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BVerfG 22.05.2020 - 1 BvR 410/19
BVerfG 22.05.2020 - 1 BvR 410/19 - Nichtannahmebeschluss: Mangels hinreichender Begründung unzulässige Verfassungsbeschwerde bzgl der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse für eine LDL-Apherese
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Anl 1 Nr 1 § 3 Abs 2 MVVRL
Vorinstanz
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 3. Dezember 2018, Az: L 5 KR 677/18 B ER, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
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Der Antrag auf Erstattung der Auslagen wird abgelehnt, weil die Voraussetzungen nach § 34a Absatz 2 oder Absatz 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht vorliegen.
Gründe
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Die nachträglich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für eine LDL-Apherese im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens.
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1. Der 1977 geborene Beschwerdeführer ist gesetzlich krankenversichert. Er erlitt 2017 einen Myokardinfarkt; anschließend wurden zwei Koronararterien mit Stents versorgt. Eine Hypercholesterinämie wurde anschließend medikamentös erfolgreich behandelt und ein Nikotinabusus beendet. Der Beschwerdeführer begehrt, eine Hyperlipoproteinämie (a) mit einer LDL-Apherese zu therapieren, und stellte nach der Ablehnung durch seine gesetzliche Krankenversicherung einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Sozialgericht Duisburg. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hob den stattgebenden Beschluss des Sozialgerichts mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 3. Dezember 2018 auf und lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, weil der Beschwerdeführer unter keiner progredienten kardiovaskulären Erkrankung im Sinne von § 3 Abs. 2 der Anlage I.1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung leide. Der Infarkt sei durch die Stents erfolgreich therapiert worden, wodurch eine Zäsur eingetreten sei. Unter Auswertung medizinischer Unterlagen kam das Landessozialgericht zu der Auffassung, dass ab diesem Zeitpunkt eine Progredienz klinisch oder durch bildgebende Verfahren nicht festgestellt worden sei und keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung vorliege.
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2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig ist. Der Beschwerdeführer zeigt nicht entsprechend den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten auf.
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a) Nach diesen Vorschriften ist ein Beschwerdeführer gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen (vgl. BVerfGE 81, 208 214>; 113, 29 44>; 130, 1 21>). Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 19>; 89, 155 171>; 140, 229 232 Rn. 9>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und ihrer konkreten Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 108, 370 386 f.>; 115, 166 179 f.>; 140, 229 232 Rn. 9>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe dargelegt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt werden (vgl. BVerfGE 77, 170 214 ff.>; 123, 186 234>; 140, 229 232 Rn. 9>).
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b) Nach diesen Maßstäben hat der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG nicht substantiiert gerügt; es fehlt an der Darlegung der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe, der Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung sowie der Benennung der verfassungsrechtlichen Anforderungen, mit denen der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen kollidieren soll.
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Der Beschwerdeführer verweist zwar auf den Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 -, jedoch ohne sich mit den dortigen Maßstäben zu befassen. Er hat weder dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vorgeworfen, eine unzureichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage noch eine unzureichende Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren vorgenommen zu haben, welche eine Entscheidung mittels Folgenabwägung bedingen würde. Das Landessozialgericht hat die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft. Es hat sich mit der Rechts- und Aktenlage auseinandergesetzt und die medizinischen Unterlagen - soweit dies aufgrund der lückenhaften Sachverhaltsdarstellung und der fehlenden Vorlage oder inhaltlicher Wiedergabe der medizinischen Unterlagen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde erkennbar ist - schlüssig ausgewertet. Der Beschwerdeführer hat sich mit der Auffassung des Landessozialgerichts nicht auseinandergesetzt, sondern seine eigene einfachrechtliche Subsumtion entgegengesetzt.
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c) Den obigen Substantiierungsanforderungen genügen das Vorbringen sowie die Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers bezüglich Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ebenso wenig. Selbst bei Auslegung seines Vorbringens als Rüge von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich keine schlüssige Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung.
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Der Beschwerdeführer geht weder darauf ein, dass grundsätzlich in der gesetzlichen Krankenversicherung kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung ableitbar ist, sondern gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen daraufhin zu prüfen sind, ob sie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind (vgl. BVerfGE 115, 25 43>). Noch stützt er seinen Anspruch auf eine Apherese-Therapie auf einen unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch, wie ihn der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Nikolausbeschluss (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -; BVerfGE 115, 25 ff.) begründet hat. Er hält die Voraussetzung einer progredienten kardiovaskulären Erkrankung in § 3 Abs. 2 der Anlage I.1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung angesichts der Schwere der Erkrankung und des frühen Auftretens des Myokardinfarkts für gegeben, ohne sich mit der Argumentation des Landessozialgerichts oder den durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorliegenden Maßstäben auseinanderzusetzen. Insbesondere finden die erfolgreichen Stenteinlagen nach dem Myokardinfarkt keine Erwähnung, ebenso wenig die weiteren behobenen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen. Medizinische Unterlagen sowie in Bezug genommene Studien aus dem fachgerichtlichen Verfahren, die zur verfassungsgerichtlichen Prüfung notwendig wären, legt der Beschwerdeführer zudem nicht vor. Im nachträglich vorgelegten Arztbrief über eine MRT-Untersuchung am 31. Januar 2019 wird die Darlegung des Landessozialgerichts bestätigt und ein relevanter Progress der koronaren Herzkrankheit ausgeschlossen.
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Die zwingende Annahme eines lebensbedrohlichen Zustands im fachgerichtlichen Eilverfahren ergibt sich auch nicht durch den Verweis des Beschwerdeführers auf den Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06 -. Zutreffend ist das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen davon ausgegangen, dass die beiden Befundlagen nicht vergleichbar sind; jedenfalls hat der Beschwerdeführer dies durch den Hinweis auf sein jüngeres Alter im Vergleich zum Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 3101/06, ohne sich mit den unterschiedlichen Befundlagen zu befassen, nicht erschüttert.
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d) Die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip in Gestalt eines Anspruchs auf verfassungsgemäße Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung als Versicherungssystem mit Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht (vgl. BVerfGE 140, 229 237 f.>) hat der Beschwerdeführer nicht gerügt. Vielmehr sieht er die Voraussetzungen von § 3 Abs. 2 der Anlage I.1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung als erfüllt an. Die zugrunde liegende Konstruktion des Leistungsrechts fand keine Erwähnung. Daher war mangels Vortrags zu generellen Zweifeln an der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses der Frage der hinreichenden Substantiierung bezüglich der konkreten Befugnisnorm und der streitigen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (vgl. BVerfGE 140, 229 237 ff.>) nicht nachzugehen.
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Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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