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BVerfG 15.06.2015 - 1 BvR 1288/14
BVerfG 15.06.2015 - 1 BvR 1288/14 - Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 S 2 GG) durch Mitwirkung des abgelehnten Richters an zivilgerichtlicher Entscheidung über Befangenheitsantrag
Normen
Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, §§ 44ff ZPO, § 42 Abs 2 ZPO, § 44 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Bamberg, 17. April 2014, Az: 3 W 13/14, Beschluss
vorgehend OLG Bamberg, 7. März 2014, Az: 3 W 13/14, Beschluss
vorgehend LG Bayreuth, 20. Januar 2014, Az: 23 O 95/03, Beschluss
Tenor
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1. Der Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 20. Januar 2014 - 23 O 95/03 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 7. März 2014 - 3 W 13/14 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. April 2014 - 3 W 13/14 - wird damit gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.
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2. Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsantrages in einem - seit 2003 anhängigen - zivilrechtlichen Ausgangsverfahren.
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1. In einem Termin zur mündlichen Verhandlung lehnte die Beschwerdeführerin den erkennenden Vorsitzenden Richter am Landgericht als Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies unter anderem damit, dass das Gericht die Zurückgabe eines Gutachtenauftrags als "Stellungnahme" zu Lasten der Beschwerdeführerin gewertet habe. Zudem habe der abgelehnte Richter geäußert, dass die Sache nun "durchgehauen werden müsse" und ihm ein eventueller Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei. Außerdem sei die Objektivität des Gerichts anzuzweifeln, da die Aufnahme des Ablehnungsantrages zum Teil mit ins Lächerliche gehendem "süffisantem Gelächter" quittiert worden sei.
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Das Landgericht wies das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführerin noch im Termin mit Beschluss vom 20. Januar 2014 durch den abgelehnten Richter zurück. Die Ablehnung sei unzulässig, weil sie - wie sich aus dem gesamten Verfahrensgang ergebe - nur der Prozessverschleppung dienen solle. In einem solchen Fall des Rechtsmissbrauchs sei der abgelehnte Richter befugt, auch selbst und sogleich zu entscheiden. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin für die beantragte Ablehnung, da diese im zivilprozessrechtlichen Sinne verfahrensfremden Zwecken diene und mit dem Beschleunigungsgebot nicht vereinbar sei. Daher sei durch den abgelehnten Richter - wie geschehen - selbst zu entscheiden. Einer dienstlichen Äußerung bedürfe es nicht.
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Der sofortigen Beschwerde der Beschwerdeführerin half das Landgericht nicht ab. Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Zu Recht habe das Landgericht das Befangenheitsgesuch als unzulässig verworfen. Es richte sich ausschließlich gegen die vorläufige Rechtsauffassung des Einzelrichters und sei daher rechtsmissbräuchlich. Eine inhaltliche Prüfung der vorgebrachten Ablehnungsgründe sei nicht erforderlich. Die daraufhin von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht zurück.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist ein das Verfahren vor dem Landgericht beendendes Urteil ergangen, gegen das die Beschwerdeführerin und die Kläger des Ausgangsverfahrens Berufung eingelegt haben. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
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3. Zu der Verfassungsbeschwerde hatten das Bayerische Staatsministerium der Justiz und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.
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II.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig (1.) und offensichtlich begründet (2.), soweit sie sich gegen den das Ablehnungsgesuch verwerfenden Beschluss des Landgerichts und den die sofortige Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts richtet.
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1. a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass es sich bei den angegriffenen Entscheidungen um Zwischenentscheidungen handelt. Zwischenentscheidungen können selbstständig angegriffen werden, wenn sie zu einem bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen führen, der später nicht oder jedenfalls nicht vollständig behoben werden kann (vgl. BVerfGE 101, 106 120>). Dies trifft auf Entscheidungen der Fachgerichte über Ablehnungsgesuche zu, wenn sie Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 119, 292 294>). Die hier angegriffenen Entscheidungen sind danach tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde, obwohl der Zivilprozess in der Hauptsache weiter anhängig ist. Sie beenden das Zwischenverfahren zu dem Ablehnungsgesuch und sind für das weitere Verfahren bindend (§ 46 Abs. 2, § 512 ZPO).
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b) Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass das Landgericht zwischenzeitlich ein Endurteil gefällt hat. Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin ist hierdurch nicht entfallen, weil die Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse deren Bindungswirkung für das Berufungsverfahren beseitigt.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 20. Januar 2014 und des Oberlandesgerichts vom 7. März 2014 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
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a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 299>; 48, 246 254>; 82, 286 296>; 95, 322 327>). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (BVerfGE 95, 322 327>).
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Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und außen soll dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.
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Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 213 f.>; 21, 139 145 f.>; 30, 149 153>; 40, 268 271>; 82, 286 298>; 89, 28 36>).
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Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (vgl. BVerfGK 5, 269 279 f.>).
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Die Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern dienen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen ist. Durch die Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (BVerfGK 11, 434 441>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 3772>). In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet. Hierzu zählen die Ablehnung eines ganzen Gerichts als solchem, das offenbar grundlose, nur der Verschleppung dienende und damit rechtsmissbräuchliche Gesuch und die Ablehnung als taktisches Mittel für verfahrensfremde Zwecke (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 45 Rn. 4 m.w.N.).
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Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung trägt die zivilgerichtliche Rechtsprechung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung über das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGE 131, 239 252 f.>; BVerfGK 5, 269 280 f.>; siehe auch §§ 26a, 27 StPO für den Strafprozess).
