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BFH 08.05.2014 - III R 50/13
BFH 08.05.2014 - III R 50/13 - Kindergeldanspruch für ein Kind, das mit dem anderen Elternteil seines nichtehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt lebt - Schätzung der Höhe der vom anderen Elternteil oder von Dritten erbrachten Unterhaltsleistungen
Normen
§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2002 vom 29.12.2003, § 32 Abs 4 S 9 EStG 2002, § 1615l BGB, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 21. März 2013, Az: 4 K 4004/13, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Bei Anwendung der für den Kindergeldanspruch volljähriger Kinder bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2011 geltenden Einkünfte- und Bezügegrenze (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.) sind bei einem Kind, das mit dem anderen Elternteil seines nichtehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt lebt, nur die im Anspruchszeitraum tatsächlich zugeflossenen Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils oder Dritter als Bezüge zu berücksichtigen, sofern das Kind nicht i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG a.F. auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat .
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2. NV: Bei unverheirateten Eltern eines gemeinsamen Kindes, die zusammen in einem Haushalt leben, kann nicht von dem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass diese sich das Einkommen des alleinverdienenden Elternteils oder ihr gemeinsames verfügbares Einkommen hälftig teilen .
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3. NV: Lässt sich die Höhe der vom anderen Elternteil oder von Dritten erbrachten Unterhaltsleistungen nicht mehr im Einzelnen (z.B. durch Ansatz der anteiligen Miete) feststellen, kann bei einer notwendigen Schätzung auf die Werte der Verordnung über den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung) in der jeweils geltenden Fassung zurückgegriffen werden .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter ihrer 1983 geborenen Tochter (T). T absolvierte im Streitzeitraum Januar 2005 bis Dezember 2006 ein Studium. Während des 4. Fachsemesters gebar sie im Januar 2005 einen Sohn. Im Januar 2008 beendete T ihr Studium erfolgreich.
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T war im Streitzeitraum mit dem Kindesvater (V) nicht verheiratet, lebte jedoch mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt. V erzielte im Streitzeitraum Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit. T bezog im Streitzeitraum BaföG-Zuschüsse, Erziehungsgeldleistungen und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 ab Januar 2005 auf und forderte das für den Zeitraum Januar 2005 bis Oktober 2006 bereits ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 3.388 € von der Klägerin zurück. Zur Begründung verwies die Familienkasse darauf, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge der T den gesetzlichen Grenzbetrag überschritten hätten bzw. voraussichtlich überschreiten würden. Mit weiterem Bescheid vom 9. November 2006 lehnte die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Monate November und Dezember 2006 mit entsprechender Begründung ab. Aus den beigefügten Berechnungen ergab sich, dass die Familienkasse hierbei insbesondere einen Unterhaltsanspruch gegen den Kindsvater als Bezug der T angesetzt hatte. Die gegen beide Bescheide gerichteten Einsprüche wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 4. April 2007 als unbegründet zurück. Hierbei ging die Familienkasse von folgender Berechnung aus:
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Einkünfte und Bezüge der T
2005
2006
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
--
460,00 €
BaföG-Zuschüsse
976,50 €
--
Unterhaltsanspruch
9.816,15 €
9.816,15 €
Summe
10.792,65 €
9.816,15 €
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Auf die dagegen gerichtete Klage hob das Finanzgericht (FG) beide Bescheide auf und verpflichtete die Familienkasse, auch für die Monate November und Dezember 2006 Kindergeld zugunsten der Klägerin festzusetzen. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass T nur bis 19. März 2005 einen Unterhaltsanspruch gegen V gehabt habe und die sich daraus ergebenden Bezüge nicht zur Überschreitung des Grenzbetrags geführt hätten.
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Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG. Die Feststellungen des FG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob ein Kindergeldanspruch der Klägerin ausgeschlossen ist, weil zu berücksichtigende Bezüge des Kindes vorlagen, die zu einer Überschreitung des Grenzbetrags des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (im Folgenden: EStG) führen.
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1. a) Nach den Feststellungen des FG befand sich T im Streitzeitraum Januar 2005 bis Dezember 2006 unstreitig als ordentlich Studierende in einer Berufsausbildung und war daher beim Kindergeldanspruch der Klägerin grundsätzlich nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen.
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b) Zu Unrecht ist das FG indes davon ausgegangen, dass die Frage, ob die Eltern des Kindes durch Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils eines nichtehelichen Kindes ihres Kindes (§ 1615l des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) von eigenen Unterhaltsleistungen entlastet werden, bereits im Rahmen des in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG enthaltenen, ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der "typischen Unterhaltssituation" zu prüfen ist. Dieser Fragestellung ist nach der neueren Rechtsprechung des Senats erst im Rahmen der Einkünfte- und Bezügegrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nachzugehen (s. insoweit Senatsurteile vom 11. April 2013 III R 24/12, BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866; vom 12. September 2013 III R 55/12, BFH/NV 2014, 36, jeweils zum Unterhalt durch den anderen Elternteil eines nichtehelichen Kindes; vom 17. Oktober 2013 III R 22/13, BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257, zum Unterhalt durch den Ehegatten des Kindes, jeweils m.w.N.).
