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BFH 10.03.2020 - X B 136/19
BFH 10.03.2020 - X B 136/19 - Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Klagerücknahme
Normen
§ 72 Abs 2 S 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 8. August 2019, Az: 9 K 9029/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Da das Fehlen einer (wirksamen) Klagerücknahme eine Sachentscheidungsvoraussetzung ist, stellt es einen Verfahrensmangel dar, wenn das FG trotz Unwirksamkeit einer Klagerücknahme deren Wirksamkeit feststellt.
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2. NV: Kommt das FG im (fortgesetzten) Klageverfahren, das die Frage der Wirksamkeit einer Klagerücknahme zum Gegenstand hat, zum Ergebnis, die Klagerücknahme sei wirksam, hat es nicht über die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage zu entscheiden, sondern die Wirksamkeit der Klagerücknahme festzustellen.
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3. NV: Die Erklärung der Klagerücknahme ist zwar grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Sie kann gemäß § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO aber insbesondere dann unwirksam sein, wenn ein rechtsunkundiger Kläger in unzulässiger Weise zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden ist, z.B. wenn sie auf Druck, Drohung, Täuschung oder auch einer unbewussten Irreführung seitens des FG --etwa durch objektiv unzutreffende rechtliche Hinweise-- beruht.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 08.08.2019 - 9 K 9029/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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Keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.
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1. Der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) einer Verletzung der Vorschriften über die Klagerücknahme (§ 72 Abs. 2 Satz 3 FGO) liegt nicht vor.
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a) Im Ausgangspunkt zu Recht weist der Kläger aber --entgegen der in der Beschwerdeerwiderung zum Ausdruck kommenden Auffassung des FA-- darauf hin, dass das Fehlen einer (wirksamen) Klagerücknahme eine Sachentscheidungsvoraussetzung ist und es einen Verfahrensmangel darstellt, wenn das FG eine Sachentscheidungsvoraussetzung unzutreffend beurteilt (zum Ganzen Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11.07.2007 - XI R 1/07, BFHE 218, 20, BStBl II 2007, 833, unter II.1.).
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b) Ebenfalls zutreffend macht der Kläger geltend, dass das FG nicht die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage hätte prüfen dürfen, sondern das Fehlen bzw. Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzung der Klagerücknahme hätte feststellen müssen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BFH-Entscheidungen vom 30.01.1980 - VI B 116/79, BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300; vom 28.03.1990 - II B 163/89, BFHE 159, 486, BStBl II 1990, 503, und vom 13.01.2010 - IX B 109/09, BFH/NV 2010, 917).
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Allein diese unzutreffende Tenorierung und der unzutreffende Aufbau der Entscheidungsgründe machen das vorinstanzliche Urteil indes nicht verfahrensfehlerhaft, da die Ausführungen des FG zur fehlenden Begründetheit der Klage diejenigen Erwägungen beinhalten, die auch in einer feststellenden Entscheidung hätten enthalten sein müssen.
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c) Der Kläger gesteht --auch dies ist zutreffend-- zu, dass das FG seiner Entscheidung den richtigen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat. Danach ist die Erklärung der Klagerücknahme zwar grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (BFH-Urteil vom 26.10.2006 - V R 40/05, BFHE 215, 53, BStBl II 2007, 271, unter II.4.a, m.w.N.). U.a. auf der Grundlage des § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber verschiedene Ausnahme-Fallgruppen von diesem Grundsatz entwickelt worden (vgl. zu diesen Ausnahmen zusammenfassend Senatsbeschluss vom 12.08.2009 - X S 47/08 (PKH), BFH/NV 2009, 1997, unter II.2.b). So ist eine Klagerücknahme insbesondere unwirksam, wenn ein rechtsunkundiger Kläger in unzulässiger Weise zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden ist, z.B. wenn sie auf Druck, Drohung, Täuschung oder auch einer unbewussten Irreführung seitens des FG --etwa durch objektiv unzutreffende rechtliche Hinweise-- beruht (BFH-Urteil vom 06.07.2005 - XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644, unter II.2.).
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Entgegen der Auffassung der Beschwerde sind diese Voraussetzungen im Streitfall aber nicht erfüllt.