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In einem strafprozessualen Fall hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetze und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfGK 5, 269 281 f.>). Es hat indes klargestellt, dass ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (vgl. BVerfGK 5, 269 282>). Völlige Ungeeignetheit ist demnach anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Entscheidung ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen. Überschreitet das Gericht bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs die ihm gezogenen Grenzen, kann dies seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (vgl. BVerfGK 5, 269 283>).
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Für den Zivilprozess sind diese Grundsätze entsprechend heranzuziehen. Da die Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag verfassungsrechtlich durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben sind, ist für eine abweichende Beurteilung im Zivilprozessrecht kein Raum (vgl. ebenso BVerfGK 11, 434 442>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 -, NJW 2007, S. 3771 3773>).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt der Beschluss des Landgerichts vom 20. Januar 2014 die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig durch den abgelehnten Richter beruht auf grob fehlerhaften Erwägungen und zeigt, dass das Landgericht den Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.
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Das Landgericht begründet die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs damit, dass es nur der Prozessverschleppung diene und einen Fall des Rechtsmissbrauchs darstelle. Eine überprüfbare Begründung hierfür kann den gerichtlichen Erwägungen jedoch nicht entnommen werden und ist auch nicht ersichtlich. Erst mit der Nichtabhilfeentscheidung hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin einen kurzfristigen Terminsverlegungsantrag mit einem Attest belegt habe, welches sich nicht auf den Termin, sondern auf die beiden Tage zuvor bezogen habe. Die Beschwerdeführerin hat dies aber - nachdem sie im Rahmen des Ablehnungsverfahrens erstmals hierauf hingewiesen wurde - plausibel mit einem Versehen bei der Ausstellung des Attests begründet. Auch der Hinweis auf "den gesamten bisherigen Verfahrensgang", der ausweislich der Akten des Ausgangsverfahrens von fruchtlosen Vergleichsverhandlungen und Anregungen der Beschwerdeführerin, die Beweisaufnahme fortzusetzen, gezeichnet ist, rechtfertigt nicht die Einordnung des Ablehnungsgesuchs als rechtsmissbräuchlich. Vielmehr wäre es geboten gewesen, sich mit der Begründung des - erstmalig gestellten - Ablehnungsgesuchs im Einzelnen auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung hätte gezeigt, dass eine Zurückweisung als unzulässig nicht in Betracht kam.
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Die von der Beschwerdeführerin angeführten Äußerungen des Einzelrichters, wonach die Aufklärungsmöglichkeiten erschöpft seien und die Sache nun "durchgehauen werden müsse", wobei ihm ein eventueller Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei, erscheinen in Verbindung mit dem Umstand, dass die Zurückgabe eines Gutachtenauftrags als sachliche Stellungnahme des Sachverständigen habe gewertet werden sollen, nicht als schlechthin ungeeignet, eine Ablehnung zu begründen. Es handelt sich gerade um solche Behauptungen, die nach den Vorgaben des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer objektiven Klärung durch einen neutralen, unvoreingenommenen Richter hätten zugeführt werden müssen, weil andernfalls der abgelehnte Richter seine eigene Prozessführung beurteilen müsste und sich zum Richter in eigener Sache aufschwänge.
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Die Annahme einer Kompetenz zur Verwerfung des Antrags durch den abgelehnten Richter stellt sich daher als grobe Verkennung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar. Es handelt sich gerade nicht um eine bloße Formalentscheidung. Die im Befangenheitsantrag geäußerte Befürchtung, dass trotz Fehlens der Entscheidungsreife eine Endentscheidung erlassen werde, nachdem der abgelehnte Richter unter anderem geäußert habe, dass die Sache "durchgehauen werden müsse" und ihm ein Vorwurf "nach mir die Sintflut" egal sei, konnte nicht ohne Eingehen auf weitere, außerhalb des Gesuchs selbst liegende Verfahrensumstände beurteilt werden.
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c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die sofortige Beschwerde zurückgewiesen wurde, wird dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls nicht gerecht. Die Einordnung als rechtsmissbräuchlich rechtfertigt das Oberlandesgericht anders als das Landgericht mit der Begründung, dass sich das Ablehnungsgesuch ausschließlich gegen die vorläufige Rechtsauffassung des abgelehnten Richters richte. Damit erfasst das Oberlandesgericht aber die Begründung des Befangenheitsgesuchs nur unzureichend. Dieses enthält zwar auch Ausführungen, die sich gegen die Rechtsauffassung des Landgerichts richten, erschöpft sich aber nicht hierin. Das liegt insbesondere auf der Hand, soweit die Besorgnis der Befangenheit auf die Unsachlichkeit der Äußerungen des abgelehnten Richters gestützt wird (die Sache müsse "durchgehauen werden"; ein Vorwurf "nach mir die Sintflut" sei ihm egal). Bei der Frage, ob ein Ablehnungsgesuch als unzulässig behandelt und durch den abgelehnten Richter selbst entschieden werden kann, ist ein Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen (vgl. BVerfGK 7, 325 340>).
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III.
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Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die sofortige Beschwerde wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Der Beschluss des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge wird durch die Aufhebung des vorangegangenen Beschlusses gegenstandslos. Die Sache wird gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Oberlandesgericht zurückgewiesen, das im Berufungsrechtzug nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters abschließend auch über das Befangenheitsgesuch entscheiden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2007 - 2 BvR 1849/07 -, NJW-RR 2008, S. 512 514>; BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - XII ZB 244/04 -, NJW-RR 2007, S. 411, FamRZ 2007, S. 274). Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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