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BVerfG 24.08.2023 - 1 BvQ 8/22
BVerfG 24.08.2023 - 1 BvQ 8/22 - Anordnung der Auslagenerstattung nach Erledigung eines isolierten eA-Antrags bzgl einer sitzungspolizeilichen Anordnung über Medienberichterstattung in einem Strafverfahren - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Vorinstanz
vorgehend LG Dresden, 10. Januar 2022, Az: 2 KLs 422 Js 23291/20, Entscheidung
Tenor
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Der Freistaat Sachsen hat der Antragstellerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
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Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000 Euro (in Worten: zwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wandte sich die Antragstellerin gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden im Vorfeld des für den 28. Januar 2022 geplanten Beginns eines Strafverfahrens über den Einbruch in das historische Grüne Gewölbe im Residenzschloss in Dresden am 25. November 2019.
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1. Durch sitzungspolizeiliche Anordnung vom 10. Januar 2022 verfügte der Vorsitzende unter anderem eine Akkreditierung von Fernsehvertretern und die Zulassung von zwei Fernsehteams, die sich mit der Weitergabe ihres Ton- und Bildmaterials einverstanden erklären würden ("Pool-Lösung"). Hierzu teilte ihm die Antragstellerin, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, durch Email vom 21. Januar 2022 mit, dass sie die Pool-Führerschaft einnehmen werde, und legte durch Schriftsatz vom selben Tag Beschwerde beim Oberlandesgericht Dresden gegen einzelne Bestimmungen der sitzungspolizeilichen Anordnung ein, mit denen die Anfertigung von Bild- und Fernsehaufnahmen vom Geschehen im Sitzungssaal am Rande der Hauptverhandlung Beschränkungen unterworfen worden war. Zugleich beantragte sie, den Vorsitzenden anzuweisen, es ihr zu ermöglichen, mit einem Kamerateam über den am Freitag, 28. Januar 2022, um 9:45 Uhr beginnenden Strafprozess als Pool-Führerin der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender vor Beginn und nach Ende der Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen Filmaufnahmen zu fertigen.
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2. Nachdem ihr bis Mittwoch, 26. Januar 2022, keine Entscheidung über ihre Beschwerde vorlag, beantragte die Antragstellerin am Nachmittag dieses Tages beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der sie auch hier begehrte, den Vorsitzenden anzuweisen, ihr die Fertigung von Filmaufnahmen vor Beginn und nach Ende der Verhandlung sowie in den Verhandlungspausen zu ermöglichen.
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3. Durch der Antragstellerin am Donnerstag, 27. Januar 2022, zugegangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. Januar 2022 - 3 Ws 10/22 - wurde die angegriffene sitzungspolizeiliche Anordnung aufgehoben, da sie entgegen dem Gebot materiellen Grundrechtsschutzes jeglicher Begründung entbehre. Auch eine durch den Vorsitzenden am 24. Januar 2022 nachgeholte Begründung verhalte sich nicht zum Verbot von Aufnahmen in Verhandlungspausen oder nach Ende der Verhandlung. Die Begründung des pauschalen Anonymisierungsgebots für die Weitergabe von Bildaufnahmen beschränke sich auf allgemeine Erwägungen, ohne die konkreten Personen in den Blick zu nehmen, obwohl insbesondere die Großfamilie, der die Angeklagten angehörten, bereits Gegenstand der Medienberichterstattung sei. Die begehrte Anweisung an den Vorsitzenden könne hingegen nicht ausgesprochen werden, da diesem für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung ein Ermessen eingeräumt sei, das nur auf Ermessensfehler überprüft werden könne.
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4. Durch Schriftsatz vom 31. Januar 2022 hat die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt, nachdem keine weiteren sie in ihrer Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einschränkenden sitzungspolizeilichen Anordnungen ergangen seien, und beantragt, dem Freistaat Sachsen die Verfahrenskosten aufzuerlegen sowie den Streitwert festzusetzen.
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II.
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Infolge der Erledigungserklärung der Antragstellerin steht das ursprüngliche Antragsbegehren nicht mehr zur Entscheidung (vgl. BVerfGE 85, 109 113>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2017 - 2 BvQ 40/17 -, Rn. 1; Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Januar 2018 - 2 BvQ 49/17 -, Rn. 3; vom 12. März 2021 - 2 BvQ 18/21 -, Rn. 3). Es war daher nur noch über die von der Antragstellerin mit ihrem - angesichts der Kostenfreiheit des Verfahrens des Bundesverfassungsgerichts (§ 34 Abs. 1 BVerfGG) entsprechend auszulegenden - Antrag verfolgte Anordnung der Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG und die Festsetzung des Gegenstandswerts zu entscheiden.
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1. Die volle oder teilweise Erstattung der Auslagen nach dem Ermessen des Bundesverfassungsgerichts ist die schon im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers (hier: des Antragstellers) erstattungsberechtigten Gegners gebotene Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (BVerfGE 49, 70 89>; 66, 152 154>).