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aa) Der Kläger beruft sich zunächst auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 31.05.2012 - 2 StR 610/11 (Neue Zeitschrift für Strafrecht 2013, 106). Damit will er offenbar geltend machen, das FG habe die Klagerücknahme durch Druck, Drohung oder Täuschung erwirkt. In dem der BGH-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein Strafrichter einen eines Bagatelldelikts Angeklagten zur Erwirkung eines Geständnisses während der laufenden Hauptverhandlung --gegen die Intervention der Staatsanwaltschaft-- in eine Gewahrsamszelle einsperren lassen, um ihm vor Augen zu führen, wie es sich im Gefängnis anfühle, obwohl eine Freiheitsstrafe auch im Fall einer Verurteilung keinesfalls zu erwarten war. Der dadurch eingeschüchterte Angeklagte legte daraufhin ein Geständnis ab und erklärte einen Rechtsmittelverzicht.
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Damit ist der Streitfall nicht im Geringsten vergleichbar.
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bb) Dass das FG ihm --im Berichterstatterschreiben vom 18.02.2019 oder in der mündlichen Verhandlung-- einen objektiv unzutreffenden rechtlichen Hinweis erteilt hätte, macht der Kläger nicht konkret geltend.
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cc) Der Kläger behauptet, er habe mit dem FG in der mündlichen Verhandlung vereinbart, dass ihm die Rechtsauffassung des Gerichts im Nachgang zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt werden solle. Da das FG sich an seinen Teil der Vereinbarung nicht gehalten habe, sei auch er selbst nicht an die Erklärung der Klagerücknahme gebunden.
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Eine solche "Vereinbarung" lässt sich für den Senat bereits nicht feststellen. Das FG hat im angefochtenen Urteil ausdrücklich ausgeführt, es habe keine derartige Vereinbarung gegeben. Auch das Protokoll, in das "die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung" aufzunehmen sind (§ 160 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), enthält hierzu nichts. Es wäre dem Kläger durchaus zuzumuten gewesen, im Zusammenhang mit der Abgabe seiner Rücknahmeerklärung darauf zu drängen, eine für ihn so wesentliche Vereinbarung, von der er die Wirksamkeit seiner Erklärung abhängig machen und auf die er sich später berufen will, protokollieren zu lassen.
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dd) Ferner behauptet der Kläger, er habe die Klagerücknahme in der irrigen Annahme erklärt, dass ihm dadurch Rechtsmittel nicht abgeschnitten würden. Der Senat lässt offen, ob er dem Kläger --einem erfolgreichen Unternehmer, der sich zugetraut hat, das finanzgerichtliche Verfahren ohne Unterstützung durch einen Prozessbevollmächtigten selbst zu führen-- darin folgen könnte, dass diesem die verfahrensbeendende Wirkung einer Klagerücknahmeerklärung nicht einmal in laienhafter Weise bewusst gewesen sein soll. Jedenfalls ist weder konkret vorgetragen noch sonst erkennbar, dass ein solcher Irrtum des Klägers durch eine "unbewusste Irreführung" seitens des FG erweckt worden ist. Insbesondere legt der Kläger nicht dar, welche konkreten Formulierungen, die das FG in der mündlichen Verhandlung gebraucht haben soll, bei ihm zu der behaupteten grundlegenden Fehlvorstellung über die Bedeutung der Klagerücknahmeerklärung geführt haben könnten.
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2. Der Kläger rügt darüber hinaus eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht als Verfahrensmängel. Da die Beschwerdebegründung hierzu aber keine weiteren Darlegungen enthält, sind diese Rügen unzulässig.
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3. Soweit der Kläger hilfsweise die Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) erhebt und insoweit ausführt, das FG sei von der BFH-Rechtsprechung zur unbewussten Irreführung eines rechtsunkundigen Steuerpflichtigen abgewichen, sind die hierfür geltenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt.
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Dies hätte vorausgesetzt, dass in der Beschwerdebegründung einander widersprechende abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und der herangezogenen Divergenzentscheidung andererseits gegenüberstellt werden (Senatsbeschluss vom 16.04.2019 - X B 16/19, BFH/NV 2019, 925, Rz 11, m.w.N.). Daran fehlt es.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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