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BSG 11.05.2011 - B 6 KA 1/11 B
BSG 11.05.2011 - B 6 KA 1/11 B - Vertrags(zahn)ärztliche Versorgung - missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft - Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung - Korrektur - Honorarbescheide
Normen
§ 82 Abs 1 SGB 5, § 45 Abs 2 S 1 BMV-Ä, § 34 Abs 4 S 2 EKV-Ä, § 19 Buchst a BMV-Z, § 17 Abs 1 S 1 EKV-Z, § 98 Abs 2 Nr 13a SGB 5, § 33 Abs 1 Ärzte-ZV vom 20.07.1977, § 33 Abs 1 Zahnärzte-ZV vom 21.12.1992
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 25. April 2007, Az: S 24 KA 301/05, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 10. November 2010, Az: L 3 KA 53/07, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. November 2010 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8306 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Streitig ist die Rückforderung vertragsärztlicher Leistungen wegen missbräuchlicher Nutzung der Rechtsform der Praxisgemeinschaft.
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Der Kläger, ein Facharzt für Allgemeinmedizin, der im Quartal I/2002 zusammen mit Dr. W., ebenfalls Facharzt für Allgemeinmedizin, eine Praxisgemeinschaft führte, hatte in diesem Quartal insgesamt 1108 Behandlungsfälle. 661 dieser Patienten (59,66 %) waren in diesem Quartal auch bei Dr. W. in Behandlung.
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Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung forderte vom Kläger Honorar von 8306,04 Euro zurück: Die Differenz zu dem Vergütungsanspruch einer hypothetischen Gemeinschaftspraxis betrage 17 827,95 Euro, wovon 8306,04 Euro auf den Kläger entfielen. Dieser und Dr. W. hätten die Praxisgemeinschaft arbeitsteilig wie eine genehmigungspflichtige Gemeinschaftspraxis betrieben (Bescheid vom 22.6.2004; Widerspruchsbescheid vom 6.9.2005).
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Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 25.4.2007; Urteil des LSG vom 10.11.2010). In dem Urteil des LSG ist ausgeführt, die von der Beklagten vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung sei rechtmäßig. Der Kläger habe sich Honorareinnahmen verschafft, die er bei korrekter Zusammenarbeit innerhalb der Praxisgemeinschaft nicht hätte erlangen können. Der Kläger und Dr. W. hätten die von ihnen gewählte Rechtsform einer Praxisgemeinschaft - in der jeder eine eigene Praxis mit einem eigenen Patientenstamm und eine eigene ausschließlich ihm zur Verfügung stehende Patientenkartei führt und die nur organisatorisch mit der anderen Praxis verbunden ist - nicht entsprechend dieser Struktur praktiziert. Dies ergebe sich schon aus dem gemeinschaftlichen Patientenanteil von mehr als 50 %. Das BSG habe deutlich gemacht, dass schon ein gemeinschaftlicher Patientenanteil von 20 % eine Abrechnungsauffälligkeit darstelle. Dieser Wert sei mit 29,34 % auch dann überschritten, wenn die vom Kläger geltend gemachten 334 "urlaubsbedingt zulässigen Vertretungsfälle" herausgerechnet würden. Eine Überschreitung der Quote von 20 % reiche jedenfalls in Verbindung mit anderen Umständen, die für eine Zusammenarbeit nach Art einer Gemeinschaftspraxis sprächen, für die Annahme eines Formenmissbrauchs aus.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
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II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
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1. Das Vorbringen des Klägers, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG), entspricht zwar bei wohlwollender Betrachtung den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Seine Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt.
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Eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (siehe die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG <Kammer> SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).
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Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage lautet - verkürzt - dahin,
ob die Rechtsprechung des BSG zur Praxisgemeinschaft nach Umwandlung aus einer Gemeinschaftspraxis ohne Weiteres auf Fälle angewandt werden kann, in denen originär eine Praxisgemeinschaft gegründet wurde und nie eine Gemeinschaftspraxis betrieben worden war.
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Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, denn die Antwort auf sie lässt sich ohne Weiteres aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung ableiten.
