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BSG 20.01.2016 - B 14 AS 188/15 B
BSG 20.01.2016 - B 14 AS 188/15 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Verwerfung der Berufung durch das Berufungsgericht wegen Unzulässigkeit - Überprüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts von Amts wegen - nicht ausreichende Zweifel an der Wirksamkeit der Generalvollmacht als Prozessvollmacht - Verfahrensfehler
Normen
§ 73 Abs 6 S 1 SGG vom 22.12.2011, § 73 Abs 6 S 4 SGG vom 22.12.2011, § 73 Abs 6 S 5 SGG vom 22.12.2011
Vorinstanz
vorgehend SG Cottbus, 18. Dezember 2012, Az: S 2 AS 4421/11, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 5. Juni 2015, Az: L 5 AS 1255/13, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Juni 2015 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit war die Rechtmäßigkeit eines "Absenkungsbescheids" vom 9.7.2010 wegen Versäumung eines Meldetermins am 3.6.2010 umstritten. Insoweit ist mit Schriftsatz des Rechtsanwalts L. unter Bezugnahme auf "die in den Verwaltungsakten befindliche allgemeine Prozessvollmacht des Klägers" Klage erhoben worden, die das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 18.12.2012 als unzulässig abgewiesen hat. Auf die Beschwerde durch Rechtsanwalt L. hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zugelassen und diese mit dem angegriffenen Beschluss vom 5.6.2015 nach Anhörung der Beteiligten als unzulässig verworfen. Die Berufung sei unzulässig, da anzunehmen sei, dass Rechtsanwalt L. nicht bevollmächtigt gewesen sei, die Berufung bzw die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung einzulegen. Zwar bestimme § 73 Abs 6 Satz 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der seit 1.7.2008 gültigen Fassung, dass das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen berücksichtigen kann, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. In diesem Fall entfalle jedoch nur die Pflicht und nicht die Befugnis des Gerichts, den Mangel der Vollmacht unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen und zu berücksichtigen. Vorliegend bestünden Zweifel an der Bevollmächtigung, was sich zum einen daraus ergebe, dass die Kläger zweier Verfahren, die am 5.5.2015 vor einem anderen Senat verhandelt worden seien, übereinstimmend angegeben hätten, von den in ihrem Namen geführten Berufungsverfahren erst durch die ihnen zugestellten Ladungen erfahren zu haben. Zum anderen sei die Berufung selbst dann unzulässig, wenn man die von Rechtsanwalt L. dem Beklagten vorgelegten Vollmachten vom 31.5.2010, 10.3.2011 und 30.6.2011 als "zu den Gerichtsakten" eingereicht sehe. Die Vollmacht vom 31.5.2010 nenne keinen Bevollmächtigten, im Übrigen ließen alle drei Vollmachten nicht erkennen, dass Rechtsanwalt L. für das vorherige Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren bzw für das nunmehr registrierte Berufungsverfahren bevollmächtigt gewesen sei.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG). Er rügt Verfahrensmängel unter verschiedenen Gesichtspunkten. Zum einen habe das LSG entgegen des Wortlauts von § 73 Abs 6 Satz 5 SGG die Vorlage einer verfahrensbezogenen Vollmacht im Original verlangt, obwohl die Tatsache, dass von zahllosen Mandanten zwei den Inhalt der von ihnen unterschriebenen Vollmacht nicht richtig gelesen bzw verstanden hätten, es nicht rechtfertige, die Vertretungsberechtigung des Rechtsanwalts auch in anderen Verfahren anzuzweifeln. Da das Anhörungsschreiben des LSG vom 12.5.2015 darüber hinaus keinerlei Ausführungen darüber enthalte, welche Kläger gegenüber dem LSG welche Äußerungen gemacht hätten und Einzelheiten erstmals in dem angegriffenen Beschluss wiedergegeben würden, sei auch das Recht des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt.
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Der Beklagte äußert Zweifel, ob die von Rechtsanwalt L. für den Kläger eingelegte Beschwerde wirksam erhoben sei, da Zweifel an dessen Bevollmächtigung bestünden. Im Übrigen liege der gerügte Verfahrensfehler nicht vor.
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II. Auf die Beschwerde des Klägers ist der Beschluss des LSG vom 5.6.2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Kläger rügt zu Recht, dass das LSG seine Berufung wegen der fehlenden Vorlage einer das Berufungsverfahren konkret bezeichnenden Prozessvollmacht als unzulässig verworfen hat.
