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BFH 14.02.2012 - V S 1/12 (PKH)
BFH 14.02.2012 - V S 1/12 (PKH) - Zugangsvermutung bei Bekanntgabe von Verwaltungsakten; Verteilung der Beweislast, Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 114 Abs 2 Nr 3 FGO, § 142 FGO, § 114 ZPO, § 117 ZPO, § 122 Abs 2 AO, § 130 BGB
Vorinstanz
nachgehend BVerfG, 19. April 2012, Az: 1 BvR 529/12, Kammerbeschluss ohne Begründung
Leitsatz
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1. NV: Die Rechtsfrage, ob die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 AO die Beweislast der Zustellung umkehren kann, ist angesichts des Wortlauts der Norm und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BFH nicht mehr klärungsbedürftig .
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2. NV: Aus der Behauptung, das auf § 122 Abs. 2 AO beruhende Urteil des FG beinhalte einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien, ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache .
Tatbestand
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I. Innerhalb der Beschwerdefrist beantragte der nicht vertretene Kläger und Antragsteller (Kläger) Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 1. Dezember 2011 1 K 276/09.
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Das FG hat die Klage unter Hinweis auf die in der Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) dargelegten Gründe als unbegründet abgewiesen (§ 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Danach war der am 31. Juli 2009 beim FA eingegangene Einspruch des Klägers vom 22. Juli 2009 verspätet und somit unzulässig. Der angegriffene Umsatzsteuer-Schätzbescheid vom 18. Juni 2009 sei noch am selben Tag zur Post gegeben worden und gelte --da der dritte Tag ein Sonntag gewesen sei-- am 22. Juni 2009 als bekanntgegeben. Die Einspruchsfrist sei mit Ablauf des 22. Juli 2009 verstrichen. Der Vortrag des Klägers, ihm sei der Steuerbescheid tatsächlich erst am 12. Juli 2009 zugegangen, sei unsubstantiiert und zudem unglaubhaft, da es sich bei dem 12. Juli 2009 um einen Sonntag gehandelt habe. Trotz Aufforderung des FA habe der Kläger auch keine Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen. Ergänzend wies das FG darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht jedes einfache Bestreiten des Zugangszeitpunkts genüge, um die Zugangsvermutung und -fiktion des § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) außer Kraft zu setzen. Der Kläger habe substantiierte Tatsachen, die für einen späteren Zugang sprechen, nicht vorgetragen. Zudem habe er die ihm obliegende Beweisvorsorge, zum Beispiel in Form einer umgehenden Anzeige des verzögerten Zugangs beim FA, unterlassen.
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Der Kläger macht geltend, der Fall sei von grundsätzlicher Bedeutung. Zu klären sei, ob eine Zugangsvermutung und -fiktion die Beweislast der Zustellung umkehren könne. Wie sich auch aus § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergebe, habe die Beweislast für den Zugang von Willenserklärungen immer derjenige zu tragen, der sich auf den Zugang berufe. Außerdem verweise er auf das BFH-Urteil vom 29. April 2009 X R 35/08 (BFH/NV 2009, 1777). Der Fall müsse letztlich vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden, da sich nach dem angegriffenen Urteil ein FG nicht an rechtsstaatliche Prinzipien halten müsse; in einem Rechtsstaat müsse der Absender den Nachweis der Zustellung erbringen. Wie durch Zeugen zu belegen sei, habe er im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eine eidesstattliche Versicherung angeboten.
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Nach Aufforderung der Geschäftsstelle des V. Senats hat der Kläger innerhalb der Beschwerdefrist eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--) vorgelegt.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Für den beim BFH als Prozessgericht zu stellenden Antrag auf PKH besteht kein Vertretungszwang (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. September 2011 V S 18/11 (PKH), nicht veröffentlicht --n.v.--; vom 26. Januar 2011 X S 37/10 (PKH), BFH/NV 2011, 633). Der Gewährung von PKH steht daher nicht entgegen, dass der Antragsteller den Antrag auf Gewährung von PKH selbst und nicht durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person oder Gesellschaft i.S. von § 62 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt hat.
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2. Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aber keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dazu muss in einem Rechtsmittelverfahren ein nicht rechtskundig vertretener Antragsteller zumindest erkennen lassen, in welchen Punkten und in welchem Umfang das angefochtene Urteil angegriffen werden soll (BFH-Beschlüsse vom 6. Dezember 2011 XI S 9/11 (PKH), n.v.; vom 27. September 2006 VIII S 16/06 (PKH), BFH/NV 2007, 89, und vom 16. September 2010 XI S 18/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2295).
