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BVerfG 28.12.2020 - 1 BvR 2692/20
BVerfG 28.12.2020 - 1 BvR 2692/20 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose normunmittelbare Verfassungsbeschwerde eines Disco-Club-Betreibers gegen Möglichkeit der infektionsschutzbedingten Schließung von Freizeiteinrichtungen (§ 28a Abs 1 S 1 Nr 4, 5, 9 und 13 IfSG) - Subsidiarität gegenüber fachgerichtlichem Rechtsschutz
Normen
§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, EpiBevSchG 3, § 28a Abs 1 S 1 Nr 4 IfSG vom 18.11.2020, § 28a Abs 1 S 1 Nr 5 IfSG vom 18.11.2020, § 28a Abs 1 S 1 Nr 9 IfSG vom 18.11.2020, § 28a Abs 1 S 1 Nr 13 IfSG vom 18.11.2020
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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I.
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Die mit einem Antrag auf eine einstweilige Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Einführung von § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Nr. 5, Nr. 9 und Nr. 13 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Diese Regelung lautet:
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§ 28a Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)
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(1) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein
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[…]
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4. Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten für Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr,
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5. Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen,
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[…]
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9. umfassendes oder auf bestimmte Zeiten beschränktes Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen,
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[…]
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13. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,
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[…]
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Die Beschwerdeführerin betreibt in Baden-Württemberg einen (Disko-)Club, den sie nach eigenen Angaben seit März 2020 zunächst auf behördliche Anordnung und dann aufgrund der "Corona-Verordnung" des Landes schließen musste.
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Sie macht geltend, die angegriffene Regelung verstoße gegen Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, weil es an einer angemessenen gesetzlichen Entschädigungsregelung fehle und weil die Beschwerdeführerin als Bar- und Diskothekenbetreiberin ungerechtfertigt wesentlich stärker belastet werde als Andere. Rechtsbehelfe gegen die Schließung ihres Clubs oder wegen etwaiger Entschädigungsansprüche zu erheben, sei ihr nicht zuzumuten, weil dies nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung aussichtslos sei und das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung auch ohne vorherige fachgerichtliche Aufbereitung der tatsächlichen und rechtlichen Entscheidungsgrundlagen treffen könne.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor, denn die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil ihr der Grundsatz der Subsidiarität entgegensteht und weil die Beschwerdeführerin auch nicht beschwerdebefugt ist.
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1. Auch vor der Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Unmittelbar gegen Gesetze steht der fachgerichtliche Rechtsweg in der Regel nicht offen. Die Anforderungen der Subsidiarität beschränken sich jedoch nicht darauf, nur die zur Erreichung des unmittelbaren Prozessziels förmlich eröffneten Rechtsmittel zu ergreifen, sondern verlangen, alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Damit soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, sondern zunächst die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aufgearbeitet haben. Das ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die Vorschriften abschließend gefasst sind und die fachgerichtliche Prüfung für den Beschwerdeführer günstigstenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird (vgl. BVerfGE 150, 309 326 f. Rn. 41 f., 44>). Das dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zwar zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes ‒ jedenfalls im Hauptsacheverfahren ‒ erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde den Eintritt von Nachteilen während der Durchführung des Hauptsacheverfahrens verhindern. Selbst wenn den Beschwerdeführern vorläufiger Rechtsschutz versagt werden sollte, wäre dieses Verfahren jedenfalls bereits zur Vorklärung der offenen tatsächlichen und einfachrechtlichen Fragen geeignet (BVerfGE 86, 382 389>). Die Beschwerdeführerin hat keinerlei fachgerichtlichen Rechtschutz gesucht.
