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BFH 25.08.2015 - VIII R 53/13
BFH 25.08.2015 - VIII R 53/13 - Örtliche Zuständigkeit für die gesonderte Feststellung von Einkünften aus selbständiger Arbeit bei freier Mitarbeit eines Steuerberaters in auswärtiger Steuerberatungspraxis - Maßgeblichkeit der Umsätze - Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren
Normen
§ 179 Abs 1 AO, § 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst b AO, § 18 Abs 1 Nr 3 AO, § 127 AO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO, § 74 FGO, § 19 AO, § 18 Abs 1 EStG 2009, EStG VZ 2009
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 10. Juli 2013, Az: 10 K 1769/11 E, Urteil
nachgehend FG Münster, 29. Juni 2017, Az: 10 K 3236/15 E, Urteil
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 10. Juli 2013 10 K 1769/11 E aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für Fahrten mit seinem überwiegend betrieblich genutzten Fahrzeug zu seinem Hauptauftraggeber in vollem Umfang oder nur mit der Entfernungspauschale von 0,30 € für jeden vollen Kilometer als Betriebsausgaben abziehbar sind.
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Der im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) wohnhafte Kläger ist seit 1998 Steuerberater und hat sich mit dem Schwerpunkt internationale Rechnungslegung spezialisiert. Er war bis Oktober 2006 bei einem Steuerberater angestellt und ist seitdem selbständig tätig, ohne mit einem eigenen Telefoneintrag oder auf andere Weise an die Öffentlichkeit zu treten.
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Im Streitjahr 2009 war sein Hauptauftraggeber, von dem er als freier Mitarbeiter rund 61 % seiner Nettoeinnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit erzielte, die im Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts ansässige Steuerberaterpraxis T & Partner (im Folgenden: Steuerberaterpraxis), für die der Kläger aufgrund einer mündlichen Vereinbarung tätig ist. Seine Leistungen für diese Steuerberaterpraxis hatte der Kläger an deren Sitz in S zu erbringen, den er im Streitjahr an insgesamt 181 Tagen aufsuchte.
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In seiner Gewinnermittlung für 2009 berücksichtigte der Kläger als Betriebsausgaben Kosten in Höhe von netto 10.801,11 € für einen geleasten betrieblichen PKW, mit dem er im Jahre 2009 insgesamt 35.604 km zurückgelegt hatte. Als Entnahme für die private Nutzung des PKW setzte er einen anhand seiner Aufzeichnungen im Fahrtenbuch ermittelten Betrag in Höhe von insgesamt netto 1.672,01 € (15,48 % der Gesamtkosten für 5 513 privat gefahrene Kilometer) an.
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Nach Überprüfung des vom Kläger geführten Fahrtenbuchs ging das FA davon aus, dass die Steuerberaterpraxis in S die regelmäßige Betriebsstätte des Klägers sei und deshalb dessen Aufwendungen für die Fahrten von seiner Wohnung nach S gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe des positiven Unterschiedsbetrags zwischen den auf diese Fahrten entfallenden tatsächlichen Aufwendungen und dem sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergebenen Betrag den Gewinn nicht mindern dürften. Dementsprechend setzte es die Einkommensteuer für das Streitjahr unter Ansatz eines um 3.595,35 € erhöhten Gewinns fest (Festsetzung auf 6.235 €).
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Auf die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Änderungsbescheid mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1739 veröffentlichten Urteil vom 10. Juli 2013 10 K 1769/11 E aufgehoben.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Das FA beantragt, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet; auf die Revision des FA ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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Zu Unrecht hat das FG über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheids für das Streitjahr 2009 entschieden, ohne zuvor das Verfahren nach § 74 FGO bis zu einer gesonderten Feststellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers durch das dafür nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) zuständige Finanzamt auszusetzen. Dies hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
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1. Nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO sind die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Wege gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen festzustellen, wenn das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist.
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a) Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Denn das im Streitfall beklagte und für die Einkommensbesteuerung des Klägers als Wohnsitz-FA zuständige FA ist nicht für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers in S zuständig.
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aa) Nach Maßgabe der tatsächlichen Feststellungen des FG ist dessen Würdigung, der Kläger habe seine steuerberatende Tätigkeit in der Steuerberaterpraxis als selbständiger Steuerberater i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, weil diese Würdigung denkgesetzlich möglich ist und nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt und die Beteiligten dagegen keine Einwendungen erhoben haben.
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bb) Auf dieser Grundlage ist nicht das beklagte FA, sondern das für die Steuerberaterpraxis in S zuständige Finanzamt für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der dort vom Kläger ausgeübten Tätigkeit zuständig, weil der Kläger diese Tätigkeit --wegen der dort erzielten höchsten Umsätze aus seiner steuerberatenden Tätigkeit (nach den Feststellungen des FG 61 % seiner Umsätze)-- i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO "vorwiegend" ausgeübt hat (zur Maßgeblichkeit der Umsätze Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juni 1999 IV R 69/98, BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691; vom 27. August 2014 VIII R 16/13, juris).
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b) Das Fehlen einer entsprechenden gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen durch das zuständige Finanzamt als Grundlage der Einkommensteuerfestsetzung durch das beklagte Wohnsitz-FA kann nicht nach § 127 AO geheilt werden.
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Denn die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 228/84, BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230), weil die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu wahrenden Grundordnung des Verfahrens gehört (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580, und vom 19. Juli 1990 IV R 11/89, BFH/NV 1991, 649, sowie --zur gesonderten und einheitlichen Feststellung-- BFH-Urteile vom 14. Februar 2008 IV R 44/05, BFH/NV 2008, 1156; vom 16. Dezember 2009 IV R 18/07, BFH/NV 2010, 1419).
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2. Wegen der danach nachzuholenden gesonderten Feststellung, für die die Feststellungsverjährung nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO wegen Rechtshängigkeit des nicht festsetzungsverjährten angefochtenen Bescheids noch nicht eingetreten ist, wird die Sache an das FG zurückverwiesen. Dieses muss das Verfahren mit Blick auf die nachzuholende Feststellung durch das für die Tätigkeit in S zuständige Finanzamt nach § 74 FGO aussetzen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; BFH-Beschlüsse vom 3. August 2000 III B 179/96, BFHE 192, 255, BStBl II 2001, 33; vom 13. Dezember 2011 X B 127/11, BFH/NV 2012, 601).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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