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BSG 08.04.2014 - B 8 SO 49/13 B
BSG 08.04.2014 - B 8 SO 49/13 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - partielle Prozessunfähigkeit eines Beteiligten - Absehen von der Bestellung eines besonderen Vertreters - keine offensichtliche Haltlosigkeit des Vorbringens - absoluter Revisionsgrund
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 72 Abs 1 SGG, § 71 Abs 1 SGG, § 104 Nr 2 BGB, § 202 SGG, § 547 Nr 4 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Gießen, 27. März 2012, Az: S 20 SO 249/07, Urteil
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 26. September 2012, Az: L 4 SO 178/12, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2012 - L 4 SO 178/12 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Im Streit ist die Höhe der zu erstattenden Kosten für ein teilweise erfolgreiches Widerspruchsverfahren.
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Der 1958 geborene, nicht unter Betreuung stehende Kläger, der an einer paranoiden Persön-lichkeitsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, ist voll erwerbsgemindert und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Einem Widerspruch wegen der Absetzung der Mitgliedsbeiträge für den VdK half der Beklagte teilweise ab und entschied, dass im Widerspruchsverfahren entstandene notwendige Aufwendungen auf Antrag in Höhe von 50 vom Hundert erstattet werden sollten. Der Kläger machte 10,40 Euro nebst 2,97 Euro Zinsen geltend; der Beklagte setzte die erstattungsfähigen Kosten auf 3,05 Euro nebst 1,26 Euro Zinsen fest (Bescheid vom 20.6.2007; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2007). Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27.3.2012).
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Das hiergegen angerufene Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es von einer partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers ausgehe. Die Berufung des Klägers hat es sodann als unzulässig verworfen (Urteil vom 26.9.2012). Die Berufung sei wegen der partiellen Geschäftsunfähigkeit bereits unzulässig. Der Bestellung eines besonderen Vertreters für den Kläger bedürfe es nicht. Die Berufung sei in der Sache offensichtlich haltlos. Die Kosten für das Vorverfahren seien zutreffend erstattet worden.
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Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil rügt der Kläger einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Das LSG habe zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 SGG abgesehen, weil in der Sache keine offensichtlich haltlose Rechtsverfolgung vorliege.
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II. Die durch den vom Senat bestellten besonderen Vertreter des Klägers eingelegte Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ist zulässig; sie genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Da der gerügte Verfahrensmangel auch vorliegt, konnte das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
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Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen § 72 Abs 1 SGG, weil das LSG zu Unrecht von der Bestellung eines besonderen Vertreters für den bereits im Klage- und Berufungsverfahren prozessunfähigen Kläger abgesehen hat. Der Kläger war dadurch im Verfahren nicht wirksam vertreten (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des LSG auf ihm beruht.
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Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65).
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Eine solche partielle Prozessunfähigkeit im Hinblick auf die Führung von sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten liegt nach den überzeugenden Feststellungen des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. U. in dem vom LSG beigezogenen psychiatrischen Gutachten vom 27.5.2012 zur Frage der Schuldfähigkeit wegen begangener Beleidigungen gegenüber Richtern und dem vom LSG selbst in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten vom 9.1.2010 vor, wie der Senat im Einzelnen in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom 8.4.2014 (B 8 SO 48/13 B) ausgeführt hat; hierauf wird im Einzelnen Bezug genommen.
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Im Berufungsverfahren durfte nicht davon abgesehen werden, einen besonderen Vertreter für den partiell prozessunfähigen Kläger zu bestellen. Steht - wie vorliegend - die Prozessunfähig-keit für den Prozess fest, kann dieser grundsätzlich nur mit einem besonderen Vertreter fortge-führt werden, wenn eine sonstige gesetzliche Vertretung nicht gewährleistet ist und - wie hier - das Amtsgericht von der Bestellung eines Betreuers abgesehen hat (im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 9). Zwar sind Ausnahmen von der Vertreterbestellung dann für zulässig erachtet worden, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabs das Rechtsmittel eines Prozessunfähigen "offensichtlich haltlos" ist (BSGE 5, 176, 178 f), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht von sich gibt oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG SozR 4-1500 § 72 Nr 2 RdNr 10).
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Ein solches haltloses Begehren liegt aber nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf höhere Erstattung von Kosten des Widerspruchsverfahrens ein haltloses Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz darstellt. Dass der geltend gemachte Anspruch aus Sicht des LSG nicht besteht, macht allein ein Vorbringen nicht haltlos. Es ist damit nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, dass zumindest nach Hinweisen des Vorsitzenden (§ 106 SGG) unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl nur: BSGE 74, 77 ff = SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 49 ff; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 92 RdNr 12 mwN) ein besonderer Vertreter oder ein von diesem bestellter Prozessbevollmächtigter in der Lage ist, im wohlverstandenen Interesse des Klägers sachdienliche Klageanträge mit hinreichendem Bezug zum materiellen Recht zu formulieren.
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Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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