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Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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a) Der Zulässigkeit der Beschwerde des Klägers steht ein mangelnder Nachweis der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Rechtsanwalts L. nicht entgegen. Wie nicht in Zweifel gezogen wird, hat der Kläger Rechtsanwalt L. mit mindestens zwei Vollmachtsschreiben bevollmächtigt, ihn "wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche gegen die oben genannte Behörde" (den Beklagten) zu vertreten. Die Vollmacht erstrecke sich sowohl auf das Verwaltungs-, Widerspruchs- als auch das gerichtliche Verfahren und auf alle Verfahren und alle Instanzen. Diese Erklärung lässt im Sinne der an eine ordnungsgemäße Vollmacht nach § 73 Abs 6 Satz 1 SGG zu stellenden Anforderungen keinen Zweifel daran, wer bevollmächtigt ist, wer bevollmächtigt hat und wozu bevollmächtigt worden ist (vgl zur entsprechenden Bestimmung des § 62 Abs 3 Satz 1 Finanzgerichtsordnung Bundesfinanzhof <BFH> Urteil vom 17.7.1984 - VIII R 20/82 - BFHE 141, 463, 465), nämlich Rechtsanwalt L. ua zur Einlegung von Rechtsmitteln in Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Kläger und dem Beklagten und damit auch zur Einlegung der Beschwerde beim BSG.
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Anlass dafür, diese Vollmacht entgegen der ständigen Rechtsprechungspraxis aller obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Wirksamkeit von Generalvollmachten als Prozessvollmacht (vgl etwa BSG Beschluss vom 26.1.1998 - B 2 U 299/97 B - juris RdNr 5) ausnahmsweise nicht als beachtlich anzusehen und von Rechtsanwalt L. daher zusätzlich die Vorlage einer weiteren, auf das vorliegende Beschwerdeverfahren konkret bezogenen Vollmacht zu verlangen, besteht nicht. Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis einer Prozessvollmacht durch Generalvollmacht angebracht sein können (vgl etwa BSG Beschluss vom 11.3.1985 - 7 RAr 117/84 - SozR 1500 § 166 Nr 12 S 14, 18). Unter Berücksichtigung ihrer weitreichenden Auswirkungen für den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen wird die Annahme, dass eine als Prozesshandlung (vgl die Nachweise bei Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 73 RdNr 61) erteilte Prozessvollmacht entgegen ihres äußeren Anscheins überhaupt nicht oder nicht mehr gelten soll, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 Grundgesetz und des Rechtsstaatsprinzips allerdings nur unter außerordentlich gelagerten Umständen angenommen werden können.
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Raum für Zweifel an einer erteilten Prozessvollmacht besteht seit der Neufassung des § 73 SGG durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (im Folgenden: RBerNG) vom 12.12.2007 (BGBl I 2840) prozessual nur noch, wenn entsprechende Umstände von dem anderen Beteiligten gestützt auf § 73 Abs 6 Satz 4 SGG substantiiert in das Verfahren eingeführt worden sind oder Anlass für Zweifel von Amts wegen nach § 73 Abs 6 Satz 5 SGG besteht, woran es hier fehlt. Weder hat der erkennende Senat von Amts wegen eigene Erkenntnisse, die darauf hindeuten könnten, dass Rechtsanwalt L. in einer größeren Zahl von Fällen trotz der Beendigung des Mandatsverhältnisses gestützt auf früher erteilte Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, noch sind solche Umstände von dem Beklagten substantiiert dargetan worden. Er hat zwar unter Angabe des jeweiligen Aktenzeichens eine größere Zahl von beim SG Cottbus anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahren benannt, in denen teilweise erklärt worden sei, dass die Klagen oder andere Verfahren nicht mit dem Willen der Kläger in Einklang stünden. Zudem seien wiederholt Klagen von Klägern persönlich zurückgenommen worden. Hinreichend substantiiert wäre das allerdings nur, wenn der Senat dadurch ohne eigene Nachforschungen unmittelbar beurteilen könnte, ob der Vorwurf einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf Generalvollmachten durch Rechtsanwalt L. berechtigt erscheint, was mangels näherer Angaben indes nicht möglich ist.
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b) Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Da der Mangel der Vollmacht von Rechtsanwalt L. von dem Beklagten nicht gerügt worden war, durfte das LSG ihn zur Vorlage einer konkret auf das Berufungsverfahren bezogenen Prozessvollmacht nur auffordern und anschließend die Berufung des Klägers unter Hinweis auf die fehlende Vorlage als unzulässig verwerfen, wenn iS von § 73 Abs 6 Satz 5 SGG von Amts wegen ernstliche Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis der Prozessvollmacht bestanden haben, was nach den Feststellungen des LSG nicht belegt ist.
