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BFH 05.05.2011 - X B 191/10
BFH 05.05.2011 - X B 191/10 - (Ausschluss eines Richters wegen dessen Mitwirkung im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren - Zweck des § 51 Abs. 2 FGO - Unverzichtbarkeit der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts)
Normen
§ 51 Abs 2 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 295 ZPO
Vorinstanz
vorgehend FG Nürnberg, 22. April 2010, Az: 6 K 1383/2008, Urteil
Leitsatz
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1. NV: "Vorausgegangenes Verwaltungsverfahren" i.S. von § 51 Abs. 2 FGO ist das gesamte Verfahren, das "final" zum Erlass der gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung geführt hat (ständige Rechtsprechung) .
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2. NV: Die zum Ausschluss eines Richters führende Mitwirkung muss keine besonderen quantitativen oder qualitativen Voraussetzungen erfüllen .
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3. NV: "Final" muss nur das Verwaltungsverfahren, nicht das konkrete Tätigwerden des betreffenden Richters gewesen sein .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil erhoben, mit dem das Finanzgericht (FG) eine Klage gegen Steuerfestsetzungen nach einer Fahndungsprüfung abgewiesen hat. Er rügt die Verletzung des § 119 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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An dem angefochtenen Urteil hat auf der Richterbank Richterin am FG A mitgewirkt. A hatte in der Zeit, in der das Vorverfahren anhängig war, für eine gewisse Zeit die Rechtsbehelfsstelle des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) geleitet.
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Innerhalb dieser Zeit fand in den Räumlichkeiten des FA eine Besprechung statt, an der der Kläger und seine Ehefrau, für das FA neben A der Sachgebietsleiter der Vollstreckungsstelle, der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle und der Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle teilnahmen. Ausweislich des in den Akten des FA befindlichen Vermerks, den der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle gefertigt hatte, waren Themen der Besprechung die Feststellungen der Steuerfahndung, namentlich die Rechtsbehelfe betreffend die Einkommensteuer 1992 bis 1999, die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung (AdV), die Gewerbesteuer 1996, 1997 und 1999 (nur den Kläger betreffend) sowie wiederum die Ablehnung der AdV. In dem Vermerk heißt es, der Kläger und seine Ehefrau hätten vorgesprochen, um die Feststellungen der Steuerfahndung zu erörtern. Insbesondere seien sie der Auffassung, dass die Steuerfahndung die Bemessungsgrundlagen für die Steuerfestsetzungen unzutreffend (zu hoch) und unzulässig (evtl. steuerfreier Veräußerungsgewinn) ermittelt habe. Einzelne Beispiele seien angeführt und erläutert worden.
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Der Kläger habe --wie mit der Steuerfahndung abgesprochen-- um eine Frist gebeten, um Belege und Nachweise zusammenzustellen, was letztlich einer AdV entspräche. Die Vertreter der FA hätten darauf hingewiesen, dass eine AdV derzeit nicht gewährt werden könne. Da jedoch Sicherheiten nicht angeboten werden könnten und Vollstreckungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien, habe sich das FA bereit erklärt, bis Ende 2004 auf weitere Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten sowie keine weiteren Maßnahmen einzuleiten. Der Kläger solle die Gelegenheit haben, die angesprochenen Unterlagen einzureichen, dies möglichst schnell, damit die Steuerfahndung ihre Stellungnahme abgeben könne. Damit seien der Kläger und seine Ehefrau zunächst einverstanden gewesen.
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A zeichnete den Vermerk mit "gesehen"; ferner zeichneten der Sachgebietsleiter der Vollstreckungsstelle sowie der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle. Etwa einen Monat später zeichnete A Verfügungen, mit denen das FA die AdV hinsichtlich 50 % der streitigen Steuern gewährte. Jahre später erließ das FA die angefochtene Einspruchsentscheidung.
