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EuGH 19.01.2023 - C-495/21, C-496/21
EuGH 19.01.2023 - C-495/21, C-496/21 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer) - 19. Januar 2023 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Medizinprodukte – Richtlinie 93/42/EWG – Art. 1 Abs. 2 Buchst. a – Definition – Art. 1 Abs. 5 Buchst. c – Anwendungsbereich – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 1 Nr. 2 – Definition des Begriffs ‚Arzneimittel‘ – Art. 2 Abs. 2 – Anwendbarer Rechtsrahmen – Einstufung als ‚Medizinprodukt‘ oder als ‚Arzneimittel‘“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-495/21 und C-496/21
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 20. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. August 2021, in den Verfahren
L. GmbH (C-495/21)
H. Ltd (C-496/21)
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der L. GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin E. Rudl-Truxa,
der H. Ltd, vertreten durch Rechtsanwalt P. von Czettritz,
der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Rechtsanwalt P. Kothe und Rechtsanwältin K. Moritz Feilke,
der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou und V. Karra als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von E. Feola, Avvocato dello Stato,
der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker, L. Haasbeek, E. Sanfrutos Cano und A. Sipos als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1) in der durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. 2007, L 247, S. 21) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/42) sowie von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).
Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der L. GmbH bzw. der H. Ltd., Gesellschaften deutschen Rechts, auf der einen und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Deutschland) (im Folgenden: BfArM), auf der anderen Seite über die Bestimmung des Anwendungsbereichs der unionsrechtlichen Vorschriften über Medizinprodukte und Humanarzneimittel.
Rechtlicher Rahmen
Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 bestimmt:
„(2) Es gelten folgende Begriffsbestimmungen:
‚Medizinprodukt‘: alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:
Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;
Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;
Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;
Empfängnisregelung,
und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.“
Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie gilt nicht für
…
Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG; die Entscheidung darüber, ob ein Produkt unter die vorgenannte oder die vorliegende Richtlinie fällt, erfolgt insbesondere unter Berücksichtigung der hauptsächlichen Wirkungsweise des Produkts“.
Art. 3 („Grundlegende Anforderungen“) der Richtlinie 93/42 lautet:
„Die Produkte müssen die grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I erfüllen, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind.
Besteht ein einschlägiges Risiko, so müssen Produkte, die auch Maschinen im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen [und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (ABl. 2006, L 157, S. 24)] sind, den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen gemäß Anhang I der genannten Richtlinie entsprechen, sofern diese grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen spezifischer sind als die grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang 1 der vorliegenden Richtlinie.“
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten behindern in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die die CE-Kennzeichnung nach Artikel 17 tragen, aus der hervorgeht, dass sie einer Konformitätsbewertung nach Artikel 11 unterzogen worden sind.“
Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 lautet:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
Arzneimittel:
[a]lle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder
alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.“
Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie sieht vor:
„In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ‚Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.“
Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/27 lautet:
„Insbesondere aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts sollten die Begriffsbestimmungen und der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83… geklärt werden, damit hohe Standards bei der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimitteln erreicht werden. Damit zum einen das Entstehen neuer Therapien und zum anderen die steigende Zahl von so genannten ‚Grenzprodukten‘ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen Bereichen Berücksichtigung finden, sollte die Begriffsbestimmung des Arzneimittels geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt. Diese Definition sollte die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, spezifizieren. Diese Aufzählung der Wirkungen ermöglicht auch, Arzneimittel wie Gentherapie, Radiopharmaka sowie bestimmte Arzneimittel zur lokalen Verwendung abzudecken. Angesichts der Merkmale pharmazeutischer Rechtsvorschriften sollte auch sichergestellt werden, dass diese Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen. Mit dem gleichen Ziel, die Umstände zu klären, unter denen ein bestimmtes Produkt unter die Definition eines Arzneimittels fällt, gleichzeitig aber auch mit der Definition anderer regulierter Produkte übereinstimmen könnte, ist es in Zweifelsfällen und zur Sicherstellung der Rechtssicherheit erforderlich, ausdrücklich anzugeben, welche Vorschriften einzuhalten sind. Fällt ein Produkt eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Produkten der Medizintechnik, Bioziden oder kosmetischen Mitteln, sollte diese Richtlinie nicht gelten. Außerdem ist es angezeigt, die Kohärenz der Terminologie der pharmazeutischen Rechtsvorschriften zu verbessern.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-495/21
L. stellt verschiedene pharmazeutische Substanzen her, insbesondere Nasentropfen. Seit 2011 vertreibt sie diese Tropfen als „Medizinprodukte“, nachdem die zuständigen deutschen Behörden ihre Zulassung als „Arzneimittel“ mit der Begründung abgelehnt hatten, dass ihre therapeutische Wirksamkeit nicht hinreichend belegt worden sei.
