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BFH 25.09.2014 - III R 56/13
BFH 25.09.2014 - III R 56/13 - Reichweite eines Verpflichtungsurteils in Kindergeldangelegenheiten
Normen
§ 44 Abs 1 FGO, § 101 S 1 FGO, § 105 Abs 2 Nr 3 FGO, § 133 BGB
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 8. Oktober 2013, Az: 10 K 1395/13 Kg, Urteil
Leitsatz
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NV: Hebt das Finanzgericht einen in vollem Umfang angegriffenen Bescheid der Familienkasse auf, mit dem diese die Kindergeldfestsetzung "ab" einem bestimmten Monat abgelehnt hat, und spricht es die Verpflichtung der Familienkasse aus, Kindergeld "ab" dem betreffenden Monat festzusetzen, ist davon auszugehen, dass das Finanzgericht nicht über den durch die Einspruchsentscheidung umfassten Regelungszeitraum hinaus entschieden hat, sofern sich nicht aus dem Urteil etwas anderes ergibt .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater seiner im August 2004 geborenen Tochter (T), die bei der Kindesmutter in Polen lebt.
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Mit am 4. Juni 2012 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) eingegangenem Antrag begehrte der Kläger Kindergeld für T. Durch Bescheid vom 30. Oktober 2012 und Einspruchsentscheidung vom 26. März 2013 wurde der Antrag des Klägers abgelehnt. Die Ablehnung erfolgte mit der Begründung, dass unter mehreren Anspruchsberechtigten nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes derjenige vorrangig berechtigt sei, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe. T sei indessen nicht in den Haushalt des Klägers, sondern in den der Kindesmutter aufgenommen.
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Mit der hiergegen gerichteten Klage begehrte der Kläger Kindergeld ab Juni 2012. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage in vollem Umfang statt und verpflichtete die Familienkasse, "ab Juni 2012 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren". In den Entscheidungsgründen führte das FG u.a. aus, dass die Frage, ob dem Kläger auch für den Zeitraum von September 2010 bis Mai 2012 Kindergeld zustehe, nicht Streitgegenstand des Verfahrens sei, da der Kläger ausdrücklich nur Kindergeld ab Juni 2012 beantragt habe.
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Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe die Familienkasse zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger "ab Juni 2012" Kindergeld zu gewähren. Eine Verpflichtung der Familienkasse zur Kindergeldgewährung hätte nur für den Zeitraum Juni 2012 bis März 2013 ausgesprochen werden dürfen. Für den Zeitraum ab April 2013 hätte die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen.
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Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als Zeiträume ab April 2013 betroffen seien und die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Nach § 44 Abs. 1 FGO ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.
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a) Die Prüfung der Frage, ob das Vorverfahren ganz oder teilweise erfolglos geblieben ist, setzt voraus, dass der Verfahrensgegenstand des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens und der Streitgegenstand des Klageverfahrens in objektiver und subjektiver Hinsicht übereinstimmen (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. November 1984 VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266 zu einem Fall mangelnder Übereinstimmung in objektiver Hinsicht; vom 24. April 2007 I R 33/06, BFH/NV 2007, 2236 zu einem Fall mangelnder Übereinstimmung in subjektiver Hinsicht; vgl. auch Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 44 FGO Rz 176 ff.; von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 44 Rz 93 ff.).
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b) Den (objektiven) Umfang des Verfahrensgegenstands des Einspruchsverfahrens bei einem nicht eingeschränkten Einspruch gegen einen von der Familienkasse erlassenen Ablehnungsbescheid hat der Senat im Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10 (BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380) näher definiert. Danach umfasst das Einspruchsverfahren als fortgesetztes Verwaltungsverfahren bei einem Ablehnungsbescheid, der sich auf den Zeitraum "ab" einem bestimmten Monat (nicht "von ... bis") bezieht, nicht nur die Monate bis zur Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids, sondern --sofern im Einspruchsverfahren eine sachliche Prüfung stattfindet-- auch die Monate bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
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c) Zum Streitgegenstand eines sich hieran anschließenden finanzgerichtlichen Klageverfahrens hat der Senat entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden kann, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat (Urteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681). Der zeitliche Regelungsumfang eines Ablehnungsbescheids wird durch die Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens (Senatsurteil in BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681). Würde ein Kläger mit seiner Klage über diesen Zeitraum hinaus Kindergeld begehren, wäre sie insoweit unzulässig (Senatsurteil in BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681). Soweit der Kläger daher nicht --ggf. trotz eines vom Vorsitzenden gemäß § 76 Abs. 2 FGO erteilten Hinweises auf eine zutreffende Antragstellung-- ausdrücklich etwas anderes beantragt, ist der Klageantrag nach der recht verstandenen Interessenlage des Klägers dahin auszulegen, dass er nicht über den zulässigen Streitgegenstand hinausgeht (Senatsurteil vom 27. September 2012 III R 70/11, BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544).
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2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG im Streitfall nicht über einen Kindergeldanspruch entschieden, über den noch kein Einspruchsverfahren stattgefunden hat.
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a) Da die Familienkasse im Einspruchsverfahren eine sachliche Prüfung des Kindergeldanspruchs vorgenommen hat, umfasste der Verfahrensgegenstand des Einspruchsverfahrens den Kindergeldanspruch bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
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b) Der Streitgegenstand des Klageverfahrens reichte nicht über den Gegenstand des Einspruchsverfahrens hinaus.
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aa) Eine Erweiterung des Streitgegenstands ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Kindergeldgewährung "ab Juni 2012" beantragt hat.
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Auch wenn der Kläger mit diesem Antrag nur den Beginn des Streitzeitraums bezeichnet hat, war sein Antrag --da der Kläger auch nicht ausdrücklich etwas anderes begehrt hat-- nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften dahin auszulegen, dass das Kindergeld bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung begehrt wird. Folglich bestand --entgegen der Auffassung der Familienkasse-- auch kein Anlass für das FG, die Klage für den nachfolgenden Zeitraum als unzulässig abzuweisen.
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bb) Eine Erweiterung des Streitgegenstands lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass das FG die Familienkasse im Tenor des Urteils nach § 101 Satz 1 FGO zur Kindergeldgewährung "ab Juni 2012" verpflichtet hat.
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Die Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist ebenfalls der Auslegung zugänglich, wozu erforderlichenfalls auch auf die übrigen Urteilsinhalte (Tatbestand, Entscheidungsgründe, Antrag des Klägers) zurückgegriffen werden kann (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 2006 VIII B 205/05, juris; Lange in HHSp, § 105 FGO Rz 25, § 110 FGO Rz 54, jeweils m.w.N.). Insoweit ist im Streitfall nicht davon auszugehen, dass das FG mit der Tenorierung "ab Juni 2012" eine ab Juni 2012 in alle Zukunft gerichtete Verpflichtung zur Kindergeldfestsetzung ausgesprochen hat. Vielmehr ergibt sich aus den Entscheidungsgründen, dass das FG sich im Rahmen des Antrags des Klägers gehalten und nicht über den von der Familienkasse geregelten Zeitraum hinaus entschieden hat. Der Hinweis des FG, wonach die Frage, ob dem Kläger auch für den Zeitraum zwischen September 2010 und Mai 2012 Kindergeld zustehe, wegen eines entsprechend ausdrücklich beschränkten Klageantrags nicht streitgegenständlich sei, bezieht sich nur auf den Zeitraum vor Juni 2012. Aus ihm ergibt sich indessen nicht, dass das FG hinsichtlich des Zeitraums ab Juni 2012 unbeschränkt geprüft und über den Gegenstand des Einspruchsverfahrens hinaus entschieden hat.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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