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BVerfG 13.12.2023 - 1 BvR 1705/23
BVerfG 13.12.2023 - 1 BvR 1705/23 - Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen sorgerechtliche Entscheidungen (Sorgerechtsentzug, Bestimmung eines Vormunds) wegen Subsidiarität bzw mangels Darlegung einer Grundrechtsverletzung
Normen
Art 6 Abs 2 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 1778 Abs 2 Nr 2 BGB
Vorinstanz
vorgehend OLG Celle, 23. August 2023, Az: 15 UF 9/23, Beschluss
vorgehend OLG Celle, 31. Juli 2023, Az: 15 UF 9/23, Beschluss
vorgehend AG Hildesheim, 5. Dezember 2022, Az: 35 F 71/22 SO, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft gerichtliche Entscheidungen zum Sorgerecht.
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I.
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1. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter eines (…) 2019 geborenen Kindes, für das sie das alleinige Sorgerecht innehatte. Mit angegriffenem Beschluss vom 5. Dezember 2022 hatte ihr das Familiengericht das Sorgerecht vollständig entzogen, Vormundschaft angeordnet und das örtlich zuständige Jugendamt zum Vormund bestellt. Ihre dagegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 31. Juli 2023 zurück; die daraufhin von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht wies diese als unzulässig zurück.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Sie wendet sich vor allem dagegen, dass das Kind nicht bei dessen Großmutter mütterlicherseits als Pflegemutter untergebracht worden ist. Zudem beanstandet sie das Unterbleiben der Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist und schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg hat.
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1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde, was nach ihrem Wortlaut nicht ausgeschlossen ist, gegen die vollständige Entziehung des Sorgerechts als solche richtet, ist sie unzulässig, weil sie die materielle Subsidiarität nicht wahrt. Nach dem in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelegten und in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde müssen Beschwerdeführende über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach der Lage der Sache zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 158, 170 199 Rn. 69>; 161, 63 86 f. Rn. 37>; 162, 1 54 Rn. 100>; stRspr). Der Grundsatz der materiellen Subsidiarität greift ein, wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht, den geltend gemachten Grundrechtsverstoß zu beseitigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2023 - 1 BvR 1691/22 -, Rn. 17 m.w.N.).
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Dem ist die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren nicht gerecht geworden. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht vom 23. März 2023 hat die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren lediglich noch das Ziel verfolgt, dass ihr Kind zu der Großmutter mütterlicherseits komme und diese sorgerechtliche Befugnisse ausübe. Es werde aber nicht (mehr) angegriffen, dass der Beschwerdeführerin das Sorgerecht entzogen worden sei. Wegen dieser auch im hier vorliegenden Amtsverfahren zulässigen Beschränkung der Beschwerde auf die Auswahl des Vormunds (vgl. Sternal, in: Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 64 Rn. 51 m.w.N.) hat die Beschwerdeführerin versäumt, eine von ihr angenommene Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch den vollständigen Entzug des Sorgerechts aufgrund des familiengerichtlichen Beschlusses vom 5. Dezember 2022 bereits im fachgerichtlichen Verfahren überprüfen beziehungsweise korrigieren zu lassen.
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2. Die Möglichkeit einer Verletzung ihres Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die Bestellung des Jugendamtes zum Vormund statt einer anderen Person, insbesondere der Großmutter mütterlicherseits, zeigt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht in einer den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise (dazu BVerfGE 140, 229 232 Rn. 9>; 149, 346 359 Rn. 23 f.>) auf.
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Zwar berührt die fachgerichtliche Auswahl der Person des Vormundes nach vollständiger Entziehung des Sorgerechts und Anordnung von Vormundschaft das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Bestellung von zur Übernahme der Vormundschaft geeigneten Familienangehörigen stellt regelmäßig einen milderen Eingriff in das Elternrecht der vom Sorgerechtsentzug betroffenen Eltern dar als die Bestellung familienfremder Personen, etwa des Jugendamtes (vgl. BVerfGE 136, 382 386 f. Rn. 16 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2012 - 1 BvR 206/12 -, Rn. 24 f., jeweils zu § 1779 BGB a.F.). Die Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt jedoch nicht erkennen, dass die hier erfolgte Bestellung des Jugendamtes statt der von der Beschwerdeführerin gewünschten Bestellung (vgl. § 1778 Abs. 2 Nr. 2 BGB) der Großmutter des Kindes die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen könnte. Dabei kann offenbleiben, ob trotz der im Beschwerdeverfahren als solche nicht mehr angegriffenen vollständigen Entziehung des Sorgerechts und der Anordnung von Vormundschaft der vom Oberlandesgericht erörterte § 1630 Abs. 3 BGB rechtlich überhaupt noch zur Anwendung gelangen konnte oder die einen selbständigen Teil des Verfahrens bildende Auswahl des Vormundes (vgl. Schulte-Bunert, in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 1778 Rn. 12) allein nach den in § 1778 BGB genannten Kriterien hätte erfolgen müssen. Die Verfassungsbeschwerde lässt jedenfalls nicht die Möglichkeit erkennen, dass das Oberlandesgericht mit der Bestellung des Jugendamtes zum Vormund unverhältnismäßig in das Elternrecht der Beschwerdeführerin eingegriffen haben könnte. Im Rahmen seiner Erwägungen zu § 1630 Abs. 3 BGB hat es die nicht ausreichende Eignung der Großmutter als (teil)sorgeberechtigte Pflegeperson beziehungsweise Vormund des Kindes dargelegt. Diese Einschätzung hat es in der Sache ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht mit der fehlenden Einsicht der Großmutter in den erhöhten Betreuungsaufwand des Kindes begründet, der aus den insbesondere in der Entscheidung des Familiengerichts näher beschriebenen erheblichen Verhaltensauffälligkeiten des Kindes folgt. Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch nicht in substantiierter Weise auf, dass trotz der von den Fachgerichten herangezogenen Einschätzungen des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin sowie der persönlichen Anhörung aller Beteiligten einschließlich der Großmutter mütterlicherseits Art. 6 Abs. 2 Satz 1 oder Art. 103 Abs. 1 GG die zusätzliche Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens erfordert hätten.
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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