Des Weiteren bringt L. auch die im Ausgangsverfahren fraglichen Nasentropfen als „Medizinprodukt“ auf den Markt, das u. a. den gleichen Wirkstoff wie die in der vorstehenden Randnummer genannten Nasentropfen enthält. In der Gebrauchsinformation dieser Nasentropfen heißt es: „Das Präparat eignet sich bei Reizungen der Nasenschleimhaut bedingt durch eine virale Rhinitis. Es pflegt … die gereizte Nasenschleimhaut und unterstützt deren Regenerierung während des Schnupfens.“ Das Präparat wird „zur unterstützenden Behandlung bei Schnupfen“ und „zur Behandlung bei Schnupfen“ ausgewiesen.
In der technischen Dokumentation vom Januar 2011, die vorgelegt wurde, um die Einstufung des Erzeugnisses als „Medizinprodukt der Klasse I“ zu stützen, ist ausgeführt, dass das Präparat eine physikalisch-chemische Hauptwirkung auf die Nasenschleimhaut habe sowie zu einer Abdichtung der obersten Zellschicht des Nasenepithels und damit zu einer Reduktion des Nasensekrets führe. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hat das betreffende Erzeugnis eine zweite physikalisch-chemische Wirkung, die die Austrocknung der Nasenschleimhaut verhindere, indem sich das Erzeugnis wie ein elastischer Film über die Nasenschleimhaut lege und so ihre Regeneration unterstütze.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2014 stellte das BfArM fest, dass für das betreffende Produkt eine vorherige Zulassung als „Arzneimittel“ erforderlich sei. Es erfülle sowohl die Definitionen des Begriffs „Funktionsarzneimittel“, da die bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf pharmakologische Weise erreicht werde, als auch die Definition des Begriffs „Präsentationsarzneimittel“. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch wies das BfArM mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2014 zurück.
Rechtssache C-496/21
H. ist ein Pharmaunternehmen, das unter der Bezeichnung „N.“ ein Nasenspray als „Medizinprodukt“ in Deutschland sowie in mehreren anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Verkehr bringt. Dieses Nasenspray enthält 50 Milligramm (mg) eines gefriergetrockneten Pflanzenextrakts. Nach den Angaben auf der Packung des Nasensprays ist das betreffende Produkt „zur Reinigung und Drainage der mit Schleim und Sekreten gefüllten Nasenhöhlen“ bestimmt und soll eine Symptomerleichterung bei Stauungszuständen der Nase herbeiführen. In der Packungsbeilage dieses Nasensprays wird unter der Überschrift „Vorsichtsmaßnahmen“ darauf hingewiesen, in den ersten zwei Stunden nach Anwendung nicht Auto zu fahren und keine Maschinen zu bedienen. In der englischen Sprachfassung der Informationen zu diesem Produkt heißt es, dass seine Anwendung einen intensiven Sekretabfluss zur Folge habe, der bis zu zwei Stunden anhalten könne, weswegen für diesen Zeitraum von einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr und dem Bedienen von Maschinen abgeraten werde.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2013 stellte das BfArM fest, dass für dieses Produkt eine vorherige Zulassung als „Arzneimittel“ erforderlich sei. Es handele sich um ein „Funktionsarzneimittel“, da die bestimmungsgemäße Wirkung durch die Wechselwirkung der Triterpensaponine mit Membranbestandteilen und folglich durch eine pharmakologische Wirkung zustande komme. Die schleimhautreizende Wirkung der Saponine löse eine reflektorische Hyperreflektion aus. Des Weiteren habe H. nicht den Nachweis einer rein physikalischen Wirkung erbracht. In höheren Konzentrationen könne das Produkt N. zur Schädigung der Zellmembranen führen. Da der Hersteller dieses Produkts den medizinischen Zweck des betreffenden Präparats auslobe, nämlich die Linderung der mit einer Rhinosinusitis einhergehenden Symptome, handle es sich auch um ein „Präsentationsarzneimittel“. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch wies das BfArM mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2014 zurück.
