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BFH 17.07.2012 - IV B 55/11
BFH 17.07.2012 - IV B 55/11 - Vom Finanzamt veranlasste fehlerhafte Klägerbezeichnung bei voll beendeter KG - Prozessurteil statt Sachurteil - Zurückverweisung wegen Verfahrensmangels durch fehlerhafte Auslegung einer Klageschrift
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 48 Abs 1 Nr 1 FGO, § 116 Abs 6 FGO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 21. Februar 2011, Az: 1 K 1361/06, Urteil
nachgehend BFH, 30. Mai 2017, Az: IV B 20/17, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Ist bereits die Einspruchsentscheidung zu Unrecht an eine bereits voll beendete KG und nicht an die Gesellschafter adressiert worden, obwohl die KG schon zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung untergegangen war, und war dies dem FA auch schon vor Erlass der Einspruchsentscheidung bekannt, so hat das FA die fehlerhafte Klägerbezeichnung dem Grunde nach veranlasst .
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2. NV: Da in einem solchen Fall für das FA erkennbar war, dass die Klage zulässigerweise nur von den ehemaligen Gesellschaftern der voll beendeten Gesellschaft erhoben werden konnte, kann die Klage gegen den Wortlaut nur dahin ausgelegt werden, dass sie von einem oder allen ehemaligen Gesellschaftern eingelegt worden ist .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war am Gewinn und Verlust nicht beteiligte Komplementärin der durch Gesellschaftsvertrag vom Mai 2004 gegründeten V-KG. Einzige Kommanditistin dieser Gesellschaft war A.
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Mit Schreiben vom 22. November 2004 kündigte A ihre Beteiligung an der V-KG zum 31. Dezember 2004, woraufhin die Klägerin den Kommanditanteil der A im Wege der Anwachsung übernahm. Das Erlöschen der Gesellschaft wurde im Mai 2005 in das Handelsregister eingetragen.
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In der am 31. März 2005 für die V-KG abgegebenen Erklärung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2004 wurden Einkünfte in Höhe von -156.106 € erklärt. Davon entfielen 600 € auf eine Haftungsvergütung für die Klägerin als Komplementärin und -156.706 € auf laufende Einkünfte, wovon wiederum 154.000 € auf eine im April 2004 gebildete Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entfielen. Von dem Ergebnis wurden der Klägerin 600 €, der A -156.706 € zugerechnet. In der am 2. September 2005 abgegebenen Anwachsungsbilanz der V-KG auf den 31. Dezember 2004 wurde zudem eine Rückzahlungsverpflichtung der A in Höhe von 4.338,54 € aktiviert.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stellte zunächst mit Bescheid vom 6. Oktober 2005 Einkünfte der V-KG in Höhe von -8.436,29 € fest, die er zu 750 € der Klägerin als Komplementärin und zu -9.186,29 € der A zurechnete. Der Bescheid war an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Empfangsbevollmächtigten der V-KG "i.L." gerichtet.
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Auf den Einspruch der V-KG hin stellte das FA mit ebenfalls an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Empfangsbevollmächtigten der V-KG "i.L." gerichteter Einspruchsentscheidung vom 27. März 2006 einen Verlust der Gesellschaft in Höhe von 162.439,29 € fest, der sich aus Einkünften in Höhe von -162.439,29 € sowie Einkünften aus Ergänzungsbilanzen in Höhe von -154.000 € sowie einem gleich hohen Veräußerungsgewinn zusammensetzte. Der Verlust wurde der Klägerin in Höhe von 153.250 € und der A in Höhe von 9.186,29 € zugerechnet. Das FA behandelte dabei die Anwachsung als entgeltliches Veräußerungsgeschäft nach § 16 Abs. 3 EStG; da der Aufgabegewinn auf die Ansparabschreibung nach § 7g Abs. 3 EStG entfiel, erfasste das FA diesen als laufenden Gewinn der A und zugleich als Verlust der Klägerin.
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Dagegen erhob die Klägerin "als Rechtsnachfolgerin der V-KG" Klage vor dem Finanzgericht (FG), mit der sie sich gegen die Feststellung eines Veräußerungsgewinns der A in Höhe von 154.000 € und gleichzeitige Zurechnung eines entsprechenden Verlustes bei ihr wendete. Die Bescheide seien jeweils an die falsche Inhaltsadressatin gerichtet worden, denn es sei jeweils die V-KG mit dem Zusatz "i.L." benannt. Sie, die Klägerin, sei Rechtsnachfolgerin der ohne Liquidation erloschenen V-KG, und klage, um zu verhindern, dass die an die V-KG gerichteten Bescheide ihr gegenüber Rechtswirkungen entfalteten.
