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BFH 14.04.2011 - X B 142/10
BFH 14.04.2011 - X B 142/10 - Anforderung an die Sachverhaltsfeststellung bei einer Gesamtwürdigung
Normen
§ 96 Abs 1 S 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 11. Mai 2010, Az: 8 K 2613/05 G, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine "Sachverhaltsunterstellung", die gegen die Pflicht zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens verstoßen würde, liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn alle vom FG in seine Gesamtwürdigung einbezogenen Sachverhaltsmerkmale auf konkrete Feststellungen gestützt werden, die zuvor mit den Beteiligten erörtert worden sind .
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2. NV: Einwendungen gegen ein Schreiben des finanzgerichtlichen Prüfers, das sich das FG nicht erkennbar zu eigen gemacht hat, sind nicht zur Darlegung eines Verfahrensmangels geeignet .
Gründe
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Die Beschwerde ist --bei erheblichen Zweifeln an ihrer Zulässigkeit im Hinblick auf die Erfüllung der Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)-- jedenfalls unbegründet.
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1. Innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ausschließlich einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt eines Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gerügt. So habe das Finanzgericht (FG) den Prozessstoff nicht vollständig erfasst. Auch sei es von Sachverhaltsunterstellungen ausgegangen, die nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen seien.
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Es kann offenbleiben, ob der Kläger derartige Verfahrensmängel in schlüssiger Weise geltend gemacht hat; sie liegen jedenfalls nicht vor.
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a) Der Kläger betreibt als Einzelunternehmer zwei Tankstellen (S und H) in derselben Gemeinde selbst; eine weitere, in der Umlandgemeinde A belegene Tankstelle verpachtet er. In materiell-rechtlicher Hinsicht war zwischen den Beteiligten im Klageverfahren streitig, ob der Kläger damit einen einheitlichen Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) oder aber drei selbständige Gewerbebetriebe unterhält. Letzteres entsprach der vom Kläger vertretenen Auffassung; dies hätte die mehrfache Gewährung des Freibetrags und Staffeltarifs nach § 11 GewStG in der im Streitjahr 2002 geltenden Fassung zur Folge.
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Das FG ist in dem angefochtenen Urteil auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung zu der Auffassung gekommen, der Kläger habe einen einheitlichen Gewerbebetrieb unterhalten. In seiner klageabweisenden Entscheidung hat es die folgenden Sachverhaltsmerkmale angeführt, die aus Sicht des FG für die Einheitlichkeit sprachen:
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- Einheitliche Bezeichnung des Betriebs in den vom Kläger verwendeten Rechnungsformularen unter Verwendung des Plurals "Tankstellen", Angabe aller drei Tankstellen in S, H und A sowie der für die Tankstellen S und H geführten Bankkonten;
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- mit dieser einheitlichen Außendarstellung stehe in Zusammenhang, dass Geschäftspartner des Klägers ihre Rechnungen "in Einzelfällen" nicht an diejenige Tankstelle adressiert hätten, der die jeweilige Eingangsleistung zuzuordnen sei; hierfür könne der Kläger nicht seine Geschäftspartner verantwortlich machen;
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- es habe nicht geklärt werden können, in welchem Umfang der Schriftverkehr für sämtliche Tankstellen einheitlich von S aus geführt worden sei, weil der Kläger trotz Aufforderung seine Geschäftsbriefe nicht vorgelegt habe;
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- die Buchführung sei für alle drei Tankstellen von S aus unter Einsatz der dortigen Betriebsmittel geführt worden;
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- die drei Betriebsteile seien gleichartig und befänden sind räumlich zueinander im näheren Einzugsgebiet;
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- zwar seien die Buchführungen und Jahresabschlüsse grundsätzlich getrennt erstellt worden; die Aufteilung der Umsatz- und Lohnsteuern sowie die hinsichtlich eines Teils der Forderungen erforderlichen Korrekturen seien aber nicht zeitnah durchgeführt worden;
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- die verpachtete Tankstelle in A sei nach dem Inhalt des Pachtvertrags lediglich als unselbständige Verkaufsstelle der Betriebsstätte S anzusehen;
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- nicht nur gelegentlich, sondern immer wieder seien bei der Anlieferung von Kraftstoff zu einer der Tankstellen des Klägers Restmengen bei einer anderen Tankstelle des Klägers abgeladen worden;
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- das Betriebsgrundstück der Tankstelle A sei in der für die Tankstelle S aufgestellten Bilanz aktiviert worden; die für A angefallenen Schuldzinsen seien durch entsprechende Entnahme- und Einlagebuchungen im wirtschaftlichen Ergebnis der Betriebsstätte S belastet worden;
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- auch wenn grundsätzlich die Arbeitnehmer einer einzigen Tankstelle fest zugeordnet gewesen seien, sei in zwei Fällen aus der Kasse der Tankstelle H Barlohn an Arbeitnehmer der Tankstelle S ausgezahlt worden.
