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BVerfG 24.08.2023 - 1 BvR 614/20
BVerfG 24.08.2023 - 1 BvR 614/20 - Kammerbeschluss: Anordnung der Auslagenerstattung nach Erledigterklärung der Verfassungsbeschwerde infolge Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen durch ein Landesverfassungsgericht - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
§ 34a Abs 3 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Vorinstanz
vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 13. Dezember 2019, Az: Ss 69/2019 (38/19), Beschluss
vorgehend LG Saarbrücken, 8. Mai 2019, Az: 12 Ns 30/19, Urteil
Tenor
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Das Saarland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 5.000 Euro (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer begehrt die Anordnung der Auslagenerstattung sowie die Festsetzung des Gegenstandswerts, nachdem er seine Verfassungsbeschwerde gegen eine ihm auferlegte Geldstrafe wegen Volksverhetzung aufgrund der stattgebenden Entscheidung in einem parallel vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes von ihm betriebenen Verfahren für erledigt erklärt hat.
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1. Im Jahr 2018 erschien in der Ausgabe 1/2018 der Mitgliederzeitung der "(…)" ("…") unter dem Titel "(…)" ein vom Beschwerdeführer in Gedichtform verfasster Beitrag, für den der Beschwerdeführer durch angegriffenes Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 18. Januar 2019 - 35 Cs 10 Js 966/18 (217/18) - wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 60 Euro verurteilt wurde. Die Berufung des Beschwerdeführers blieb erfolglos, ebenso seine hiergegen gerichtete Revision. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes wie nachfolgend ebenso zum Bundesverfassungsgericht.
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2. Durch Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 16. Dezember 2020 - Lv 1/20 - wurde eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Grundrechten auf Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 SVerf) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 2 Alt. 1 SVerf) festgestellt und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit Rücksicht hierauf hat der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht für erledigt erklärt und die Anordnung der Auslagenerstattung sowie die Festsetzung des Gegenstandswerts beantragt. Seiner grundrechtlichen Beschwer sei vollumfänglich abgeholfen. Wegen des Gleichlaufs des Grundrechtsschutzes in Bund und Ländern hätte die hiesige Verfassungsbeschwerde zu demselben Ergebnis geführt, weshalb die Anordnung der Auslagenerstattung der Billigkeit entspreche.
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3. Dem Saarländischen Ministerium der Justiz wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt. Hiervon wurde kein Gebrauch gemacht.
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II.
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Infolge der Erledigungserklärung des Beschwerdeführers steht das Beschwerdebegehren nicht mehr zur Entscheidung (vgl. BVerfGE 85, 109 113>). Einer der eng begrenzten Ausnahmefälle, in denen das Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung des verfolgten Rechtsschutzziels fortbesteht (vgl. BVerfGE 75, 318 325 f.>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 28. September 2022 - 1 BvR 2354/13 -, Rn. 77; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Mai 2023 - 2 BvR 390/21 -, Rn. 24 ff. m.w.N.), liegt nicht vor. Es war daher nur noch über die Anordnung der Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG zu entscheiden und der Gegenstandswert festzusetzen.
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1. Die volle oder teilweise Erstattung der Auslagen nach dem Ermessen des Bundesverfassungsgerichts ist die - schon im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners gebotene - Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (BVerfGE 49, 70 89>; 66, 152 154>).
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a) Unter den hierfür maßgeblichen Billigkeitsgesichtspunkten kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen (BVerfGE 85, 109 114 f.>; 87, 394 397>).
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aa) Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In einem solchen Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (BVerfGE 85, 109 115 f.>; 87, 394 397>). Wird die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde aus diesem Grund im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG unterstellt, wird weder aufgrund einer überschlägigen Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde entschieden noch zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen aufgrund einer lediglich kursorischen Prüfung Stellung genommen, was im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bedenken begegnen könnte (vgl. BVerfGE 85, 109 115>; 87, 394 397>).