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Nach § 73 Abs 6 Satz 1 SGG muss derjenige, der als Prozessvertreter eines anderen auftritt, seine Bevollmächtigung durch schriftliche Vollmacht nachweisen. Fehlt es daran, so hat das Gericht den Mangel der Vollmacht gemäß § 73 Abs 6 Satz 5 SGG (hier idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 <BGBl I 3057>) von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Diese auf das RBerNG zurückgehende Vorschrift (ursprünglich § 73 Abs 6 Satz 4 SGG idF des RBerNG) zielt nach den Materialien darauf, in Übereinstimmung mit den anderen Verfahrensordnungen künftig auch im sozialgerichtlichen Verfahren den Mangel der Vollmacht nicht mehr von Amts wegen zu überprüfen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtanwalt auftritt (vgl BT-Drucks 16/3655, S 96, ebenso dort S 90 zur neugefassten Vorschrift des § 80 Zivilprozessordnung).
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Danach mag die Regelung die Überprüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts von Amts wegen zwar nicht generell ausschließen (in diesem Sinne etwa BGH Urteil vom 5.4.2001 - IX ZR 309/00 - NJW 2001, 2095, 2096 zu der § 73 Abs 6 Satz 5 SGG entsprechenden Fassung des § 88 Abs 2 ZPO; BFH Beschluss vom 11.11.2009 - I B 152/09 - RdNr 5 f; BFH Beschluss vom 7.5.2014 - II B 117/13 - RdNr 6; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> Urteil vom 27.6.2011 - 8 A 1/10 - RdNr 16; enger dagegen Bundesarbeitsgericht Beschluss vom 18.3.2015 - 7 ABR 6/13 - RdNr 14). Die Prüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts ohne Rüge der Gegenseite ist mit der Zielrichtung von § 73 Abs 6 Satz 5 SGG aber jedenfalls nur vereinbar, wenn das Verhalten des Rechtsanwalts ernstliche Zweifel daran aufkommen lässt, dass er über die notwendige Vollmacht verfügt (vgl BGH Urteil vom 5.4.2001, aaO: Weckt ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter selbst ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit seiner Bevollmächtigung, darf das Gericht diese auch von Amts wegen prüfen; ähnlich BVerwG Urteil vom 27.6.2011, aaO: Keine ordnungsgemäße Bezeichnung des angeblich vertretenen Klägers).
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Solche Anhaltspunkte lassen sich den Feststellungen der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend entnehmen. Dagegen spricht zum einen, dass das LSG mit Beschluss vom 3.5.2013 die Berufung gegen das Urteil des SG zugelassen hat, ohne dass die Frage einer mangelnden Vollmacht thematisiert worden ist. Zum anderen ist es nicht ohne Weiteres und ohne zusätzliche Hinweise ansonsten ausreichend, dass andere Kläger zweier Verfahren beim 29. Senat des LSG in einer Sitzung vom 5.5.2015 übereinstimmend angegeben hätten, von den in ihrem Namen geführten Berufungsverfahren erst durch die ihnen zugestellten Ladungen erfahren zu haben. Zwar können Zweifel an der fortdauernden Gültigkeit der einem Rechtsanwalt früher erteilten Generalvollmacht bestehen, wenn feststeht, dass er in einer größeren Zahl von Fällen unter Rückgriff auf solche Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl das Mandatsverhältnis von den Mandanten bereits beendet worden war. Kein Anlass zu grundsätzlichen Zweifeln können aber Fehler begründen, die auch einem schlichten Büroversehen zuzuordnen sein können. Der Hinweis des LSG auf die Angaben von zwei Klägern ohne Aufklärung der näheren Umstände ist daher nicht ausreichend. Das gilt selbst dann, wenn das LSG zusätzlich auf drei Vollmachtsschreiben Bezug nimmt, von denen eines keinen Bevollmächtigten nennt. Das LSG hat daraus aber keine unter Auswertung des sonstigen Akteninhalts weitergehenden Schlüsse gezogen, insbesondere ist der Einwand des Beklagten, im streitigen Zeitraum sei mindestens auch ein anderer Rechtsanwalt beauftragt gewesen, was ggf tatsächlich zu Zweifeln an einer wirksamen Bevollmächtigung führen könnte, nicht aufgegriffen worden.
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
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