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Das FG wies die Klage mit dem angefochtenen Urteil als unzulässig ab. Die Klägerin sei nicht zur Klageerhebung für alle Gesellschafter der V-KG befugt und ihr fehle im Übrigen die Beschwer. Der angefochtene Feststellungsbescheid und die Einspruchsentscheidung seien dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Empfangsbevollmächtigten aller Beteiligten der V-KG wirksam bekannt gegeben worden. Die Klägerin habe ihre Klage auch ausdrücklich als Rechtsnachfolgerin der V-KG und nicht als Prozessstandschafterin der früheren Gesellschafter erhoben. Da in ihrer Person ein Verlust festgestellt worden sei, fehle es an der Beschwer. Eine Auslegung der Klage dahingehend, dass sie auch namens der A erhoben worden sei, scheide aufgrund der ausdrücklichen Klageerhebung im eigenen Namen aus.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision wehrt sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
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Sie beantragt, die Revision gegen das angefochtene Urteil zuzulassen.
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Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das Urteil des FG beruht auf einem Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, weil das FG zu Unrecht eine Auslegung der Klage als "auch im Namen der A erhoben" abgelehnt und diese als unzulässig abgewiesen hat. Erlässt ein FG zu Unrecht ein Prozessurteil, anstatt zur Sache zu entscheiden, liegt darin nach ständiger Rechtsprechung ein die Zulassung der Revision begründender Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; BFH-Beschluss vom 23. November 1994 I B 63/94, BFH/NV 1995, 980).
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a) Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist gegenüber einem Feststellungsbescheid, der den Gewinn oder Verlust einer Personenhandelsgesellschaft zum Gegenstand hat, nur die Personenhandelsgesellschaft selbst, vertreten durch den geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter klagebefugt, soweit nicht die Sondervorschriften des § 48 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 FGO eingreifen. Dieses Prozessführungsrecht der Personenhandelsgesellschaft für ihre Gesellschafter und der damit korrespondierende Ausschluss des eigenen Prozessführungsrechts der von dem Feststellungsbescheid betroffenen Personen besteht auch noch fort, wenn die Personenhandelsgesellschaft im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids bereits aufgelöst ist und sich in Liquidation befindet. Die Klagebefugnis der Personenhandelsgesellschaft und die ihr entsprechende Beschränkung des Prozessführungsrechts der materiell betroffenen Gesellschafter entfallen jedoch mit der "handelsrechtlichen Vollbeendigung" der Personenhandelsgesellschaft. Dabei ist nicht entscheidend, auf welche Weise die "handelsrechtliche Vollbeendigung", d.h. ein Zustand, in dem verteilbares Aktivvermögen der Personenhandelsgesellschaft nicht mehr vorhanden ist, eintritt. Die Klagebefugnis einer Personenhandelsgesellschaft erlischt etwa, wenn die Personenhandelsgesellschaft ihre handelsrechtliche Existenz durch Ausscheiden aller Gesellschafter bis auf einen, also durch Anwachsung, verliert (BFH-Urteile vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503; vom 19. Mai 1983 IV R 125/82, BFHE 139, 1, BStBl II 1984, 15). Im Streitfall war A durch das Schreiben vom 22. November 2004 mit Wirkung zum 31. Dezember 2004 aus der V-KG ausgeschieden und diese damit ohne Liquidation vollbeendet.
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b) Nach den vom Senat in seinem Urteil vom 23. April 2009 IV R 87/05 (BFH/NV 2009, 1650; vgl. auch BFH-Beschluss vom 8. Februar 2012 IV B 76/10, BFH/NV 2012, 1172) aufgestellten Grundsätzen erfolgt die Auslegung einer Klageschrift nach den für die Willenserklärungen geltenden Grundsätzen. Für die Auslegung und Bestimmung der in der Klageschrift genannten Kläger sind alle dem FG und dem FA bekannten und vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen. Dabei sind auch die Umstände heranzuziehen, die nur dem FA als einem Adressaten der Klage (neben dem FG) erkennbar waren (BFH-Beschluss vom 6. Mai 1998 IV B 108/97, BFH/NV 1999, 146). Ist bereits die Einspruchsentscheidung zu Unrecht an eine bereits vollbeendete KG und nicht an die Gesellschafter adressiert worden, obwohl die KG schon zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung --hier am 27. März 2006-- untergegangen war, und war dies dem FA auch schon vor Erlass der Einspruchsentscheidung --hier spätestens mit Einreichung der Anwachsungsbilanz am 2. September 2005-- bekannt, so hat das FA, wenn die fehlerhafte Adressierung der Einspruchsentscheidung nicht zu deren Unwirksamkeit führt, die fehlerhafte Klägerbezeichnung dem Grunde nach veranlasst. Da in einem solchen Fall für das FA erkennbar war, dass die Klage zulässigerweise nur von den ehemaligen Gesellschaftern der vollbeendeten Gesellschaft erhoben werden konnte, kann die Klage gegen den Wortlaut nur dahin ausgelegt werden, dass sie von einem oder allen ehemaligen Gesellschaftern eingelegt worden ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 146; BFH-Urteile vom 1. Juli 2004 IV R 4/03, BFH/NV 2005, 162, und in BFH/NV 2009, 1650). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klage von einem rechtskundigen Prozessvertreter erhoben worden ist.
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2. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das FG auf der Grundlage seiner Auslegung die ausgeschiedene A nach §§ 48 Abs. 1 Nr. 3, 60 Abs. 3 FGO hätte beiladen müssen.
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