Rechtssachen C-495/21 und C-496/21
Die von L. und H. gegen die genannten Bescheide erhobenen Klagen wurden abgewiesen. Ihre daraufhin beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) einlegten Berufungen wurden ebenfalls zurückgewiesen.
Dieses Gericht stellte fest, dass sich die betreffenden Produkte ihrer Aufmachung nach als „Arzneimittel“ erwiesen. In den Beipackzetteln dieser Produkte würden diese zwar als „Medizinprodukte“ bezeichnet, jedoch auch als Produkt zur Behandlung bei Reizungen der Nasenschleimhaut beschrieben – in der Rechtssache C-495/21 zur Behandlung der viralen Rhinitis und in der Rechtssache C-496/21 zur Behandlung der Rhinosinusitis –, die die Symptome lindere, was den durchschnittlich informierten und aufmerksamen Verbraucher auf eine Wirksamkeit dieser Produkte schließen lasse, die er gemeinhin mit Arzneimitteln verbinde. In der Rechtssache C-496/21 hat dieses Gericht zudem darauf hingewiesen, dass die in Anspruch genommene „Apothekenexklusivität“ sowie der Verweis auf der englischen Fassung der Website der betreffenden Herstellerin auf eine klinisch erwiesene Wirksamkeit bei der Rhinosinusitis-Behandlung geeignet seien, den Eindruck des Verbrauchers zu verstärken, dass es sich um ein Arzneimittel handele.
Dieses Gericht wies daher das Vorbringen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren zurück, wonach zum einen der Begriff „Präsentationsarzneimittel“ auf Medizinprodukte keine Anwendung finde und zum anderen die Hauptwirkungsweise des betreffenden Produkts nur bei der Beurteilung des Begriffs „Medizinprodukt“ zu berücksichtigen sei, so dass die Anwendung des sich aus der Richtlinie 2001/83 ergebenden Rechtsrahmens auszuschließen sei. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeführt, dass nach dem Stand der Wissenschaft nicht feststellbar sei, dass der Wirkmechanismus der betreffenden Erzeugnisse nicht auf pharmakologischem Weg erzielt werde. Diese Erzeugnisse erfüllten daher nicht die Voraussetzungen für die Einstufung als „Medizinprodukt“.
Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren legten Revision beim Bundesverwaltungsgericht (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein.
Dieses hat Zweifel hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte bzw. der Richtlinie 2001/83 über Humanarzneimittel, da es keine wissenschaftliche Studie gebe, die belege, dass der Wirkmechanismus nicht auf pharmakologischem Weg erzielt werde.
Somit ergeben sich die Fragen des vorlegenden Gerichts zum einen daraus, dass es an einer wissenschaftlichen Studie fehlt, die geeignet wäre, eine pharmakologische (oder immunologische oder metabolische) Wirkung zu belegen oder auszuschließen, und zum anderen daraus, dass der Umstand, dass sich die Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ und die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“, für den das Fehlen einer pharmakologischen (oder einer immunologischen oder einer metabolischen) Wirkung feststehen muss, gegenseitig ausschließen, bei Vorliegen eines „Präsentationsarzneimittels“ folgenlos scheint.
Infolgedessen ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass mehrere Gesichtspunkte klärungsbedürftig seien, nämlich erstens der Begriff „pharmakologisches Mittel“ gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42, zweitens, wie die Zuordnung eines Erzeugnisses zu erfolgen hat, bei dem nicht geklärt werden könne, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung durch pharmakologische Mittel erreicht werde, drittens, unter welchen Voraussetzungen ein als„Medizinprodukt“ in Verkehr gebrachtes Erzeugnis als „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 eingestuft werden könne, und viertens, ob die Regel des Anwendungsvorrangs der Richtlinie 2001/83 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 für Erzeugnisse, die sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen könnten, das durch andere unionsrechtliche Rechtsvorschriften geregelt sei, auch auf „Präsentationsarzneimittel“ Anwendung finde.