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Der Kläger macht geltend, es liege ein absoluter Revisionsgrund nach § 119 Nr. 2 FGO vor, da an der angefochtenen Entscheidung ein Richter mitgewirkt habe, der von der Ausübung des Richteramts gemäß § 52 Abs. 2 FGO (wohl Schreibfehler; richtig wäre § 51 Abs. 2) ausgeschlossen gewesen sei. A habe an der Besprechung teilgenommen, diese sogar geleitet. Er rügt vorsorglich jede weitere sich aus den Akten des FA ergebende Beteiligung von A.
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Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Es bestehe keine finale Beziehung zwischen der Besprechung unter Teilnahme von A und dem Erlass der Einspruchsentscheidung. In der Besprechung sei es nicht um Rechtsfragen und die Erledigung der Einsprüche gegangen, sondern darum, weitere Vollstreckungsmaßnahmen zu verhindern, da die beantragte AdV abgelehnt worden war. Dies entspreche auch dem weiteren Verlauf der Dinge. Der Kläger und seine Ehefrau hätten dem Fahndungsprüfer daraufhin Unterlagen vorgelegt. Mit Rücksicht darauf habe das FA dann die anteilige AdV gewährt, die aufgrund interner Zuständigkeitsregelung A abgezeichnet habe.
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Dass der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle den Vermerk gefertigt habe, habe auf einer internen Absprache der Sachbearbeiter beruht. A sei nicht für den Inhalt der Besprechung verantwortlich gewesen. Beide hätten letztlich nur an einer Besprechung in einer Vollstreckungssache teilgenommen, da sie hofften, für eine etwaige Einspruchsentscheidung Näheres zum Sachverhalt zu erfahren. Es sei offen gewesen, ob überhaupt eine Einspruchsentscheidung notwendig werden würde. Die Besprechung habe mit der späteren Einspruchsentscheidung nicht im Zusammenhang gestanden, da deren Gegenstand nicht eine Vollstreckungsmaßnahme gewesen sei. Aus demselben Grunde stehe die Verfügung über die AdV nicht in Zusammenhang mit der Einspruchsentscheidung. Insgesamt sei nicht davon auszugehen, dass die lediglich organisatorische und informatorische Beteiligung von A noch einen Einfluss auf die mehrere Jahre später nach Vorlage immer wieder neuer Unterlagen getroffene Einspruchsentscheidung hatte.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Die Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache nach § 116 Abs. 6 FGO.
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A hatte bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt und war daher von der Ausübung des Amtes als Richter gemäß § 51 Abs. 2 FGO ausgeschlossen. Damit hat bei der FG-Entscheidung entgegen § 119 Nr. 2 Halbsatz 1 FGO ein Richter mitgewirkt, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war.
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a) Vorausgegangenes Verwaltungsverfahren i.S. von § 51 Abs. 2 FGO ist das gesamte Verfahren, das final zum Erlass der gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung geführt hat. Das Tätigwerden in einem anderen Verfahren, etwa zu einer anderen Steuerart oder zu einem anderen Veranlagungszeitraum, genügt nicht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Oktober 1994 I R 31/93, BFH/NV 1995, 576; BFH-Beschlüsse vom 9. Juli 1997 IV B 52/97, BFH/NV 1998, 176; vom 24. Juli 2000 VIII B 44/00, BFH/NV 2001, 176; vom 6. August 2001 IV B 133/00, BFH/NV 2002, 44, und vom 25. Februar 2009 X B 44/08, BFH/NV 2009, 771). Soweit allerdings eine Mitwirkung in demselben Verwaltungsverfahren vorlag, muss diese keine besonderen quantitativen oder qualitativen Voraussetzungen erfüllen. Selbst eine lediglich beratende Tätigkeit im Verwaltungsverfahren genügt (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 1978 VII R 7/78, BFHE 125, 33, BStBl II 1978, 401).
