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BFH 21.10.2014 - I B 100/13
BFH 21.10.2014 - I B 100/13 - Formelle Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde
Normen
§ 96 Abs 1 S 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Mai 2013, Az: 6 K 6223/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Beantragt der fachkundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und unmissverständlich die (isolierte) Aufhebung der Einspruchsentscheidung und obsiegt er mit diesem Begehren vollständig, dann ist seine gegen das FG-Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wegen fehlender Beschwer unzulässig .
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2. NV: Zur Bedeutung der Fassung des Klageantrags für die Bestimmung des Klagebegehrens .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Land- und Forstwirtschaft betreibende GmbH, streitet seit Jahren mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) über die steuerliche Behandlung verschiedener Bilanzposten (u.a. Bewertung des Viehbestands, Behandlung von Gebäudeabrisskosten).
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In einem ersten Klageverfahren hob das Finanzgericht (FG) des Landes Brandenburg mit Urteil vom 21. April 2004 2 K 2804/03 die betreffenden Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung ohne Entscheidung in der Sache gemäß § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, weil es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hielt. Das FA ergriff daraufhin Ermittlungsmaßnahmen, deren Ergebnisse in geänderten Steuerbescheiden Niederschlag fanden. Dagegen setzte sich die Klägerin erneut zur Wehr. In der Einspruchsentscheidung vom 4. September 2009 half das FA den Einsprüchen teilweise ab, ging im Übrigen aber davon aus, dass die Besteuerungsgrundlagen im Wege der "freien Schätzung" nach § 162 der Abgabenordnung zu ermitteln und die Steuern entsprechend festzusetzen seien.
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Die fachkundig vertretene Klägerin erhob Klage. In der mündlichen Verhandlung stellte sie den Antrag, die Einspruchsentscheidung vom 4. September 2009 aufzuheben.
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Das FG Berlin-Brandenburg gab diesem Antrag statt und hob mit Urteil vom 7. Mai 2013 6 K 6223/09 die Einspruchsentscheidung auf. Es ließ die Revision nicht zu.
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Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend.
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Das FA hält die Beschwerde für unzulässig, weil die Klägerin gemessen an ihrem Klageantrag erstinstanzlich voll obsiegt habe und sie deswegen durch das angegriffene Urteil nicht beschwert werde.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Klägerin wird durch die Entscheidung der Vorinstanz nicht beschwert.
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1. a) Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels ist, dass der Rechtsmittelführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Vor § 115 Rz 12, m.w.N.). Das gilt auch für die Nichtzulassungsbeschwerde. Diese ist deshalb unzulässig, wenn der Kläger in der ersten Instanz in vollem Umfang obsiegt hat (Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 115 Rz 12).
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Für die Frage des "Obsiegens" vor dem FG kommt es darauf an, ob das FG mit seiner Entscheidung hinter dem in der unteren Instanz erhobenen Begehren zurückgeblieben ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Dezember 1990 IX R 79/90, BFH/NV 1991, 611). Dabei ist, da die Entscheidungskompetenz des FG durch den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers begrenzt ist (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), allein eine Abweichung der Entscheidung von diesem Antrag maßgeblich (BFH-Urteil vom 30. August 1994 IX R 42/91, BFH/NV 1995, 481, m.w.N.). Deshalb ist eine Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, wenn das FG dem Begehren des Beschwerdeführers in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung in vollem Umfang gefolgt ist (Senatsurteil vom 23. April 1986 I R 178/82, BFHE 147, 125, BStBl II 1986, 880, 881).
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b) Im Streitfall hat die Klägerin ausweislich des Terminprotokolls in der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragt, die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Mit diesem Antrag hat sie in der Hauptsache voll obsiegt. Deshalb wird sie durch das angegriffene Urteil nicht beschwert.
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c) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sich der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag mit dem Klagebegehren i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gedeckt. Aus diesem Grund kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihr etwas anderes (aliud) oder weniger (minus) zugesprochen wurde als sie begehrt hatte.
