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BVerfG 20.07.2016 - 2 BvR 1385/16
BVerfG 20.07.2016 - 2 BvR 1385/16 - Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei Möglichkeit eines Abänderungsantrags gem § 80 Abs 7 S 2 VwGO - fachgerichtliche Entscheidungen zu entscheidungserheblicher Rechtsfrage als geänderte, ein Abänderungsverfahren ermöglichende Umstände - Rechtsschutzgarantie gebietet ggf Anerkennung eines Rechtsschutzbedürfnisses für eine Anfechtungsklage trotz Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrags gem § 33 Abs 5 AsylGjuris: AsylVfG 1992
Normen
Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 33 Abs 5 S 1 AsylVfG 1992, § 33 Abs 5 S 2 AsylVfG 1992, § 33 Abs 5 S 6 Nr 2 AsylVfG 1992, § 80 Abs 7 S 2 VwGO
Vorinstanz
vorgehend VG Halle (Saale), 2. Juni 2016, Az: 1 B 138/16 HAL, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts M.. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
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I.
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1. Der am 8. Dezember 1995 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Niger. Er reiste im Oktober 2013 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Aufgrund eines Eurodac-Treffers wurde zunächst im Dublin-Verfahren die Abschiebung nach Italien angedroht.
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Nach Ablauf der Überstellungsfrist, die wohl aufgrund des zwischenzeitlichen Untertauchens des Beschwerdeführers verlängert worden war, erließ das Bundesamt unter dem 11. April 2016 einen Einstellungsbescheid gestützt auf § 33 Abs. 1 AsylG. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da der Beschwerdeführer seit dem 4. November 2014 nach den Erkenntnissen des Bundesamts untergetaucht sei. Dem Beschwerdeführer beziehungsweise seinem Rechtsanwalt sei mittels Aufforderung zur Stellungnahme vom 21. März 2016 rechtliches Gehör zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gewährt worden.
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2. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid unter dem 18. April 2016 Anfechtungsklage, beantragte, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen und ihm für die Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Der Einstellungsbescheid sei rechtswidrig, da er über eine gültige Aufenthaltsgestattung verfüge und der örtlichen Ausländerbehörde bekannt sei. Mit weiterem Schreiben vom 25. Mai 2016 wies er darauf hin, dass er im Juli Vater eines Kindes würde.
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Das Verwaltungsgericht wies den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 2. Juni 2016 ab. Dem Beschwerdeführer fehle das für den Antrag erforderliche Rechtsschutzinteresse, da er mit einem Wiederaufnahmeantrag nach § 33 Abs. 5 AsylG an das Bundesamt sein Ziel einfacher erreichen könne.
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3. Der Beschwerdeführer hat am 4. Juli 2016 Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 16a GG und Art. 19 Abs. 4 GG rügt. Er beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Das Verwaltungsgericht habe sein Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt, indem es ihm das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen habe. Der vom Verwaltungsgericht als ausreichend erachtete Weg eines Wiedereinsetzungsantrags an das Bundesamt sei nicht gleichwertig. Ein solcher (voraussetzungsloser) Antrag könne gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG nur einmal gestellt werden, mit der einmaligen Stellung sei dieses Recht also verbraucht. Es könne dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, dieses Recht für einen rechtswidrigen Einstellungsbescheid zu verbrauchen und bei einem zweiten, auf einem einmaligen Fehlverhalten beruhenden rechtmäßigen Einstellungsbescheid keinen weiteren Rechtsschutz zu erhalten. Er bezieht sich weiterhin auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 19. Mai 2016 - 3 L 1060/16.A -, nach der auch eine - unter Umständen mögliche - verfassungskonforme Auslegung des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen lasse.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen gegenwärtig nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>).
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist im Hinblick auf den Grundsatz der formellen Subsidiarität nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unzulässig. Dieser setzt voraus, dass der Beschwerdeführer nicht nur den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft, sondern darüber hinaus alle ihm zumutbaren Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verhinderung oder Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung formal durchläuft. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eine solche Rechtsschutzmöglichkeit darstellt (vgl. BVerfGE 69, 233 242 f.>; BVerfGE 70, 180 187 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Januar 2002 - 2 BvR 2124/01 -, NVwZ 2002, S. 848). Einen solchen Antrag hat der Beschwerdeführer vorliegend nicht gestellt, obwohl zumindest nicht auszuschließen war, dass die von ihm selbst nun erstmals im Verfassungsbeschwerdeverfahren angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln und die abweichende Entscheidung einer anderen Kammer des Verwaltungsgerichts Halle (Beschluss vom 3. Juni 2016 - 4 B 195/16 HAL -) geänderte, ein Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ermöglichende Umstände darstellten. Dies war insbesondere deshalb nahe liegend, weil diese Entscheidungen erst nach der Antragstellung des Beschwerdeführers ergangen waren, er dementsprechend hierzu ohne eigenes Verschulden noch nicht vorgetragen und das Verwaltungsgericht sich mit den enthaltenen gewichtigen Argumenten auch in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt hatte.
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2. Zur Vermeidung einer Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG wird das Verwaltungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO allerdings zu beachten haben, dass ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses dem Vorgehen gegen einen den Adressaten belastenden Verwaltungsakt nur unter besonderen Umständen entgegengehalten werden kann (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorbemerkung § 40 Rn. 80). Das Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz kann in der hier interessierenden Fallkonstellation erst dann entfallen, wenn das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel durch ein gleich geeignetes, keine anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Hingegen reicht es nicht, wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag an die zuständige Behörde zu stellen, der andere Rechtsfolgen als eine gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts zeitigt (vgl. BVerwGE 91, 217 219 ff.>). Nach diesen Grundsätzen kann entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgegangen werden, wenn, wie es der Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG zumindest nahe legt, die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. In einer solchen Fallgestaltung verstößt es gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsbedürfnis für eine Anfechtungsklage und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu verneinen.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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