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BFH 31.03.2010 - VII B 233/09
BFH 31.03.2010 - VII B 233/09 - Anforderungen an die Darlegung des Klagebegehrens bei Anfechtungsklagen - Glaubhaftmachung von die Verlegung der mündlichen Verhandlung rechtfertigenden Gründen - Plötzliche Erkrankung
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 65 Abs 1 S 1 FGO, § 65 Abs 2 S 2 FGO, § 227 Abs 1 ZPO, § 96 Abs 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 26. August 2009, Az: 7 K 3040/08 AO, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Bei einer Anfechtungsklage genügt es zur Bestimmung des Gegenstands des Klagebegehrens i.S.d. § 65 Abs. 1 FGO nicht, dass der Kläger lediglich den angefochtenen Verwaltungsakt bezeichnet und den Antrag stellt, diesen aufzuheben sowie die Zwangsvollstreckung einzustellen, ohne darzulegen, inwiefern der Verwaltungsakt nach seiner Meinung rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt .
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2. NV: Zur Glaubhaftmachung von Gründen, die die Verlegung der mündlichen Verhandlung rechtfertigen, reicht es nicht aus, dass der Kläger am Tag der mündlichen Verhandlung lediglich telefonisch mitteilt, er könne den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen und dabei keine näheren Angaben über die Art und Schwere der plötzlichen Erkrankung macht .
Tatbestand
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I. Am 11. August 2008 hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Klage vor dem Finanzgericht (FG) erhoben und u.a. beantragt, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) vom 18. April 2008 aufzuheben und die Zwangsvollstreckung einzustellen. Zugleich hat er ausgeführt, dass die Klagebegründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleibt. Nachdem das FG den Kläger wiederholt erfolglos aufgefordert hatte, die Klage zu begründen, setzte es mit Verfügung vom 6. Januar 2009 eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Nach Ablauf dieser Frist wies das FG die Klage durch Gerichtsbescheid als unzulässig ab. Daraufhin beantragte der Kläger die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da er aufgrund einer am 14. Januar 2009 durchgeführten Kieferoperation erkrankt und nicht wieder genesen sei. Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2009 hat der Kläger die Klage dahingehend begründet, dass er beim FA den Erlass der den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen zugrunde liegenden Säumniszuschläge beantragt habe. Dieser Antrag habe nur in Höhe von 50 % Erfolg gehabt, ihm hätte aber vollen Umfangs stattgegeben werden müssen, weshalb die Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtswidrig sei.
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Zur mündlichen Verhandlung erschien der Kläger nicht. Stattdessen teilte er telefonisch mit, dass er den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen könne. Daraufhin wies das FG die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, dass der Kläger innerhalb der ihm gesetzten Ausschlussfrist den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet habe. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach Zugang des Gerichtsbescheids innerhalb der in § 56 Abs. 2 FGO bezeichneten Frist weder einen entsprechenden Antrag gestellt noch Gründe für eine Wiedereinsetzung glaubhaft gemacht habe. Im Übrigen habe der Kläger mit dem verspäteten Antrag die versäumte Handlung, nämlich die Darlegung des Klagebegehrens nicht nachgeholt.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das Urteil des FG stelle eine gehörsverletzende Überraschungsentscheidung dar. Ausweislich einer ärztlichen Bescheinigung vom 9. September 2009 habe er den Gerichtstermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen können. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei nur vorsorglich gestellt worden. Es wäre Sache des FG gewesen, ihn auf die rechtlichen Besonderheiten hinzuweisen. Zu keiner Zeit habe das FG ihm seine Rechtsansicht mitgeteilt. Im Übrigen genüge die Klage sehr wohl den Zulässigkeitsvoraussetzungen. In der Klageschrift seien die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen genannt und die Steuernummer und das Aktenzeichen des FA angegeben worden. Damit habe er alle Voraussetzungen für die dem FG obliegende Sachverhaltsermittlung geschaffen. Einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme habe es nicht bedurft. Zudem sei das FG mit dem Gesamtvorgang bereits durch ein anderes Verfahren betraut gewesen, denn es habe zuvor den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es weist darauf hin, dass das FG zur Begründung der Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf das unstreitige Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen sowie auf § 227 der Abgabenordnung (AO) hingewiesen habe. Der behauptete Verfahrensmangel liege nicht vor; auch habe der Kläger einen Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO weder genannt noch dargelegt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der vom Kläger behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG keine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) nur dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessvertreter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2007 IX B 24/07, BFH/NV 2008, 92, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die prozessrechtlichen Folgen hat das FG dem Kläger mit Verfügung vom 6. Januar 2009 eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzt. Der Kläger konnte aus dem Inhalt der Verfügung klar erkennen, dass die Klage bei Fristversäumung als unzulässig abgewiesen werden würde. Diesen Hinweis hat er unbeachtet gelassen. Auch ist er der Aufforderung zur Klagebegründung nicht nachgekommen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde kann bei diesem Sachverhalt keine Rede davon sein, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt gestützt hat, der für den Kläger nicht erkennbar war. Eine Verletzung des Gehörsanspruchs liegt auch nicht deshalb vor, weil das FG den Kläger vor Erlass des Urteils nicht nochmals auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen hat.
