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BFH 09.09.2014 - VIII B 133/13
BFH 09.09.2014 - VIII B 133/13 - Auslegung des Klageantrags im Rahmen einer "Untätigkeitsverpflichtungsklage"
Normen
§ 133 BGB, § 46 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 S 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 10. Oktober 2013, Az: 4 K 1558/13, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine "Untätigkeitsverpflichtungsklage gemäß § 46 FGO", die der Kläger nach Einlegung eines nicht beschiedenen Einspruchs gegen einen Steuerbescheid einlegt, mit dem Antrag das Finanzamt zu Bescheidung des Einspruchs zu verpflichten, ist gesetzlich nicht vorgesehen und daher unzulässig.
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2. NV: Ein solcher Klageantrag ist nach den Grundsätzen der rechtsschutzgewährenden Auslegung im Regelfall dahin gehend auszulegen, dass der Kläger die inhaltliche Änderung der Steuerfestsetzung begehrt (Anschluss an den BFH-Beschluss vom 2. Juli 2012 III B 101/11, BFH/NV 2012, 1628).
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob am 27. Juli 2013 eine "Untätigkeits(verpflichtungs-)klage gem. § 46 Abs. 1 FGO" beim Finanzgericht (FG).
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) vertrat in seiner Gegenäußerung zur Klage im Schriftsatz vom 19. August 2013 die Auffassung, die Untätigkeitsverpflichtungsklage sei unzulässig. Denn die Finanzverwaltung habe im Hinblick auf ein schwebendes Revisionsverfahren des Klägers nach § 363 Abs. 1 der Abgabenordnung die Entscheidung über den Einspruch zur Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2004 ausgesetzt und dies dem Kläger mehrfach mitgeteilt. Hierin liege ein sachlicher Grund, nicht über den Einspruch zu entscheiden.
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Nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter wies dieser den Kläger mit Schriftsatz vom 5. September 2013 darauf hin, er halte die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig. Denn der Kläger habe als Begehren seiner Untätigkeitsverpflichtungsklage formuliert, das FA zu verpflichten, über den anhängigen Einspruch zu entscheiden. Eine solche Klageart sehe die Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht vor.
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In einem Schriftsatz vom 5. Oktober 2013 beantragte der Kläger daraufhin, den geänderten Einkommensteuerbescheid 2004 (nunmehr vom 31. Januar 2013) aufzuheben, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen. Zudem wiederholte der Kläger in einem Hilfsantrag seine Anträge, das FA zu verpflichten, innerhalb von vier Wochen über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 und gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 zu entscheiden.
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Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe kein Rechtsschutzbedürfnis, da er begehrt habe, das FA zu verpflichten, über den seit 2009 anhängigen Einspruch zu entscheiden. Er habe bei Klageerhebung nicht, wie im Rahmen einer Untätigkeitsklage gemäß § 46 FGO erforderlich, eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2004 und des Verlustfeststellungsbescheids auf den 31. Dezember 2004 in der Sache begehrt. Die später im Schriftsatz vom 5. Oktober 2013 beantragte sachliche Entscheidung stelle keine wirksame Klageänderung hin zu einer Untätigkeitsanfechtungsklage dar, da der Kläger nicht aufgezeigt habe, in welchem Umfang er eine inhaltliche Änderung der Bescheide begehre. Im Übrigen stehe einer solchen Klageänderung auch entgegen, dass das FA dieser weder zugestimmt habe noch sie vom Gericht als sachdienlich angesehen werden könne.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Das FG hat zu Unrecht ein Prozessurteil erlassen. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird. In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. Senatsurteil vom 25. September 2013 VIII R 17/11, juris; bei fehlerhafter Auslegung des Klageantrags siehe z.B. BFH-Beschluss vom 16. Oktober 2013 IX B 73/13, BFH/NV 2014, 178).
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2. Die Klage war entgegen der Auffassung des FG nicht lediglich auf die Verpflichtung des FA gerichtet, eine Einspruchsentscheidung zu erlassen, sondern der Kläger begehrte im Rahmen einer Untätigkeitsanfechtungsklage (§ 46 Abs. 1 FGO) die inhaltliche Änderung des Einkommensteuerbescheids 2004 und des Verlustfeststellungsbescheids zum 31. Dezember 2004.
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a) Prozesserklärungen sind wie sonstige Willenserklärungen auslegungsfähig. Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung. Dabei können auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 178).
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b) Dementsprechend ist nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO das Gericht an die Fassung des Klageantrags nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BFH-Entscheidungen vom 12. Juni 1997 I R 70/96, BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, m.w.N.; vom 2. Juli 2012 III B 101/11, BFH/NV 2012, 1628). Das Wesen der Klage wird nicht durch den --formalen-- Klageantrag bestimmt, sondern durch den begehrten richterlichen Ausspruch. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Entscheidungen vom 29. April 2009 X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, m.w.N.; in BFH/NV 2012, 1628). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Rechnung (vgl. zum Ganzen BFH-Entscheidungen vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306; vom 27. Januar 2011 III R 65/09, BFH/NV 2011, 991; in BFH/NV 2014, 178).
