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BSG 06.10.2011 - B 9 V 12/11 B
BSG 06.10.2011 - B 9 V 12/11 B - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrenmangel - Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz - Beweisantrag - ohne hinreichende Begründung unterlassene Beweiserhebung - Zurückverweisung
Normen
§ 103 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Mainz, 28. August 2008, Az: S 1 VG 2/06, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 9. März 2011, Az: L 4 VG 7/08, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. März 2011 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Der 1965 geborene Kläger beansprucht die Gewährung höherer Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) von einem früheren Zeitpunkt an.
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Bei dem Kläger, der am 28.12.1998 Opfer eines Messerangriffs durch seinen jüngeren Bruder mit zahlreichen Stichverletzungen geworden war, erkannte das beklagte Land mit Bescheid vom 1.8.2005 - in Abänderung des Bescheides vom 2.11.2000 - als Schädigungsfolgen neben einer allgemeinen Belastbarkeitsminderung nach Verletzung der rechten Herzkammer, der Lunge mit nachfolgender Pleuraschwarte, Narbenschmerzen nach Messerstichverletzungen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) an und gewährte Grundrente nach einer Gesamt-MdE um 30 vH ab 1.1.2005. Durch Teilabhilfebescheid vom 30.11.2005 setzte der Beklagte den Rentenbeginn auf den 1.3.2003 fest.
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In dem für den Kläger nur hinsichtlich einer Neubezeichnung der Schädigungsfolgen erfolgreichen Klageverfahren (Urteil des Sozialgerichts Mainz <SG> vom 28.8.2008) ließ das SG ua im Februar 2008 ein nervenärztliches Gutachten von Dr. S. erstatten. Im Berufungsverfahren wurden neben einer Auskunft des Arbeitgebers des Klägers nach § 109 SGG ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten der Dr. H. aus Dezember 2009 sowie von Amts wegen gutachterliche Stellungnahmen von Prof. Dr. O. (seit 2004 ausgeschiedener Chefarzt der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universität Mainz) aus Juni 2010 sowie ein internistisch-gastroenterologisches Gutachten von Prof. Dr. J. (Katholisches Klinikum Mainz) aus Januar 2011 eingeholt. Dabei bewerteten Dr. H. und Prof. Dr. O. den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) des Klägers mit 30. Durch Urteil vom 9.3.2011 hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) unter Nichtbefolgung der vom Kläger gestellten Hilfsanträge die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde erhoben, mit der er als Verfahrensmängel die Verletzung der Sachaufklärungspflicht sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt. Das LSG sei seinem Beweisantrag auf Vernehmung von Zeugen zum Beweis des Vorliegens einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten und näher bezeichneten Besonderheiten ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Zudem habe das LSG auch den weiteren Antrag, die Sachverständige Dr. H. zur mündlichen Verhandlung zu laden und dieser ergänzende Fragen zu stellen, ohne hinreichende Begründung abgelehnt. Letzteres bedinge auch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil ist unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) ergangen, jedenfalls soweit die beantragten Zeugenvernehmungen unterlassen worden sind. Dieser vom Kläger schlüssig gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Er führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
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Das LSG hat seine in § 103 SGG normierte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts dadurch verletzt, dass es ohne hinreichende Begründung dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 9.3.2011 ausdrücklich aufrechterhaltenen Beweisantrag nicht gefolgt ist, die Zeugen Frau G., Frau F. E., Herrn C. E., Herrn Y. , Herrn E. und Herrn H. E. dazu zu vernehmen, "dass beim Kläger eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vorliegt, mithin, dass der Kläger beruflich vermindert einsatzfähig war und ist und sein Arbeitsplatz schon immer erheblich gefährdet war, sowie, dass bei dem Kläger erhebliche familiäre Probleme bzw Eheprobleme durch Kontaktverlust und Nivellierung vorlagen und weiter vorliegen, sowie dass der Kläger seit dem schädigenden Ereignis nicht mehr Auto gefahren ist" (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung (Zeugenvernehmung) vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen wäre, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt bzw den Punkten weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr, vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen, insbesondere bevor es eine Beweislastentscheidung trifft. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10). Keiner dieser Ablehnungsgründe liegt hier vor.
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Der Kläger hat mit seinem Beweisantrag unter Beweis gestellt, dass die Folgen der PTBS für ihn erheblich schlimmer sind, als insbesondere die Sachverständige Dr. H. angenommen und ihrer gutachterlichen Beurteilung des GdS zugrunde gelegt hatte. Letzteres zeigt sich insbesondere daran, dass der Kläger ausweislich seines zu 2. gestellten Hilfsantrages dieser Sachverständigen insbesondere Fragen zum Ausgang der Zeugenbefragungen stellen wollte. Da im bisherigen tatgerichtlichen Verfahren noch keine gezielte Beweisaufnahme zum Umfang der Störungen und Schwierigkeiten des Klägers stattgefunden hatte, die durch die mit der als Schädigungsfolge anerkannten PTBS im Zusammenhang gebracht werden können, und insbesondere zu berücksichtigen ist, dass die eigenen Angaben eines psychisch erkrankten Menschen gerade wegen seiner Erkrankung möglicherweise nicht zuverlässig sind, trägt der Hinweis des LSG auf die bisherigen anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber der Sachverständigen Dr. H. die Ablehnung der Zeugenvernehmungen nicht. Zwar hat das LSG durchaus erörtert, welche Umstände der Kläger gegenüber der Sachverständigen geschildert habe (Angstzustände, mangelnden Mut, Auto zu fahren, familiäre Schwierigkeiten). Es hat indes nicht ohne Weiteres davon ausgehen dürfen, dass sich diese Umstände mit denen decken, die der Kläger unter Zeugenbeweis gestellt hatte. Daher reicht es insoweit nicht aus, wenn das LSG die bei der Sachverständigen gemachten Angaben als wahr unterstellt oder als bereits bewiesen angesehen hat. Sollte das LSG angenommen haben, dass die benannten Zeugen hinsichtlich der konkreten Anpassungsschwierigkeiten des Klägers nichts anderes würden bekunden können, als der Kläger selbst etwa gegenüber der Sachverständigen Dr. H. angegeben hatte, handelte es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.
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Auf dem fehlerhaften Unterlassen dieser Beweisaufnahme kann die angefochtene Entscheidung beruhen, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Durchführung der beantragten Zeugenvernehmungen neue Gesichtspunkte ergeben hätte, die möglicherweise dazu geführt hätten, dass das LSG eine weitere medizinische Beweisaufnahme durchgeführt hätte, und danach im Rahmen seiner aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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