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b) Der Kläger hat nicht dargelegt, inwiefern diese Sachverhaltsmerkmale auf "Sachverhaltsunterstellungen" des FG im Sinne des vom Kläger angeführten Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Dezember 1995 I R 111/94 (BFH/NV 1996, 554, unter II.2.) beruhen sollen. Vielmehr hat das FG alle genannten Sachverhaltsmerkmale auf konkrete Feststellungen gestützt, die dem Kläger zudem bereits im Laufe des Klageverfahrens durch einen Erörterungstermin, umfangreiche Hinweisschreiben sowie in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden waren, und die das FG aufgrund der entsprechenden Einwendungen des Klägers im Rahmen der Urteilsfindung modifiziert und präzisiert hat.
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c) Auch ergibt sich aus der Beschwerdebegründung des Klägers nicht, dass das FG den Prozessstoff nicht vollständig erfasst haben könnte.
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Die insgesamt 33-seitige Beschwerdebegründung besteht --nach einleitenden Ausführungen zu den Anforderungen des § 96 FGO (Bl. 1 bis 6 mitte der Beschwerdebegründung)-- im Wesentlichen aus wörtlichen Wiederholungen des während des Klageverfahrens vom Kläger eingereichten Schriftsatzes vom 30. April 2009 (Bl. 6 mitte bis Bl. 32 unten der Beschwerdebegründung entsprechen weitgehend Bl. 3 oben bis Bl. 31 mitte des Schriftsatzes vom 30. April 2009). Wesentlich neue Textpassagen finden sich in der Beschwerdebegründung lediglich auf Bl. 17 (betreffend die Würdigung eines Zeugenbeweises) sowie auf Bl. 27 (Hinweis auf vom FG unzutreffend mitgeteilte Bankkontonummern); diese sind indes für die Darlegung des vom Kläger lediglich geltend gemachten Verfahrensfehlers ohne Belang.
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Mit dem genannten Schreiben vom 30. April 2009 hat der Kläger zu Hinweisen des finanzgerichtlichen Prüfers Stellung genommen, die ihm im Erörterungstermin am 31. März 2009 sowie im Schreiben des finanzgerichtlichen Prüfers vom 6. April 2009 übermittelt worden waren. Der Kläger meint nun sinngemäß, das FG habe sein Schreiben vom 30. April 2009 in verfahrensfehlerhafter Weise nicht als Prozessstoff erfasst.
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Indes ergibt sich sowohl aus den Akten als auch aus dem angefochtenen Urteil, dass gerade das Gegenteil der Fall ist: Soweit es dem Kläger im Schreiben vom 30. April 2009 gelungen ist, die vom finanzgerichtlichen Prüfer aufgezeigten Einzelsachverhalte und vorläufig gezogenen Schlussfolgerungen zu widerlegen oder zumindest in Zweifel zu ziehen, ist das FG diesem Vorbringen des Klägers gefolgt. An keiner Stelle des Urteils hat das FG sich diese vom Kläger widerlegten oder in Zweifel gezogenen Sachverhaltsdarstellungen oder vorläufigen Schlussfolgerungen des Prüfers zu eigen gemacht. Die Beschwerdebegründung, die in diesem Zusammenhang durchgängig auf die Schreiben des finanzgerichtlichen Prüfers, nicht aber auf das angefochtene Urteil Bezug nimmt, geht insoweit ins Leere, so dass mit diesen Ausführungen ein Verfahrensmangel schon im Ansatz nicht dargelegt werden kann.