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2. Soweit der Kläger rügt, dass das Gericht trotz nachgewiesener Erkrankung verhandelt und entschieden habe, stellt auch dieses Vorgehen des FG keinen Verfahrensmangel dar. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Verletzung des Gehörsanspruchs dann anzunehmen, wenn einem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben wird, obwohl erhebliche Gründe i.S. von § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung vorliegen und diese auch glaubhaft gemacht worden sind. Zur Glaubhaftmachung reicht die bloße Behauptung einer Erkrankung nicht aus; vielmehr sind dem FG Tatsachen mitzuteilen, aus denen sich die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar ergibt. In der Regel ist hierzu die Vorlage eines substantiierten privatärztlichen Attestes erforderlich (BFH-Beschlüsse vom 21. April 2008 XI B 206/07, XI B 207/07, BFH/NV 2008, 1191, und vom 17. Mai 2000 IV B 86/99, BFH/NV 2000, 1353).
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Am Tag der mündlichen Verhandlung hat der Kläger lediglich telefonisch mitgeteilt, dass er krankheitsbedingt den Termin nicht wahrnehmen könne. Nach den Feststellungen des FG ist eine Glaubhaftmachung dieser Behauptung, z.B. durch nähere Angaben über die Art und Schwere der plötzlichen Erkrankung und über die fehlende Möglichkeit der Beibringung eines ärztlichen Attestes oder durch Vorlage eines ärztlichen Attestes, nicht erfolgt. Aus den Schreiben des Klägers vom 5. Januar und 11. März 2009, in dem er auf eine Kieferoperation am 14. Januar 2009 hinweist, musste sich dem FG eine Verhandlungsunfähigkeit des Klägers am 26. August 2009 nicht ohne weiteres erschließen. Unter diesen Umständen war das FG nicht an einer Entscheidung gehindert. Die zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 9. September 2009 ist nicht geeignet, die zu fordernde Glaubhaftmachung am Tag des Verhandlungstermins nachträglich zu ersetzen. Im Übrigen genügt sie nicht den von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Anforderungen. Aus der Bescheinigung geht lediglich hervor, dass der Kläger aus --nicht näher erläuterten-- gesundheitlichen Gründen an einer Terminwahrnehmung gehindert war. Zu Recht hat das FG daher eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO abgelehnt.
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3. Sofern sich das Vorbringen des Klägers dahingehend deuten lässt, dass er die rechtsfehlerhafte Setzung einer Ausschlussfrist durch das FG rügt, liegt ein solcher Verfahrensfehler ebenfalls nicht vor. Nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht dem Kläger für die Ergänzung des wesentlichen Inhalts der Klage (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Eine solche Frist ist dem Kläger im Streitfall zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens gesetzt worden. Handelt es sich wie vorliegend um eine Anfechtungsklage, ist der Gegenstand des Klagebegehrens nicht gleichzusetzen mit der bloßen Benennung der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen und dem Begehren auf Aufhebung (Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 65 Rz 48). Nach dem Ziel der Regelung, nämlich das Verfahren durch eine wirksame Durchsetzung der Verpflichtung zur Vervollständigung des Klageinhalts zu beschleunigen (BTDrucks 12/1061, S. 15), sind Angaben erforderlich, die es dem Gericht ermöglichen, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen und eine effektive und auf das erforderliche Maß beschränkte Sachaufklärung zu betreiben (BFH-Beschluss vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, m.w.N.). Ermittlungen ins Blaue hinein muss es nicht anstellen. Für den Fall, dass sich der Kläger gegen die Festsetzung eines Zwangsgelds wendet, hat der Senat entschieden, dass der Kläger substantiiert darzulegen hat, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt seiner Meinung nach rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (Senatsbeschluss vom 30. April 2001 VII B 325/00, BFH/NV 2001, 1227). Wie weitgehend das Klagebegehren substantiiert werden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von dem Gesamtinhalt des angefochtenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart; in jedem Fall muss das Ziel der Klage hinreichend erkennbar sein (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, zu § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F.).
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Im Streitfall hat der Kläger in seiner Klageschrift lediglich die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen bezeichnet und den Antrag gestellt, diese aufzuheben sowie die Zwangsvollstreckung einzustellen. Allein aus diesen Angaben lässt sich der Gegenstand des Klagebegehrens jedoch nicht zuverlässig bestimmen. Insbesondere wird nicht deutlich, worin die vom Kläger geltend gemachte Verletzung eigener Rechte durch den Erlass der Vollstreckungsmaßnahme bestehen soll. Eine Substantiierung des Klagebegehrens war auch nicht durch das Vorbringen im Verfahren über den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entbehrlich. Erst nach Ablauf der Ausschlussfrist hat sich der Kläger in seinem Schreiben vom 10. Juni 2009 auf dieses Verfahren berufen und beantragt, die Akten beizuziehen. Im Übrigen hat das FG den Antrag abgelehnt und damit zu erkennen gegeben, dass es die Vollstreckungsvoraussetzungen nach §§ 249 ff. AO für erfüllt ansah. Dies hätte dem Kläger Anlass geben müssen, sein Begehren nach Aufhebung der seiner Ansicht nach rechtswidrigen Verwaltungsentscheidungen in der Klageschrift näher zu substantiieren. Mit der bloßen Angabe der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen hätte er sich nicht begnügen dürfen. Auch in seinem verspäteten Vorbringen hat der Kläger nicht substantiiert darzulegen vermocht, warum der teilweise Erlass von Säumniszuschlägen zur Rechtswidrigkeit der den Zuschlägen zugrunde liegenden Vollstreckungsmaßnahme führen und worin die Verletzung eigener Rechte liegen soll. Das FG ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger die an den Inhalt einer zulässigen Klage zu stellenden Mindestvoraussetzungen nicht erfüllt hat. Folglich durfte das FG dem Kläger eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO setzen und die Klage nach erfolglosem Ablauf dieser Frist als unzulässig abweisen.
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