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Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung die Gründe für und gegen einen Erfolg zumindest gleichwertig zu bewerten sind; eine abschließende Prüfung darf bei der Abwägung nicht vorgenommen werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Dezember 2008 XI S 12/08 (PKH), n.v., und vom 30. Juli 2004 XI S 20/03 (PKH), BFH/NV 2005, 216).
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Bei der summarischen Prüfung des Vortrags des Klägers, des Inhalts der vorliegenden Akten und des beanstandeten FG-Urteils sind jedoch keine Anhaltspunkte für einen Grund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO ersichtlich, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Zulassung der Revision führen könnte.
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a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erfordert substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist (BFH-Beschluss vom 25. Januar 2011 V B 144/09, BFH/NV 2011, 863).
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aa) Soweit der Kläger sinngemäß die Rechtsfrage aufwirft, "ob eine Zugangsvermutung und Fiktion die Beweislast der Zustellung umkehren kann", ist diese Rechtsfrage durch den Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO und die dazu ergangene Rechtsprechung des BFH bereits geklärt. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Hinsichtlich der Beweislast für die Bekanntgabe regelt § 122 Abs. 2 AO im zweiten Halbsatz, dass die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs "im Zweifel" zu beweisen hat. Um die Beweislast der Behörde zu begründen, muss der Steuerpflichtige nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung durch substantiierte Erklärungen darlegen, dass er nicht rechtzeitig in den Besitz des Bescheides gekommen ist (vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115; vom 31. März 2008 III B 151/07, BFH/NV 2008, 1335; vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; BFH-Urteile vom 6. September 1989 II R 233/85, BFHE 158, 297, BStBl II 1990, 108; vom 16. September 1986 IX R 61/81, BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435).
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Ob sich aus § 130 BGB eine davon abweichende Verteilung der Beweislast ergibt, kann der Senat offen lassen, da § 122 Abs. 2 AO eine Sonderregelung der Bekanntgabe für öffentlich-rechtliche Willenserklärungen darstellt (vgl. Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 122 Rz 48; Pahlke in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 122 Rz 50) und § 130 BGB insoweit nicht anwendbar ist.
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bb) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird auch nicht durch die Behauptung des Klägers dargelegt, das Urteil des FG beruhe auf einem Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien, weil --entgegen § 122 Abs. 2 AO-- in einem Rechtsstaat der Absender den Nachweis der Zustellung erbringen müsse. Denn der BFH hat bereits im Urteil vom 8. Dezember 1976 I R 240/74 (BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321) die Verfassungsmäßigkeit der inhaltsgleichen Vorgängernorm (§ 17 des Verwaltungszustellungsgesetzes) ausdrücklich bejaht. Auch im Schrifttum wird die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm bejaht (vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 Rz 49; Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 122 AO Rz 322; Güroff in Beermann/ Gosch, AO § 122 Rz 32.1).
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b) Soweit dem Hinweis des Klägers auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1777 die Rüge der Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO zu entnehmen sein sollte, liegt eine für die Zulassung wegen Divergenz erforderliche Abweichung nicht vor, da dem vorgeblichen Divergenzurteil und dem Urteil des FG unterschiedliche Sachverhalte zugrunde liegen. Das BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1777 betrifft die Frage der Beweislast in einem Fall, in dem der Steuerpflichtige bestreitet, einen durch die Post übermittelten Steuerbescheid überhaupt erhalten zu haben, während es im Streitfall um die Beweislast für den verspäteten Zugang eines Steuerbescheides geht.
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c) Auch die Behauptung des Klägers, er habe in der mündlichen Verhandlung zur Glaubhaftmachung des (verspäteten) Zugangs des Umsatzsteuerbescheides 2007 eine eidesstattliche Versicherung angeboten, ist nicht geeignet, eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu begründen. Abgesehen davon, dass der Kläger nicht gehindert war, dem Gericht zur Bekräftigung seines Vortrags eine derartige Versicherung an Eides statt vorzulegen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich aus einer eidesstattlichen Versicherung die Umstände des behaupteten Zugangs in einer Weise ergeben hätten, die beim FG zu substantiierten Zweifeln am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist geführt hätten. Auf der Grundlage des vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts konnte eine eidesstattliche Versicherung ohne diese Angaben die Entscheidung des FG nicht beeinflussen.
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3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO und § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit dem Kostenverzeichnis).
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