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b) Nach diesen Maßstäben hatte A im Verwaltungsverfahren mitgewirkt, nämlich an dem Rechtsbehelfsverfahren, das zu dem Erlass der Einspruchsentscheidung in der vorliegenden Sache geführt hat.
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In der Besprechung ging es ausweislich des diesbezüglichen Aktenvermerks um die Rechtsbehelfe in der vorliegenden Sache. Die Erklärung des FA, es sei eigentlich um Angelegenheiten der Vollstreckung gegangen, ist weder mit dem Betreff des Vermerks noch mit dessen Inhalt vereinbar. Das vordringliche Anliegen des Klägers und seiner Ehefrau mag darin gelegen haben, die Vollstreckung aus den streitgegenständlichen Bescheiden zu verhindern. Sie suchten dies jedoch nicht mit spezifischen Einwendungen gegen die Vollstreckung oder mit Mitteln des Vollstreckungsschutzes auf Grundlage der §§ 249 ff. der Abgabenordnung zu erreichen, sondern mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Bescheide. Diese ist originärer Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens.
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Dementsprechend wurde dem Anliegen des Klägers und seiner Ehefrau dann auch nur vorübergehend, nämlich bis zur Prüfung der einzureichenden Belege im Rechtsbehelfsverfahren, durch einen Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen Rechnung getragen. Die anschließend gewährte teilweise AdV beruhte auf Überlegungen zu der Rechtmäßigkeit der Bescheide und damit auf Überlegungen, die Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens sind.
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Ob A die Besprechung tatsächlich geleitet hat, ist unerheblich. Wenn bereits eine beratende Tätigkeit im Verwaltungsverfahren genügt, so genügt auch die Teilnahme zu Informationszwecken. Ebenso ist unerheblich, ob die Besprechung tatsächlich noch Einfluss auf die Jahre später ergangene Einspruchsentscheidung hatte. § 51 Abs. 2 FGO soll verhindern, dass ein Richter über einen Streitfall entscheidet, der in dem nämlichen Verwaltungsverfahren in einer Weise tätig geworden ist, die Anlass zu der Befürchtung gibt, er habe sich in der Sache festgelegt und könne seine Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen (BFH-Beschluss vom 26. Juli 1996 VI B 15/96, BFH/NV 1997, 130). Für die Frage, ob aus einer Vorbefassung mit einer Sache eine Voreingenommenheit beruhen könnte, ist gleichgültig, ob sich die Mitwirkungshandlungen des Richters im Vorverfahren, ggf. dessen Auffassungen und Äußerungen, noch in der Einspruchsentscheidung wiederfinden. Im Übrigen ist ein derartiger Zusammenhang in der Regel weder zu beweisen noch zu widerlegen. Die Voraussetzung der Finalität bezieht sich daher nur auf den Kausalzusammenhang zwischen dem betreffenden Verwaltungsverfahren und der gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung, nicht zwischen dem konkreten Tätigwerden des betreffenden Richters und der gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung. Informationsbeschaffung im Rechtsbehelfsverfahren zielt stets auf den Erlass der Einspruchsentscheidung ab. Das gilt unabhängig davon, ob die Informationsbeschaffung sich tatsächlich als nützlich für die Einspruchsentscheidung erweist.
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Ob überdies die Zeichnung der Aussetzungsverfügungen in dieser Angelegenheit eine Mitwirkung i.S. von § 51 Abs. 2 FGO begründete, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
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2. Die Rechtserheblichkeit des Verstoßes gegen § 119 Nr. 2 FGO wird unwiderleglich vermutet. Unschädlich ist, dass der Kläger die Mitwirkung von A nicht bereits im Verfahren vor dem FG gerügt hatte. Auf die Beachtung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts kann nicht verzichtet werden (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1968 I R 138/67, BFHE 95, 24, BStBl II 1969, 297; BFH-Beschluss vom 18. August 1992 VIII R 9/92, BFHE 168, 508, BStBl II 1993, 55).
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