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c) Auf dieser Grundlage ist im Regelfall eine Würdigung auslegungsbedürftigen Klägervortrags in dem Sinne geboten, dass die materiell-rechtliche Richtigkeit einer Steuerfestsetzung überprüft werden soll, die mit dem Einspruch angefochten worden ist, wenn der Kläger gerichtlich die --im Gesetz nicht vorgesehene-- Verpflichtung des FA begehrt, über den Einspruch zu entscheiden.
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d) Es ist im Streitfall nach den unter II.2.a und b dargelegten Maßstäben rechtsfehlerhaft, dass das FG bei seiner Auslegung anhand der Klageschrift vom 27. Juli 2013 aus der Bezeichnung der Klage als "Untätigkeits(verpflichtungs-)klage gem. § 46 Abs. 1 FGO" und dem vorläufigen Antrag, das FA zur Entscheidung über den anhängigen Einspruch zu verpflichten, abgeleitet hat, der Kläger habe sowohl den Einkommensteuerbescheid 2004 als auch den Verlustfeststellungsbescheid auf den 31. Dezember 2004 nicht inhaltlich angefochten. Denn aus den Gesamtumständen des Streitfalls, insbesondere dem Inhalt der Klageschrift nebst Anlagen, ergibt sich, dass der Kläger eine Aufhebung der genannten Bescheide und das Wiederaufleben der zuvor ergangenen Bescheide erreichen wollte.
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aa) In der Klageschrift vom 27. Juli 2013 und den zugehörigen Anlagen hat der Kläger ausgeführt, er habe zunächst eine Sprungklage gegen den damals geänderten Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2004 vom 30. März 2009 und gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2004 (ebenfalls vom 30. März 2009) erhoben. Im Rahmen dieser Sprungklage hatte der Kläger in einem Schriftsatz vom 18. April 2009, der der Klageschrift vom 27. Juli 2013 als Anlage beigefügt war, beantragt, den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2004 aufzuheben, damit der Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 12. Dezember 2008 wieder aufleben könne. Weiterhin begehrte er, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 vom 30. März 2009 aufzuheben, damit der vorherige Bescheid vom 12. Dezember 2008 wieder aufleben könne. In dem besagten Schriftsatz vom 18. April 2009 erläuterte der Kläger zur Begründung der Sprungklage, das FA habe zu Unrecht von ihm in der Gewinnermittlung 2004 gebildete Ansparrücklagen (§ 7g des Einkommensteuergesetzes in der 2004 geltenden Fassung --EStG--) nicht berücksichtigt oder bereits gebildete Rücklagen gewinnerhöhend aufgelöst. Dies habe sich auch auf den Bescheid zur Feststellung des Verlustabzugs zum 31. Dezember 2004 ausgewirkt.
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bb) Ferner enthielt die Klageschrift vom 27. Juli 2013 in einer weiteren Anlage ein Schreiben des FA zum Einkommensteuerbescheid 2004 vom 24. Juni 2010, aus dem ersichtlich ist, in welchem Umfang die Einkünfte des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit erhöht wurden, da das FA für einzelne Praxisstandorte des Klägers die gebildeten Ansparrücklagen nach § 7g EStG nicht (mehr) anerkannte. In einem Schreiben des Klägers an das FA vom 30. Dezember 2011 (eine weitere Anlage zur Klageschrift vom 27. Juli 2013) führte der Kläger aus, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien zum Teil unzutreffend ermittelt worden, weil seine Einkünfte aus zwei Beteiligungsgesellschaften nicht richtig erfasst worden seien. Zudem wiederholte er im Einzelnen, in welcher Höhe die Ansparrücklagen für die Praxisstandorte anzusetzen seien.
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cc) Außerdem nahm der Kläger im Schriftsatz vom 5. Oktober 2013 zum richterlichen Hinweis Stellung. Er bekräftigte dort, eine sachliche Entscheidung zu begehren und dass das FA zu Unrecht davon ausgehe, er könne die streitigen Ansparrücklagen nicht bilden. Das FG geht somit insgesamt fehl in der Beurteilung, es sei nicht hinreichend bestimmbar, wie die Besteuerungsgrundlagen der angefochtenen Bescheide geändert werden sollten. Denn der Kläger hat im Verfahren hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit stets die Aufhebung der geänderten Einkommensteuerbescheide 2004 begehrt, damit die Steuerfestsetzung laut seines Einkommensteuerbescheids 2004 vom 12. Dezember 2008 insoweit wieder aufleben könne.
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dd) Schließlich lässt auch die Gegenäußerung des FA im Klageverfahren erkennen, dass es von einer Untätigkeitsanfechtungsklage gemäß § 46 FGO ausging. Es hat Stellung genommen, warum aus sachlichen Gründen noch nicht über den Einspruch entschieden worden sei.
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3. Somit wird das FG im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob angesichts des Vorbringens des FA zum Vorliegen eines sachlichen Grundes, nicht über den Einspruch zu entscheiden, die vom Kläger erhobene Untätigkeitsklage zulässig ist. Hierzu fehlen bislang hinreichende Feststellungen. Sollte die Untätigkeitsklage zulässig sein, wird das FG sachlich über die angefochtenen Bescheide zu entscheiden haben.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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