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Das BSG hat in seinem Urteil vom 22.3.2006 (BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6) ausgeführt, dass bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft iS des § 33 Abs 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte bzw Vertragszahnärzte (in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung) Honorarbescheide korrigiert werden können. Ein derartiger Formenmissbrauch liegt vor, wenn Ärzte oder Zahnärzte ihre Zusammenarbeit im Innen- und Außenverhältnis so gestalten, wie dies für eine Gemeinschaftspraxis (heute: Berufsausübungsgemeinschaft) typisch ist. Eine solche Form der Kooperation kann - wie auch im vorliegenden Fall gemäß den Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) - zu einem hohen Anteil an Patienten führen, an deren Behandlung sowohl der betroffene Arzt als auch der bzw die Kollege(n) gemeinsam beteiligt sind. Ein hoher gemeinsamer Patientenanteil spricht stets dafür, dass die Rechtsform der Praxisgemeinschaft im Praxisalltag nicht transparent realisiert wurde (BSG vom 22.3.2006 aaO RdNr 18 f). Zur Frage, ab welcher Größenordnung ein in diesem Sinne auffälliger Anteil gemeinsam behandelter Patienten vorliegt, wird in dem Urteil zwar nicht abschließend Stellung genommen. Es wird aber auf die Richtlinien hingewiesen, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen vereinbart haben und nach denen bereits bei 20 % Patientenidentität - bzw bei 30 % im Falle gebietsübergreifender/versorgungsübergreifender Praxisgemeinschaften - eine Abrechnungsauffälligkeit anzunehmen ist (BSG aaO RdNr 19; zum Quotenmaßstab siehe auch BSG Beschlüsse vom 17.9.2008 - B 6 KA 65/07 B - RdNr 10 - und vom 5.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - RdNr 12). Jedenfalls dann, wenn zwei kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebiets mehr als 50 % der Patienten gemeinsam behandeln, liegt eine für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit mit Behandlung eines gemeinsamen Patientenstamms vor; eine Patientenidentität von so großem Ausmaß ist nur vorstellbar mit Hilfe der Koordinierung des Patientenaufkommens in einer für Gemeinschaftspraxen typischen einheitlichen Praxisorganisation (BSG vom 22.3.2006 aaO RdNr 20).
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Es liegt ohne Weiteres auf der Hand, dass diese Maßstäbe auch dann gelten, wenn die Partner von vornherein die Rechtsform der Praxisgemeinschaft wählen. Dem Senatsurteil vom 22.3.2006 lag zwar die spezielle Konstellation einer Praxisgemeinschaft nach Umwandlung der Gemeinschaftspraxis in eine Praxisgemeinschaft zugrunde. Die Ausführungen in dem Urteil sind aber nicht auf diese Konstellation beschränkt. Dort ist ausgeführt, dass "ein Gestaltungsmissbrauch bei einer so hohen Quote von Doppelbehandlungen insbesondere dann vor[liegt], wenn unter der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft eine vormals von diesen Vertragsärzten betriebene Gemeinschaftspraxis unter vergleichbaren Praxisbedingungen faktisch fortgeführt wird" (BSG aaO RdNr 20). Bereits diese Wendung "insbesondere" zeigt, dass die Grundsätze zum Formenmissbrauch auch für andere Konstellationen gelten. Liegt ein hoher gemeinsamer Patientenanteil vor, wie er im Regelfall nur in einer für Gemeinschaftspraxen typischen einheitlichen Praxisorganisation koordiniert werden kann, und wurde die Rechtsform der Praxisgemeinschaft im Praxisalltag nicht transparent realisiert (vgl BSG aaO RdNr 18, 20), so gilt stets die Vermutung eines Gestaltungsmissbrauchs, auch dann, wenn originär eine Praxisgemeinschaft gegründet wurde und nie eine Gemeinschaftspraxis betrieben worden war. Damit lässt sich die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats beantworten. Zu ihrer Klärung bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.
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Im Übrigen hat das LSG in seinem Urteil substantiiert dargelegt, welchen zusätzlichen Umständen - über eine außerordentlich hohe Quote von Doppelbehandlungen hinaus - es weitere Anzeichen für das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs entnommen hat (s LSG-Urteil S 10-12; zu dem allem vgl Senatsurteil vom 22.3.2006 aaO sowie Beschlüsse vom 17.9.2008 aaO und vom 5.11.2008 aaO). Eine ungeklärte Frage grundsätzlicher Bedeutung ist insoweit weder aufgeworfen noch ersichtlich.
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2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
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Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Die Bemessung des Streitwerts erfolgt entsprechend dem Rückforderungsbetrag.
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