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BVerfG 01.09.2020 - 2 BvQ 61/20
BVerfG 01.09.2020 - 2 BvQ 61/20 - Erfolgloser Eilantrag wegen Verletzung des Gehörsanspruchs und des Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren - fortgesetzte Belastung durch einseitig erstrittenen Vollstreckungstitel begründet an sich noch keinen schweren Nachteil iSd § 32 Abs 1 BVerfGG
Normen
Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 924 Abs 1 S 1 ZPO, § 935 ZPO
Vorinstanz
vorgehend LG Stuttgart, 28. Juli 2020, Az: 21 O 262/20, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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1. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richtet sich die Antragstellerin gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Stuttgart.
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Die Antragstellerin ist stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrats einer in Stuttgart ansässigen Stiftung. Neben der Antragstellerin gab es zwei weitere Stiftungsratsmitglieder. In einer Sitzung des Stiftungsrats im Juli 2020 beantragte die Antragstellerin, den Vorsitzenden des Stiftungsrats aus wichtigem Grund von seinem Amt abzuberufen, da dieser gravierende Pflichtverletzungen begangen habe. Die anderen beiden Mitglieder des Stiftungsrats stimmten gegen diesen Antrag und betrachteten ihn daher als abgelehnt. Die Antragstellerin ist dagegen der Ansicht, der Vorsitzende habe nach der Stiftungssatzung sein Stimmrecht nicht ausüben dürfen. Da ihr als stellvertretender Vorsitzenden des Stiftungsrats sodann der Stichentscheid zukomme, sei die Abberufung aus wichtigem Grund beschlossen.
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Mit Beschluss vom 28. Juli 2020 erließ das Landgericht Stuttgart auf Antrag des Stiftungsratsvorsitzenden - ohne vorherige Anhörung der Antragstellerin sowie ohne mündliche Verhandlung - eine einstweilige Verfügung, mittels derer es der Antragstellerin untersagt wurde, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über den Beschluss des Stiftungsrats gegenüber Dritten zu behaupten, der Stiftungsratsvorsitzende sei als Mitglied und Vorsitzender des Stiftungsrats aus wichtigem Grund abberufen. Zudem wurde ihr untersagt, den Stiftungsratsvorsitzenden bei der Ausübung der ihm satzungsgemäß übertragenen Rechte und Aufgaben zu behindern. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde der Antragstellerin ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro angedroht.
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Mit Schriftsatz vom 17. August 2020 legte die Antragstellerin Widerspruch ein und stellte einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Eine Entscheidung des Landgerichts über den Widerspruch der Antragstellerin steht bislang noch aus.
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Die Antragstellerin rügt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG sowie ihres grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
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a) Soweit die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die gerügte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG stützt, ist die - noch zu erhebende - Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig und damit auch der beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit gegenstandslos.
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Die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs lässt sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung, die auf den Widerspruch der Antragstellerin gemäß § 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO zwingend zu erfolgen hat, heilen. Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit betraut zunächst die Fachgerichte mit der Korrektur bereits verwirklichter Grundrechtseingriffe (vgl. BVerfGE 96, 27 40>; 104, 220 232 f.>). Im Besonderen - so auch hier - gilt das für die grundsätzlich mögliche Heilung von Gehörsverstößen durch nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfGE 5, 9 10>; 58, 208 222>; 62, 392 397>; 107, 395 410 ff.>; stRspr). Insoweit ist die Antragstellerin nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von vornherein auf den Rechtsweg zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a. -, Rn. 7; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 7).
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b) Soweit die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die Verletzung von Verfahrensrechten, namentlich der prozessualen Waffengleichheit stützt, ist die Verfassungsbeschwerde unter Zugrundelegung des Vortrags der Antragstellerin zwar weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet und ein Rechtsweg vor den Fachgerichten nicht eröffnet (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a. -, Rn. 10 f.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 8; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12). Der Antrag ist jedoch mangels substantiierter Darlegung eines schweren Nachteils im Sinne des § 32 BVerfGG unzulässig.
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Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Zu den Zulässigkeitsanforderungen an einen Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gehört die substantiierte Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. November 2006 - 1 BvQ 33/06 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. November 2015 - 2 BvQ 43/15 -, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 9). Selbst im Fall offenkundiger Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde kommt ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG nur in Betracht, wenn ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 BVerfGG dargelegt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1378/20 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juli 2020 - 1 BvR 1617/20 -, Rn. 5).
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Die Antragstellerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ihr für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ein schwerer Nachteil droht. Allein die fortgesetzte Belastung durch einen einseitig erstrittenen Unterlassungstitel reicht hierzu nicht aus. Vielmehr müsste die Antragstellerin auch in der Sache durch die Unterlassungsverpflichtung belastet sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. Juli 2020 - 1 BvR 1617/20 -, Rn. 5). Die Antragstellerin hat nicht hinreichend dargelegt, an welchem konkreten Verhalten sie vor der Entscheidung über ihren Widerspruch gehindert wird. Dadurch lässt sich nicht beurteilen, ob in der Unterlassungsverpflichtung ein schwerer Nachteil liegt. Die vage Behauptung der Antragstellerin, es lägen "gravierende Pflichtverletzungen" durch den Stiftungsratsvorsitzenden vor, weshalb sie erheblichen Schaden bezogen auf die Stiftung fürchte, genügt insoweit nicht. Ebenso wenig genügt der Vortrag der Antragstellerin, der Stiftungsratsvorsitzende verteile die einstweilige Verfügung zielgerichtet an einen erheblichen Empfängerkreis.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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