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2. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG zudem die Behauptung des Beschwerdeführers voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (Beschwerdebefugnis). Um beschwerdebefugt zu sein, muss ein Beschwerdeführer behaupten können, selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem seiner Grundrechte oder einem der diesen gleichgestellten Rechte (§ 90 Abs. 1 BVerfGG) verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 140, 42 54 Rn. 47, 57 Rn. 55>). Beschwerdeführende sind nur dann von einer gesetzlichen Regelung unmittelbar betroffen, wenn diese, ohne dass es eines weiteren Vollzugsaktes bedürfte, in ihren Rechtskreis eingreift. Erfordert das Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen staatlichen Praxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollzugsakt, müssen Beschwerdeführende grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor sie die Verfassungsbeschwerde erheben (BVerfGE 146, 71 108 Rn. 110>). Die von der Beschwerdeführerin angegriffene Regelung in § 28a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4, 5, 9 und 13 IfSG ist in diesem Sinne vollzugsbedürftig.
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3.a) Der Grundsatz der Subsidiarität ist ausnahmsweise ohne Ergreifen fachgerichtlicher Rechtsbehelfe gewahrt und die unmittelbare Betroffenheit durch eine angegriffene Regelung ist ausnahmsweise trotz deren Vollzugsbedürftigkeit anzunehmen, soweit es Beschwerdeführern unzumutbar wäre, fachgerichtlichen Rechtsschutz suchen zu müssen (vgl. BVerfGE 142, 234 250 Rn. 23>; 150, 309 326 f. Rn. 44 f.>). Einen Rechtsbehelf ergreifen zu müssen, kann unzumutbar sein, soweit er im Hinblick auf eine entgegenstehende Rechtsprechung von vornherein aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 186>). Insbesondere wenn die entgegenstehende Rechtsprechung des maßgeblichen Fachgerichts gerade erst erging, kann es ausnahmsweise unzumutbar sein, dort nun in eigener Sache aber zu identischen Rechtsfragen (Eil-)Rechtsschutz suchen zu müssen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Oktober 2020 - 1 BvQ 116/20 -, Rn. 6). Das kommt in Betracht, wenn im Einzelfall ausgeschlossen werden kann, dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung noch verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären (vgl. BVerfGE 138, 261 271 Rn. 23>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juli 2020 - 1 BvR 1630/20 -, Rn. 11). Entscheidend ist, ob die fachgerichtliche Klärung erforderlich ist, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage trifft (vgl. BVerfGE 150, 309 327 Rn. 44>).
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b) Im Fall der Beschwerdeführerin ist nicht ersichtlich, dass eine Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen durch eine fachgerichtliche Prüfung ausgeschlossen ist.
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Für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind zunächst die tatsächlichen Rahmenbedingungen der Coronavirus-Pandemie sowie fachwissenschaftliche ‒ virologische, epidemiologische, medizinische und psychologische ‒ Bewertungen und Risikoeinschätzungen von wesentlicher Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Juli 2020 - 1 BvR 1630/20 -, Rn. 11, der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, Rn. 17 und der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 990/20 -, Rn. 12). Sie können sich in der aktuellen Phase der Pandemie jederzeit, so schnell und wirksam ändern, dass sie in hoher Frequenz immer wieder erneuter Verifizierung bedürfen. Dies betrifft den allgemeinen Erkenntnisstand, gilt aber auch mit Blick auf konkrete, von Beteiligten dargelegte und gerichtlich festzustellende Umstände des jeweiligen ‒ schon entschiedenen oder noch offenen ‒ Einzelfalls. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich nicht, dass und inwieweit die Sachlage im Hinblick auf ihren Fall dennoch auch ohne fachgerichtliche Feststellungen als geklärt anzusehen ist.
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Auch die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Entschädigungsfragen sind nicht geklärt. Erst recht hat die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dargelegt, dass und inwieweit die Geltendmachung ihres diesbezüglichen Standpunkts vor den Fachgerichten wegen entgegenstehender Rechtsprechung von vornherein aussichtslos wäre. Dies gilt sowohl für etwaig schon bestehende Entschädigungsansprüche als auch für die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob und inwieweit die Verhältnismäßigkeit eine § 28a IfSG korrespondierende, angemessene gesetzliche Entschädigungsregelung gebietet.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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