51/95 - SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2 mwN; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 5 R 378/16 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 27.6.2019 - B 5 RE 10/18 B - juris RdNr 13), selbst wenn das persönliche Erscheinen des Klägers - wie vorliegend - nicht angeordnet worden ist (BSG Beschluss vom 21.7.2005 - B 11a/11 AL 261/04 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - juris RdNr 15 mwN; BSG Beschluss vom 24.10.2013 - B 13 R 230/13 B - juris RdNr 8). Dabei hat die zeitliche wie inhaltliche Behandlung von Anträgen auf Terminverlegung der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58 f mwN).
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bb) Diesen Anforderungen ist die Behandlung des klägerischen Terminverlegungsantrags durch das LSG nicht gerecht geworden. Der Kläger hat mittels Telefax vom 12.6.2017 deutlich gemacht, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen, und zugleich die Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung wirksam beantragt. Indem er vorgebracht hat, infolge einer Fußgelenksoperation nicht laufen zu können, hat er auch einen der Art nach beachtlichen Verlegungsgrund vorgetragen, denn die fehlende Reisefähigkeit stellt grundsätzlich einen erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG dar (BSG Beschluss vom 10.12.2019 - B 12 KR 69/19 B - juris RdNr 11). Zwar hat der Kläger die geltend gemachte Unfähigkeit, zum Termin anzureisen, nicht iS von § 227 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG glaubhaft gemacht. Wird ein Terminverlegungsantrag - wie vorliegend - erst kurz vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt und mit einer Erkrankung begründet, ist zur Glaubhaftmachung eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, die Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung angibt, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, die Verhandlungs- bzw Reiseunfähigkeit des Beteiligten selbst beurteilen zu können (BSG Beschluss vom 13.10.2010 - B 6 KA 2/10 B - SozR 4-1500 § 110 Nr 1 RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 13.12.2018 - B 5 R 192/18 B - juris RdNr 18). Der am 13.6.2017 ergänzend vorgelegten Bescheinigung des Chirurgen Dr. G. lassen sich aber keine Angaben zur Schwere und voraussichtlichen Dauer der krankheitsbedingten Einschränkungen entnehmen, die dem Kläger eine Teilnahme am Termin selbst unter Einsatz von Unterarmstützen oder anderen zumutbaren Hilfsmitteln unmöglich gemacht hätten. Gleichwohl durfte das LSG im Termin vom 14.6.2017 nicht in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Der zu diesem Zeitpunkt nicht vertretene Kläger hatte mit Überreichung des genannten Attestes aus seiner Sicht alles getan, um das LSG von der Notwendigkeit einer Terminverlegung zu überzeugen. Zwar hat das gerichtliche Schreiben vom 13.6.2017 den Hinweis enthalten, dass bei krankheitsbedingter Verhinderung ein ärztliches Attest über die Wegeunfähigkeit zu übersenden sei. Diesem Hinweis hat der Kläger indes Folge geleistet. Er hat ein ärztliches Attest vorgelegt, das er ausweislich des Datums offensichtlich zu diesem Zweck eingeholt hatte. Darin ist ihm eine nicht ausreichende Mobilität bescheinigt worden. Die damit in allgemeiner Form attestierte Unfähigkeit zu einem Ortswechsel entspricht aus Sicht eines juristischen und medizinischen Laien einer Wegeunfähigkeit. Dass die ärztliche Bescheinigung jedenfalls bei einem kurzfristig gestellten Antrag auf Terminverlegung wie dargelegt einen Inhalt aufweisen muss, der das Gericht in die Lage versetzt, die Reisefähigkeit der betreffenden Person selbst beurteilen zu können, ist dem gerichtlichen Schreiben vom 13.6.2017 nicht zu entnehmen. Das musste der zu diesem Zeitpunkt rechtskundig nicht vertretene Kläger auch nicht wissen. Auf Grund seiner Zweifel an einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit des Klägers hätte das LSG bzw der Senatsvorsitzende entweder den Kläger zur weiteren Glaubhaftmachung seines Vortrags durch Vorlage eines aussagekräftigen Attestes auffordern oder selbst eine nähere Stellungnahme des Chirurgen Dr. G. über das Ausmaß der Erkrankung des Klägers einholen müssen (zu dieser Pflicht vgl BSG Beschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 21.7.2009 - B 7 AL 9/09 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 13.12.2018 - B 5 R 192/18 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 10.12.2019 - B 12 KR 69/19 B - juris RdNr 11).
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b) Auf dem dargestellten Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen. Bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darin besteht, dass ein Verfahrensbeteiligter gehindert worden ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass sie für die Entscheidung ursächlich geworden ist (BSG Beschluss vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7 f; BSG Beschluss vom 11.2.2015 - B 13 R 329/13 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 27.6.2019 - B 5 RE 10/18 B - juris RdNr 17). Deshalb erübrigen sich Ausführungen dazu, inwieweit das angefochtene Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann (BSG Beschluss vom 7.12.2017 - B 5 R 378/16 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 27.6.2019 - B 5 RE 10/18 B - juris RdNr 17). Umstände, welche die Ursächlichkeit der gerügten Gehörsverletzung für das angefochtene Urteil ausnahmsweise ausschließen könnten (hierzu BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 56), sind nicht ersichtlich.
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c) Liegen - wie vorliegend - die Voraussetzungen eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
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2. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
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