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BSG 19.10.2016 - B 14 AS 150/16 B
BSG 19.10.2016 - B 14 AS 150/16 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung trotz des Hinweises auf beabsichtigte Ergänzung der noch unvollständigen Berufungsbegründung - nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Richterbank - absoluter Revisionsgrund
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 547 Nr 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Mainz, 23. Februar 2012, Az: S 10 AS 1394/09
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 10. Juni 2015, Az: L 3 AS 391/12, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Juni 2015 - L 3 AS 391/12 - aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der 1955 geborene, zuvor im Bezug von Alhi und seit Januar 2005 im Bezug von Alg II stehende Kläger wendet sich gegen die Aufhebung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum von Januar 2005 bis März 2007 für ein Haus, das ihm im Wege vorweggenommener Erbfolge 1995 überlassen worden war und das er Ende 2004 - nach notarieller Beurkundung - zum Kaufpreis von 2300 Euro seinem Sohn verkaufte. Nachdem der Beklagte zunächst bis März 2007 Alg II unter Berücksichtigung einer Summe von 260 Euro monatlich bewilligt hatte, die vom Kläger als "vertraglich vereinbarte Zahlung zur Abwendung des Nießbrauchsrechts" deklariert worden war, gelangte er im Weiteren zu der Überzeugung, dass ein Mietverhältnis zwischen Kläger und Sohn nicht bestehe, weshalb er für den hier streitbefangenen Zeitraum die für die Kaltmiete bestimmten Beträge zurückgefordert und für den Zeitraum von April 2007 bis zum 17.11.2009 unterkunftsbezogene Leistungen nur noch auf Nebenkosten erbracht hat; Letzteres ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens B 14 AS 149/16 B zum Berufungsverfahren L 3 AS 390/12.
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Nachdem die Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erstinstanzlich erfolglos geblieben war (Urteil vom 23.2.2012), hat der Kläger Berufung eingelegt und die Bewilligung von PKH beantragt. Im Begründungsschriftsatz hieß es eingangs: "Nachstehend wird zunächst lediglich verhältnismäßig kurz begründet, da die Prozesskostenhilfe noch nicht bewilligt wurde und der Kläger nur Leistungen nach SGB XII bezieht". Noch vor Entscheidung über den PKH-Antrag teilte das LSG mit Anhörungsschreiben vom 30.4.2015 mit, es sei beabsichtigt, über die Berufung nach § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden, da es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Auf den im Parallelverfahren L 3 AS 390/12 gegebenen und im hier streitbefangenen Verfahren in Bezug genommenen Hinweis der Klägerbevollmächtigten durch Schriftsatz vom 18.5.2015 auf die ausstehende Bescheidung des PKH-Antrags und dass daher "die Berufungsbegründung noch nicht fertig gestellt" sei, lehnte das LSG zunächst das PKH-Gesuch ab (Beschluss vom 27.5.2015, durch Telefax versandt am 3.6.2015) und wies dann die Berufung im Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG im Wesentlichen unter Bezug auf das Urteil des SG zurück (Beschluss vom 10.6.2015).
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Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG und rügt Verfahrensfehler.
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II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Beschluss des LSG beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), der vom Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet ist. Zu Recht beanstandet er, dass das LSG seine Berufung im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG schon vor Abgabe der abschließenden Berufungsbegründung zurückgewiesen hat.
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Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach § 153 Abs 4 SGG vorzugehen, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen ("kann"). Sie wird daher im Revisions- bzw Beschwerdeverfahren nur darauf geprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, ob also etwa der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris RdNr 7). Maßgebend dabei ist vor allem auch, ob die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens hinreichend berücksichtigt worden ist (vgl etwa BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 SB 14/11 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 9).
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Dem genügt der angefochtene Beschluss nicht. Bei seiner Entscheidung, unmittelbar im Anschluss an die Bekanntgabe der PKH-Ablehnung die Berufung im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG zurückzuweisen, hat das LSG den Hinweis der Klägerbevollmächtigten übersehen, dass die Berufungsbegründung im Hinblick auf den noch offenen PKH-Antrag noch unvollständig sei. Dabei kann offenbleiben, ob der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör schon verletzt ist, weil das LSG über das PKH-Gesuch und die Berufung praktisch zeitgleich entschieden hat (vgl dazu etwa BSG Beschluss vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9). Jedenfalls durfte das LSG nicht davon ausgehen, dass die Berufung bereits vollständig und abschließend begründet worden war. Wie in der Rechtsprechung geklärt ist, resultiert aus der verfassungsrechtlichen Gewähr der Rechtsschutzgleichheit, dass der unbemittelte Beteiligte zunächst die Bewilligung von PKH beantragen und deren Entscheidung abwarten kann, bevor er einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt (stRspr, vgl etwa BVerfG <Kammer> Beschluss vom 13.7.1992 - 1 BvR 99/90 - juris RdNr 16; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.1.1996 - 2 BvR 306/94 - juris RdNr 7). Demgemäß hat das BSG bereits entschieden, dass das LSG einem PKH-Antragsteller nach ablehnender PKH-Entscheidung nochmals Gelegenheit zur Begründung der Berufung geben muss, wenn sich der Berufungskläger mehrfach zur Abgabe einer Berufungsbegründung außerstande erklärt und um Bewilligung von PKH sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts gebeten hat (BSG Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 31/13 B - juris).
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Das liegt hier nicht deshalb anders, weil die Bevollmächtigte des Klägers zur Begründung seines PKH-Antrags bereits eine vorläufige Berufungsbegründung abgegeben hatte. Denn sowohl in dieser vorläufigen Begründung selbst wie nochmals mit dem Schriftsatz in Reaktion auf die Anhörungsmitteilung des LSG nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass die Berufungsbegründung aus ihrer Sicht noch nicht vollständig ist ("noch nicht fertig gestellt"). Das durfte das LSG nicht übergehen und den Kläger so behandeln, als habe er alles aus seiner Sicht Relevante bereits vorgetragen. Damit würde er unzulässig gegenüber einem PKH-Antragsteller benachteiligt, der eine Berufungsbegründung überhaupt noch nicht vorgelegt hat (zu einer vergleichbaren Konstellation bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach § 124a Abs 6 VwGO vgl BVerwG Beschluss vom 23.7.2003 - 1 B 386/02 - juris RdNr 3). Aufgrund dessen lagen im Zeitpunkt der Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren die Voraussetzungen von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG noch nicht vor, was zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ohne ehrenamtliche Richter führt (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 15 mwN) und mithin einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO begründet, ohne dass zu prüfen ist, was der Kläger beim weiteren Fortgang des Berufungsverfahrens vorgetragen hätte.
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Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von dem ihm gemäß § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen zur Verfahrensbeschleunigung Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
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Das LSG wird bei Abschluss des wiedereröffneten Berufungsverfahrens auch über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden haben.
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