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a) Unter den hierfür maßgeblichen Billigkeitsgesichtspunkten kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen (BVerfGE 85, 109 114 f.>; 87, 394 397>). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit dem Antrag angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers (hier: des Antragstellers) selbst für berechtigt erachtet hat. In einem solchen Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer (hier: dem Antragsteller) die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seinem Antrag stattgegeben worden wäre (BVerfGE 85, 109 115>; 87, 394 397>). Wird die Erfolgsaussicht des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aus diesem Grund im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG unterstellt, wird weder aufgrund einer überschlägigen Beurteilung der Erfolgsaussicht des Antrags entschieden noch zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen aufgrund einer lediglich kursorischen Prüfung Stellung genommen, was im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bedenken begegnen könnte (vgl. BVerfGE 85, 109 115>; 87, 394 397 f.>).
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b) Dies zugrunde gelegt, war dem Antrag des Beschwerdeführers (hier: des Antragstellers) auf Anordnung der Auslagenerstattung zu entsprechen.
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aa) Das Oberlandesgericht hat die von der Antragstellerin angegriffene sitzungspolizeiliche Anordnung auf ihre Beschwerde mangels hinlänglich nachvollziehbar vorgenommener Abwägung zwischen der Pressefreiheit, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beteiligten, ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege aufgehoben. Es hat damit zu verstehen gegeben, dass es die durch die Antragstellerin erhobene Rüge einer Verletzung der Presse- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) für berechtigt erachtet hat. Hieran muss sich der Freistaat Sachsen als Kostenschuldner des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Auslagenerstattung festhalten lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2021 - 2 BvR 220/21 -, Rn. 7). Soweit das Oberlandesgericht die Beschwerde der Antragstellerin unter dem Aspekt der von ihr zugleich beantragten Anweisung des Vorsitzenden zurückgewiesen hat, gebietet dies keine abweichende Entscheidung. Denn da die Anfertigung der von der Antragstellerin beabsichtigten Filmaufnahmen infolge der Aufhebung der sitzungspolizeilichen Anordnung nicht mehr beschränkt wurde, läge im etwaigen Interesse der Antragstellerin an einer darüber hinausreichenden Bindung des Vorsitzenden kein Rechtsschutzziel, dem unter Kostenaspekten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG eigenständiges Gewicht beizumessen wäre.
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bb) Besondere Anhaltspunkte, die trotz der stattgebenden Entscheidung des Oberlandesgerichts gegen die Billigkeit der Auslagenerstattung sprächen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. Dezember 2008 - 1 BvR 2554/06 -, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2021 - 2 BvR 220/21 -, Rn. 8; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2022 - 2 BvR 257/21 -, Rn. 7; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 2023 - 2 BvR 533/22 -, Rn. 4; vom 24. März 2023 - 2 BvR 431/22 -, Rn. 4), etwa, dass die Verfassungsbeschwerde vom Zeitpunkt ihrer Einlegung an unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. September 2020 - 1 BvR 1977/20 -, Rn. 3), sind nicht ersichtlich. Insbesondere war die Antragstellerin nicht gehalten, den Fortgang des Beschwerdeverfahrens weiter abzuwarten.
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(1) Allerdings ist auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vor Erschöpfung des Rechtswegs nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig (vgl. BVerfGE 68, 376 380>). Dies kommt gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG in Betracht, wenn ein Zuwarten bis zu einer gerichtlichen Entscheidung unzumutbar wäre, weil ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde. Dabei ist im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab zugrunde zu legen (vgl. BVerfGE 87, 107 111>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvQ 9/14 -, Rn. 3; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Oktober 2020 - 1 BvQ 120/20 -, Rn. 7 f.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. August 2021 - 2 BvQ 80/21 -, Rn. 3).
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(2) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Über ihre am 21. Januar 2022 eingereichte Beschwerde hatte das Oberlandesgericht zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung vor dem Bundesverfassungsgericht, am 26. Januar 2022 um 15:01 Uhr, noch nicht entschieden. Damit verblieb bis zum geplanten Sitzungsbeginn am 28. Januar um 9:45 Uhr ein Zeitraum von nur noch einem vollen Werktag, innerhalb dessen die Antragstellerin zu gewärtigen hatte, von der Anfertigung der beabsichtigen Filmaufnahmen unwiederbringlich ausgeschlossen zu sein.
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2. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG) war unter Berücksichtigung des verfolgten Rechtsschutzziels auf 20.000 Euro festzusetzen.
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a) Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG ist der Gegenstandswert im eigenständigen Verfahren der einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 89, 91 94>) unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen, beträgt jedoch mindestens 5.000 Euro. Maßgebliche Kriterien sind vor allem der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller und die Allgemeinheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG; vgl. BVerfGE 79, 365 369 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2020 - 1 BvQ 37/20 -, Rn. 3 f.).
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b) In Anwendung dieser Maßstäbe war der Gegenstandswert auf 20.000 Euro festzusetzen. Die Angelegenheit hatte für die Antragstellerin erhebliche Bedeutung, um als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt und Pool-Führerin nicht nachholbare Filmaufnahmen vom Prozessauftakt eines international Aufsehen erregenden Strafverfahrens anfertigen und auf dieser Grundlage berichten zu können.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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