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2. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG setzt für einen Kindergeldanspruch der Klägerin voraus, dass die Einkünfte und Bezüge der T, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr betragen haben.
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a) Wie der Senat im Urteil in BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866 ausgeführt hat, fallen unter den Begriff der Bezüge alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden, also nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen. Insoweit sind auch Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils eines nichtehelichen Kindes zu erfassen, unabhängig davon, ob sie auf einer tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtspflicht nach § 1615l BGB oder auf Freiwilligkeit beruhen. Ebenso sind auch laufende oder einmalige Zuwendungen von dritter Seite, die den Unterhaltsbedarf des Kindes decken oder die Berufsausbildung sichern und damit die Eltern bei ihren Unterhaltsleistungen entlasten können, grundsätzlich als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erfassen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- in BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866, m.w.N.).
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b) Zu Recht weist die Klägerin allerdings darauf hin, dass der Senat bei einem Kind, das mit dem mit ihm nicht verheirateten Elternteil eines gemeinsamen Kindes in einem Haushalt zusammen lebt, auf den tatsächlichen Zufluss der Unterhaltsleistungen abgestellt hat, sofern das Kind nicht i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat (s. hierzu die BFH-Urteile in BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866, m.w.N.; in BFHE 243, 246, BStBl II 2014, 257, durch die von der Familienkasse angeführten FG-Entscheidungen aufgehoben wurden). Die Vereinfachungsregel, wonach bei kinderlosen, in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten davon ausgegangen werden könne, dass dem nicht verdienenden Ehepartner von einem Alleinverdiener mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt, hat der Senat auf unverheiratete, in einem gemeinsamen Haushalt lebende Eltern nicht angewandt (s. im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866). Wegen der Geltung des Zuflussprinzips ist daher in Fällen des gemeinsamen Haushalts unverheirateter Eltern im Einzelnen zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang gegenüber dem betreuenden Elternteil im jeweiligen Anspruchszeitraum Bar- oder Naturalleistungen durch den anderen Elternteil oder durch einen Dritten erbracht wurden.
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3. a) Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Das FG hat zum einen festgestellt, dass Unterhaltsansprüche der T gegen den V jedenfalls ab 20. März 2005 nicht bestanden hätten. Auf diese Frage kam es angesichts der oben dargestellten Geltung des Zuflussprinzips nicht an, da das FG nicht festgestellt hat, dass T auf einen Unterhaltanspruch gegen V i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG verzichtet hat. Im Übrigen würde auch ein solcher Verzicht auf einen bestehenden Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB nicht ausschließen, dass tatsächlich gleichwohl --etwa durch Dritte-- Unterhaltsleistungen erbracht wurden.
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Zum anderen hat das FG ausgeführt, dass Unterhalt seitens des V auch nicht gezahlt worden sei. Insoweit hat das FG bereits den Umstand vernachlässigt, dass Unterhaltsleistungen nicht nur durch Zahlung eines Geldbetrags, sondern auch in Form von Sachleistungen erfolgen können. Zudem fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen, auf welche die Folgerung, es habe an tatsächlichen Unterhaltsleistungen des V gefehlt, gestützt werden könnte. Insbesondere fehlen Feststellungen zu der von der Klägerin im Schriftsatz vom 12. Oktober 2010 aufgestellten Behauptung, T sei während des Studiums weiterhin (allein) durch Zuwendungen ihrer Eltern unterhalten worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Familienkasse das Fehlen tatsächlicher Unterhaltsleistungen unstreitig gestellt hat. Denn wie sich aus der Einspruchsentscheidung vom 4. April 2007 und dem Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren ergibt (s. etwa Schreiben der Familienkasse vom 4. November 2008), ist auch die Familienkasse davon ausgegangen, dass es nur auf das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs ankommt und die tatsächlichen Unterhaltszahlungen nicht entscheidungserheblich sind. Insoweit wird das FG im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, welche Unterhaltskosten für den gemeinsamen Haushalt von T und V entstanden sind und durch wen diese getragen wurden.
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b) Ohne Bindungswirkung für das Verfahren im zweiten Rechtsgang weist der Senat darauf hin, dass es bei der Bewertung von etwaigen Naturalleistungen (z.B. Verpflegung, Unterkunft oder Wohnung), die T vom Kindsvater oder Dritten bezogen hat, keinen Bedenken begegnen würde, wenn diese in Anlehnung an die Werte der Verordnung über den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung) in der jeweils geltenden Fassung geschätzt würden, sofern nicht im Einzelfall abweichende Werte (z.B. anteilige Miete) festgestellt werden können.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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