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bb) Erhebt ein Beschwerdeführer wie im vorliegenden Fall sowohl Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wie Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgericht eines Landes, führt allein die Tatsache, dass durch dieses Vorgehen zweimal Kosten entstanden sind, noch nicht dazu, dass die Auslagenerstattung im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als unbillig anzusehen ist. Da nach § 90 Abs. 3 BVerfGG das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, unberührt bleibt, darf es im Rahmen des § 34a Abs. 3 BVerfGG grundsätzlich nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ausschlagen, dass er von diesen Rechten vollen Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 1992 - 2 BvR 1122/90 -, Rn. 10; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. Dezember 2008 - 1 BvR 2554/06 -, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2021 - 2 BvR 220/21 -, Rn. 5).
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cc) Dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre, steht in einem solchen Fall regelmäßig auch nicht entgegen, dass die Unterstellung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde dann aufgrund der stattgebenden Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts erfolgt.
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(1) Hat der Richter eines Landes über die bloße Subsumtion unter von ihm als verfassungskonform beurteiltes Bundesrecht hinaus seinem Verfahren Grundrechte oder grundrechtsgleiche Gewährleistungen zugrunde zu legen, kommen alle Grundrechte zum Tragen, an die er gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in seinem Verfahren gebunden ist, neben den Grundrechten und grundrechtsgleichen Gewährleistungen des Grundgesetzes mithin auch die parallel verbürgten Verfassungsrechte der Landesverfassung (vgl. BVerfGE 96, 345 373>). Allerdings sieht Art. 142 GG die Geltung der Grundrechte der Landesverfassungen nur vor, soweit sie mit den entsprechenden Rechten des Grundgesetzes übereinstimmen, und kann das Landesgrundrecht gleichwohl durch Art. 31 GG verdrängt werden, soweit sein Regelungsgehalt mit einfachem Bundesrecht kollidiert, da der Bundesgesetzgeber lediglich die Bundesverfassung zu beachten hat (vgl. BVerfGE 96, 345 365>).
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(2) Hat ein Landesverfassungsgericht demnach inhaltsgleiche Landesgrundrechte zu beachten - wofür eine mehrstufige Prüfung veranlasst ist, innerhalb derer es bei seiner Auslegung des Grundgesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden ist (vgl. BVerfGE 96, 345 373 ff.>) -, gelten für die Entscheidung, ob das sowohl durch die Landesverfassung wie durch das Grundgesetz gewährleistete Grundrecht verletzt ist, die gleichen Maßstäbe. Deshalb kann im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG auch in einem solchen Fall die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht unterstellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 1992 - 2 BvR 1122/90 -, Rn. 9; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. Dezember 2008 - 1 BvR 2554/06 -, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2021 - 2 BvR 220/21 -, Rn. 6 ff.; zu einer landesgesetzlichen Neuregelung vgl. BVerfGE 85, 109 116>).
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b) Dies zugrunde gelegt, war dem Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der Auslagenerstattung zu entsprechen.
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aa) Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat der Landesverfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers wegen einer Verletzung von Art. 5 Abs. 1 und 2 SVerf stattgegeben, deren Gewährleistungen er unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für inhaltsgleich mit denen der Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erachtet hat. Er hat damit als Teil der öffentlichen Gewalt dieses Landes zu verstehen gegeben, dass er das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. Hieran muss sich das Saarland als Kostenschuldner des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Auslagenerstattung festhalten lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2021 - 2 BvR 220/21 -, Rn. 7).
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bb) Besondere Anhaltspunkte, die trotz der stattgebenden Entscheidung des Landesverfassungsgerichts gegen die Billigkeit der Auslagenerstattung sprächen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. Dezember 2008 - 1 BvR 2554/06 -, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2021 - 2 BvR 220/21 -, Rn. 8; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2022 - 2 BvR 257/21 -, Rn. 7; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 2023 - 2 BvR 533/22 -, Rn. 4; vom 24. März 2023 - 2 BvR 431/22 -, Rn. 4), etwa, dass die Verfassungsbeschwerde vom Zeitpunkt ihrer Einlegung an unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. September 2020 - 1 BvR 1977/20 -, Rn. 3), sind nicht ersichtlich.
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2. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG) war unter Berücksichtigung des inhaltlich übereinstimmend bereits vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes verfolgten Rechtsschutzziels auf 5.000 Euro festzusetzen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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