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aa) Der Inhalt des Klagebegehrens muss nicht immer mit dem Klageantrag übereinstimmen (Senatsbeschluss vom 7. November 2007 I B 104/07, BFH/NV 2008, 799). Das Gericht hat das im Klageantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende (wirkliche) Klagebegehren zu ermitteln. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 4. September 2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335; BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 2012 IV B 30/11, BFH/NV 2012, 965; vom 2. Juli 2012 III B 101/11, BFH/NV 2012, 1628, jeweils m.w.N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 181, m.w.N.). Ist der Kläger bei der Fassung des Klageantrags rechtskundig vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 181).
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bb) Die fachkundig vertretene Klägerin hat ihren Willen in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich geäußert. Der Antragstellung ging eine Sitzungsunterbrechung und, wie aus den Entscheidungsgründen des Urteils hervorgeht, ein Hinweis des Gerichts voraus. Dies lässt es als ausgeschlossen erscheinen, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht das von ihr wirklich Gewollte erklärt hat.
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Die Klagebegründung oder sonstige Umstände geben keinen Anlass für Zweifel an einem wortlautgetreuen Verständnis der abgegebenen Erklärung. In der Klagebegründung wird zwar angekündigt, in der mündlichen Verhandlung den Antrag zu stellen, die Steuer- und Feststellungsbescheide vom 5. September 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. September 2009 aufzuheben. Dieser Antrag ist seinerseits unklar. Denn bei verständiger Würdigung kann es allenfalls um eine Abänderung der Bescheide (vgl. § 100 Abs. 2 FGO) auf der Basis der von der Klägerin als zutreffend eingeschätzten Besteuerungsgrundlagen gegangen sein. Aus der eigentlichen Klagebegründung geht hervor, dass sich die Klägerin gegen die der Einspruchsentscheidung vom 4. September 2009 zugrundeliegende Vollschätzung wandte, weil das FA zwar mit rechtskräftigem Urteil des FG des Landes Brandenburg zur weiteren Sachaufklärung verpflichtet worden war, es dieser Verpflichtung jedoch nach Auffassung der Klägerin bislang nicht nachgekommen war und es stattdessen entgegen der Rechtskraft des Urteils eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vorgenommen hatte. Die Klägerin führt u.a. wörtlich aus: "Gegen diese Einspruchsentscheidung vom 04.09.2009 richtet sich die vorliegende Klage" und "Die Einspruchsentscheidung vom 04.09.2009 ist daher aufzuheben". Das Ziel, die Vollschätzung zu verhindern, deckt sich der Sache nach mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag, weil nach der isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung die darin enthaltene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beseitigt und die Sache wieder in das Einspruchsverfahren zurückversetzt wird. Angesichts dessen ergeben die Umstände des Streitfalles gerade nicht, dass das wirkliche Klageziel mit dem gestellten Antrag nicht übereinstimmt.
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cc) Ob der Weg der isolierten Anfechtung der Einspruchsentscheidung im konkreten Streitfall prozessual gangbar ist und ob der dahingehende Hinweis des Gerichts zutreffend war, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden. Denn das Gericht hat durch Hinweise lediglich auf eine sachdienliche Fassung des Antrags hinzuwirken, die Bestimmung des Klagebegehrens ist dagegen allein Sache des Klägers (BFH-Beschluss vom 27. Dezember 1994 X B 289/93, BFH/NV 1995, 703). Auch sind die Frage der Bestimmung des Klagebegehrens und die Frage, ob ein bestimmtes Klagebegehren in der Sache Erfolg hat (Erfolgsaussichten der Klage), zu unterscheiden. Im Streitfall hat die fachkundig vertretene Klägerin ihr Klagebegehren gegenüber dem Gericht eindeutig bestimmt. Das FG hat dieses Begehren als vollständig begründet erachtet. Deshalb ist für ein Rechtsmittel der Klägerin kein Raum. Durch die angegriffene Entscheidung wird allein das FA (materiell) beschwert, weil seine Einspruchsentscheidung aufgehoben wurde. Es liegt in seinem Ermessen, das Urteil in der nächsten Instanz überprüfen zu lassen oder nicht.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.
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