Insbesondere zu der Frage, ob die Regel des Anwendungsvorrangs der Richtlinie 2001/83 auch auf „Präsentationsarzneimittel“ Anwendung findet, führt das vorlegende Gericht aus, dass nur „Funktionsarzneimittel“ Eigenschaften aufwiesen, die es ermöglichten, sie als „Arzneimittel“ einzustufen. Demnach könnten auf „Präsentationsarzneimittel“, für die solche Eigenschaften nur behauptet würden, Vorschriften angewendet werden, die den konkreten Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses eher entsprächen, auch wenn sie einer anderen rechtlichen Regelung zugehörten. Folgte man diesem Ansatz, könnte die Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte auf ein Erzeugnis angewendet werden, das sowohl der Definition des Begriffs „Präsentationsarzneimittel“ als auch der des Begriffs „Medizinprodukt“ entspreche.
Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C-495/21 und C-496/21 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Kann die bestimmungsgemäße Hauptwirkung eines Stoffs auch dann im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 pharmakologisch sein, wenn sie nicht auf einer rezeptorvermittelten Wirkweise beruht und die Substanz vom menschlichen Körper auch nicht absorbiert wird, sondern an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt und dort reagiert? Nach welchen Kriterien sind in einem solchen Fall pharmakologische und nicht pharmakologische, insbesondere physikalisch-chemische Mittel zu unterscheiden?
Kann ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 angesehen werden, wenn die Wirkweise des Erzeugnisses nach dem Stand der Wissenschaft offen ist und deshalb nicht abschließend geklärt werden kann, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf pharmakologischem oder physikalisch-chemischem Wege erzielt wird?
Ist in einem solchen Fall die Einordnung des Erzeugnisses als Arzneimittel oder Medizinprodukt auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung auch seiner sonstigen Eigenschaften und aller weiteren Umstände vorzunehmen oder ist das Erzeugnis, wenn es zur Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten bestimmt ist, als Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 anzusehen unabhängig davon, ob eine spezifisch arzneiliche Wirkung in Anspruch genommen wird oder nicht?
Gilt auch in einem solchen Fall nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 der Vorrang des Arzneimittelregimes?
Zu den Vorlagefragen
Zur vierten Frage
Mit seiner vierten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er nicht nur auf „Funktionsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie, sondern auch auf „Präsentationsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie anwendbar ist.
Zunächst ist festzustellen, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 im Wesentlichen bestimmt, dass diese Richtlinie für Humanarzneimittel gilt, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die industriell zubereitet werden.
Der Geltungsbereich der Richtlinie 2001/83 beschränkt sich somit auf Erzeugnisse, die industriell hergestellte Arzneimittel sind, mit Ausnahme der Erzeugnisse, die keiner der beiden Definitionen von „Arzneimittel“ entsprechen, die in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie, nämlich „Präsentationsarzneimittel“, bzw. in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie, nämlich „Funktionsarzneimittel“, angeführt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Octapharma France, C-512/12, EU:C:2014:149, Rn. 30).
Erstens lässt es jedoch der Text von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83, der ausdrücklich auf „Arzneimittel“ Bezug nimmt, nicht zu, zwischen den beiden in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a bzw. b der Richtlinie festgelegten Definitionen des Begriffs „Arzneimittel“ zu unterscheiden, ohne dass gegen den Wortlaut selbst verstoßen würde.
Zweitens ist ein Ausschluss der „Präsentationsarzneimittel“ vom Anwendungsvorrang der für Arzneimittel geltenden rechtlichen Regelung nicht mit dem vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Willen vereinbar, mittels der in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Verpflichtung die Gebote der Rechtssicherheit für die Wirtschaftsbeteiligten mit den Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimitteln in Einklang zu bringen.
Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/27, durch die diese Bestimmung in die Richtlinie 2001/83 eingeführt wurde, sieht nämlich vor, dass „die Begriffsbestimmungen und der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83… geklärt werden [sollten], damit hohe Standards bei der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimitteln erreicht werden“, und dass, „[d]amit zum einen das Entstehen neuer Therapien und zum anderen die steigende Zahl von so genannten ‚Grenzprodukten‘ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen Bereichen Berücksichtigung finden, … die Begriffsbestimmung des Arzneimittels geändert werden [sollte], um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt“.
Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in diesem siebten Erwägungsgrund auch klargestellt wird, dass, wenn „ein Produkt eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Produkten der Medizintechnik, Bioziden oder kosmetischen Mitteln [fällt], [die] Richtlinie [2004/27] nicht gelten [sollte]“.
Eine solche Ausnahme hängt jedoch nach dem Wortlaut dieses siebten Erwägungsgrundes davon ab, dass die in einer anderen Definition bestimmten Voraussetzungen eindeutig erfüllt sind, wie die Europäische Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, nach deren Auffassung der Gesetzgeber keineswegs die Regel des Anwendungsvorrangs der Richtlinie 2001/83 in Frage stellen wollte.
Im vorliegenden Fall scheinen aber die Voraussetzungen des Begriffs „Medizinprodukt“ nicht eindeutig erfüllt zu sein, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.
Somit unterliegt ein Erzeugnis, das der Definition des Begriffs „Arzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a oder b der Richtlinie 2001/83 entspricht, den rechtlichen Regelungen dieser Richtlinie und kann folglich nicht als „Medizinprodukt“ im Sinne der Richtlinie 93/42 eingestuft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Laboratoires Lyocentre, C-109/12, EU:C:2013:626, Rn. 41).
Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er nicht nur auf „Funktionsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie, sondern auch auf „Präsentationsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie anwendbar ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 und Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen sind, dass, wenn die Hauptwirkungsweise eines Erzeugnisses nicht wissenschaftlich festgestellt ist, dieses Erzeugnis unter die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ im Sinne der Richtlinie 93/42 oder unter die Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ bzw. „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 fallen kann.
Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 ergibt, dass ein Stoff nur dann als „Medizinprodukt“ eingestuft werden kann, wenn die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Laboratoires Lyocentre, C-109/12, EU:C:2013:626, Rn. 44).
Hierzu ist festzustellen, dass der Hersteller, der ein Produkt als „Medizinprodukt“ vertreiben möchte, gemäß den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie die Erfüllung dieser Voraussetzung nachweisen muss.
Dieser Ansatz wird im Übrigen durch die allgemeine Systematik der Richtlinie 93/42 gestützt, die nicht das gleiche Verbraucherschutzniveau wie die Richtlinie 2001/83 vorsieht. Diese Abweichung ist durch die negative Voraussetzung für Medizinprodukte gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 gerechtfertigt, wonach die bestimmungsgemäße Hauptwirkung weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird. Die Vermutung der geringeren Gefährlichkeit dieser Erzeugnisse rechtfertigt das Inverkehrbringen von Waren auf deklaratorischer Grundlage, im Gegensatz zu der rechtlichen Regelung, die für Funktions- oder Präsentationsarzneimittel gilt, für deren Inverkehrbringen nach Art. 6 der Richtlinie 2001/83 die vorherige Erteilung einer Genehmigung erforderlich ist.
Als Zweites sind gemäß Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie 93/42 die zuständigen Behörden konkret verpflichtet, „insbesondere“ die hauptsächliche Wirkungsweise des betreffenden Produkts zu berücksichtigen. Diese Formulierung kann jedoch nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es den nationalen Behörden erlaubt, andere Kriterien zu berücksichtigen, da sich aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie ergibt, dass die Wirkungsweise eines jeden „Medizinprodukts“ notwendigerweise eine andere sein muss als eine solche, die durch pharmakologische oder immunologische Mittel oder metabolisch erreicht wird.
Somit kann bei Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse, die den Nachweis ermöglichen würden, dass die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, ein Erzeugnis nicht als „Medizinprodukt“ gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 eingestuft werden.