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Soweit dem Kläger hinsichtlich eines Teils der Rechnungen seiner Geschäftspartner die Widerlegung der Hinweise des finanzgerichtlichen Prüfers nicht gelungen ist, hat das FG diese "Vermischung" der einzelnen Betriebsstätten in zulässiger Weise in seine Gesamtwürdigung einbezogen, dabei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um "konkrete Einzelfälle" handele. Damit hat das FG deutlich zu erkennen gegeben, dass der gesamte --von ihm in Betracht gezogene-- Prozessstoff umfassender ist als diese Einzelfälle. Dass das FG den --unbelegten-- Behauptungen des Klägers zu den Ursachen der von seinen Geschäftspartnern vorgenommenen Rechnungsadressierung nicht gefolgt ist, weil dieser trotz mehrfacher Aufforderungen seine eigenen Geschäftsbriefe nicht vorgelegt hatte, ist mindestens naheliegend. Im Übrigen gehört auch die Verletzung von Mitwirkungspflichten zum "Prozessstoff", den das FG würdigen kann und muss.
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Ferner bemängelt der Kläger --wie bereits im Klageverfahren--, dass der finanzgerichtliche Prüfer lediglich weniger als 1 % der Geschäftsvorfälle und ca. 3 % der Kraftstofflieferungen beanstandet habe. Damit sei der überwiegende Teil des Prozessstoffs nicht einbezogen worden. Indes wird aus dem angefochtenen Urteil hinreichend deutlich erkennbar, dass das FG --über die von ihm aufgezeigten Umstände hinaus-- durchaus von einer Trennung zwischen den einzelnen Tankstellen ausgegangen ist bzw. das entsprechende Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt hat. Es hat jedoch im Rahmen seiner Gesamtwürdigung den festgestellten Verbindungen zwischen den drei Tankstellen ein so großes Gewicht zugemessen, das die Annahme dreier getrennter Betriebe ausschließe. Damit greift der Kläger im Kern lediglich die Gesamtwürdigung des FG an, was im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht zum Erfolg führen kann. Eine ungenügende Erfassung des Prozessstoffs wird mit den Ausführungen des Klägers hingegen nicht dargelegt.
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Im Übrigen sind die Feststellungen des FG zu Einzelsachverhalten angesichts des erheblichen Umfangs der Buchführungsunterlagen (24 Ordner, 3 Boxen, 3 Hefter), der eine Vollerhebung ausschließt, lediglich als Stichproben anzusehen. Hinzu kommt auch hier, dass der Kläger seine Geschäftsbriefe trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt hat und damit dem FG einen erheblichen Teil dessen, was zum Prozessstoff gehören würde, bewusst nicht zugänglich gemacht hat. Weil der Inhalt dieser Geschäftsbriefe unbekannt geblieben ist, gibt es keinen Beleg für die Behauptung des Klägers, 99 % der Geschäftsvorfälle seien nicht zu beanstanden.
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2. Soweit der Kläger erstmals in einem am 20. März 2011 eingegangenen Schriftsatz als weiteren Verfahrensmangel auch einen Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht rügt, war zu diesem Zeitpunkt die höchstens dreimonatige Beschwerdebegründungsfrist des § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO bereits abgelaufen. Nach Ablauf der Begründungsfrist können neue Zulassungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2010 X B 212/09, BFH/NV 2011, 564, unter 2., m.w.N.).
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Darüber hinaus erschöpft sich auch der Schriftsatz vom 20. März 2011 im Wesentlichen in einer wörtlichen Wiederholung des bereits während des Klageverfahrens eingereichten Schreibens vom 30. April 2009.
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