Was als Drittes die Einstufung als „Funktionsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Gegensatz zum Begriff „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a dieser Richtlinie, dessen weite Auslegung die Verbraucher vor Erzeugnissen schützen soll, die nicht die Wirksamkeit besitzen, die sie erwarten dürfen, der Begriff „Funktionsarzneimittel“ diejenigen Erzeugnisse erfassen soll, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Chemische Fabrik Kreussler, C-308/11, EU:C:2012:548, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Des Weiteren ist, was die Einstufung eines Produkts als „Funktionsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 anbelangt, darauf hinzuweisen, dass die zuständige nationale Behörde, die unter der Kontrolle der Gerichte tätig wird, von Fall zu Fall zu entscheiden hat und dabei alle Merkmale des betreffenden Erzeugnisses zu berücksichtigen hat, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen –, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (Urteil vom 15. Januar 2009, Hecht-Pharma, C-140/07, EU:C:2009:5, Rn. 39).
Jedoch kann bei Fehlen verfügbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse ein Erzeugnis nicht der Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ genügen, die nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung voraussetzt.
Was als Viertes die Einstufung als „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass Erzeugnisse im Sinne der Richtlinie 2001/83 als „Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung … bestimmt sind“, wenn sie, gegebenenfalls auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich, ausdrücklich als solche „bezeichnet“ oder „empfohlen“ werden.
Ein Erzeugnis ist ferner stets dann als „Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung … bestimmt“, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (Urteil vom 15. November 2007, Kommission/Deutschland, C-319/05, EU:C:2007:678, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist der Einstellung eines durchschnittlich informierten Verbrauchers Rechnung zu tragen, bei dem die einem Erzeugnis gegebene Form ein besonderes Vertrauen hervorrufen kann, wie dasjenige, das Arzneimittel aufgrund der Garantien, die mit ihrer Herstellung und ihrer Vermarktung verbunden sind, normalerweise hervorrufen. Zwar kann die dem fraglichen Erzeugnis gegebene äußere Form für seine Einstufung als Arzneimittel nach der Bezeichnung ein wichtiges Indiz sein, doch ist diese Form so zu verstehen, dass sie sich nicht nur auf das Erzeugnis selbst, sondern auch auf seine Aufmachung bezieht, mit der möglicherweise aus geschäftspolitischen Gründen eine Ähnlichkeit des Erzeugnisses mit einem Arzneimittel angestrebt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2007, Kommission/Deutschland, C-319/05, EU:C:2007:678, Rn. 44, 46 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Somit sind die vom vorlegenden Gericht angeführten Gesichtspunkte wie etwa die Präsentation des betreffenden Erzeugnisses als Mittel zur Heilung oder Linderung einer Krankheit, die Bezugnahmen auf Wechselwirkungen mit Arzneimitteln und auf unerwünschte Wirkungen sowie die Apothekenexklusivität Gesichtspunkte, die in ihrer Gesamtheit betrachtet geeignet sind, bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher den Eindruck entstehen zu lassen, dass es sich um Erzeugnisse mit den Eigenschaften eines Arzneimittels handelt, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.
Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 und Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen sind, dass, wenn die Hauptwirkungsweise eines Erzeugnisses nicht wissenschaftlich festgestellt ist, dieses Erzeugnis weder unter die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ im Sinne der Richtlinie 93/42 noch unter die Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 fallen kann. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Definition des Begriffs „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 erfüllt sind.
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 dahin auszulegen ist, dass eine bestimmungsgemäße Hauptwirkung eines Stoffs „pharmakologisch“ sein kann und somit nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie erfasst wird, wenn sie nicht auf einer rezeptorvermittelten Wirkweise beruht und die betreffende Substanz vom menschlichen Körper auch nicht absorbiert wird, sondern an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt.
In Anbetracht der Antworten auf die Vorlagefragen 2 bis 4 braucht die erste Vorlagefrage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
er nicht nur auf „Funktionsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung, sondern auch auf „Präsentationsarzneimittel“ gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie anwendbar ist.
Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 geänderten Fassung und Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung
sind wie folgt auszulegen:
Ist die Hauptwirkungsweise eines Erzeugnisses nicht wissenschaftlich festgestellt, kann dieses Erzeugnis weder unter die Definition des Begriffs „Medizinprodukt“ im Sinne der Richtlinie 93/42 in der durch die Richtlinie 2007/47 geänderten Fassung noch unter die Definition des Begriffs „Funktionsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung fallen. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Definition des Begriffs „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2007/47 geänderten Fassung erfüllt sind.
Arastey Sahún
Wahl
Passer
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Januar 2023.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Die Kammerpräsidentin
M. L. Arastey Sahún
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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