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EuGH 28.10.2020 - C-321/19
EuGH 28.10.2020 - C-321/19 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 28. Oktober 2020 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 1999/62/EG – Richtlinie 2006/38/EG – Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge – Art. 7 Abs. 9 – Art. 7a Abs. 1 und 2 – Mautgebühren – Grundsatz der Anlastung von Infrastrukturkosten – Infrastrukturkosten – Betriebskosten – Kosten der Verkehrspolizei – Überschreitung der Kosten – Unmittelbare Wirkung – Nachträgliche Rechtfertigung eines überhöhten Mautgebührensatzes – Beschränkung der zeitlichen Wirkung des Urteils“
Leitsatz
In der Rechtssache C-321/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Entscheidung vom 28. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. April 2019, in dem Verfahren
BY,
CZ
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von CZ und BY, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Pfnür und A. Winczura,
der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Rechtsanwälte J. Hilf, F. Montag und M. Schleifenbaum,
der deutschen Regierung, vertreten durch D. Klebs und J. Möller als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Juni 2020
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (ABl. 1999, L 187, S. 42) in der durch die Richtlinie 2006/38/EG des Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 (ABl. 2006, L 157, S. 8) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BY und CZ einerseits und der Bundesrepublik Deutschland andererseits wegen des Antrags von BY und CZ auf Rückerstattung von Mautgebühren, die für die Benutzung der deutschen Bundesautobahnen entrichtet wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
‚transeuropäisches Straßennetz‘ das in Anhang I Abschnitt 2 der Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes [(ABl. 1996, L 228, S. 1) – zuletzt geändert durch die Verordnung Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. 2006, L 363, S. 1)] festgelegte und auf Karten dargestellte Straßennetz. Die Karten beziehen sich auf die entsprechenden Abschnitte im verfügenden Teil und/oder in Anhang II der genannten Entscheidung;
‚Baukosten‘ die mit dem Bau verbundenen Kosten, gegebenenfalls einschließlich der Finanzierungskosten, von
neuen Infrastrukturen oder neuen Infrastrukturverbesserungen (einschließlich umfangreicher struktureller baulicher Instandsetzung) oder
Infrastrukturen oder Infrastrukturverbesserungen (einschließlich umfangreicher baulicher Instandsetzung), die nicht mehr als 30 Jahre vor dem 10. Juni 2008 fertig gestellt wurden, soweit Mautsysteme am 10. Juni 2008 bereits eingeführt sind, bzw. deren Bau nicht mehr als 30 Jahre vor der Einrichtung neuer Mautsysteme, die nach dem 10. Juni 2008 eingeführt werden, abgeschlossen wurde; die Kosten für Infrastrukturen oder Infrastrukturverbesserungen, die davor fertig gestellt wurden, können ebenfalls als Baukosten gelten, wenn
ein Mitgliedstaat mittels eines Vertrags mit einem Mautsystembetreiber oder mittels eines anderen Rechtsakts mit entsprechender Wirkung, die vor dem 10. Juni 2008 in Kraft treten, ein Mautsystem eingerichtet hat, das die Anlastung dieser Kosten vorsieht, oder
ein Mitgliedstaat nachweisen kann, dass es für den Bau der betreffenden Infrastruktur ausschlaggebend war, dass ihre erwartete Lebensdauer über 30 Jahre beträgt.
Auf jeden Fall darf der Anteil der zu berücksichtigenden Baukosten den am 10. Juni 2008 oder, wenn die Einführung neuer Mautsysteme später erfolgt, den zum Zeitpunkt dieser Einführung noch ausstehenden Anteil der laufenden Lebensdauerperiode der Infrastrukturbestandteile nicht überschreiten.
Die Kosten für Infrastrukturen oder Infrastrukturverbesserungen dürfen spezielle Infrastrukturaufwendungen zur Verringerung der Lärmbelästigung oder zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und tatsächliche Zahlungen des Infrastrukturbetreibers für objektive umweltbezogene Aspekte, wie z. B. Schutz gegen Bodenverseuchung, einschließen;
…
‚Mautgebühr‘ eine für eine Fahrt eines Fahrzeugs auf einem der in Artikel 7 Absatz 1 genannten Verkehrswege zu leistende Zahlung, deren Höhe sich nach der zurückgelegten Wegstrecke und dem Fahrzeugtyp richtet;
‚gewogene durchschnittliche Mautgebühr‘ sämtliche Einnahmen aus Mautgebühren in einem bestimmten Zeitraum, geteilt durch die Anzahl der in diesem Zeitraum in einem bestimmten mautpflichtigen Straßennetz zurückgelegten Fahrzeugkilometer, wobei sowohl die Einnahmen als auch die Fahrzeugkilometer für die mautpflichtigen Fahrzeuge berechnet werden;
…“
Art. 7 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten dürfen Maut- und/oder Benutzungsgebühren auf dem transeuropäischen Straßennetz oder auf Teilen dieses Netzes nur unter den in den Absätzen 2 bis 12 genannten Bedingungen beibehalten oder einführen. Das Recht der Mitgliedstaaten, unter Beachtung des Vertrags Maut- und/oder Benutzungsgebühren auf nicht zum transeuropäischen Straßennetz gehörenden Straßen, unter anderem auf parallel verlaufenden Straßen, auf die der Verkehr vom transeuropäischen Straßennetz ausweichen kann und/oder die im direkten Wettbewerb mit bestimmten Teilen dieses Netzes stehen, oder auf dem transeuropäischen Straßennetz für andere, nicht von der Definition des Begriffs ‚Fahrzeug‘ erfasste Kraftfahrzeugtypen zu erheben, bleibt hiervon unberührt, vorausgesetzt, die Erhebung von Maut- und/oder Benutzungsgebühren auf solchen Straßen diskriminiert den internationalen Verkehr nicht und führt nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen.
…
(9) Die Mautgebühren beruhen auf dem Grundsatz der ausschließlichen Anlastung von Infrastrukturkosten. Die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren müssen sich ausdrücklich an den Baukosten und den Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes orientieren. Die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren können auch eine Kapitalverzinsung oder Gewinnmarge zu Marktbedingungen umfassen.
…“
Art. 7a der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung bestimmt in den Abs. 1 bis 3:
„(1) Bei der Festlegung der Höhe der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren für das betreffende Infrastrukturnetz oder einen eindeutig ausgewiesenen Teil dieses Netzes berücksichtigen die Mitgliedstaaten die in Artikel 7 Absatz 9 genannten Kosten. Die berücksichtigten Kosten müssen sich auf das Netz oder den Teil des Netzes, auf dem Mautgebühren erhoben werden, und auf die mautpflichtigen Fahrzeuge beziehen. Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, diese Kosten nicht oder nur teilweise über die Mauteinnahmen anzulasten.
(2) Die Mautgebühren werden nach Artikel 7 und Absatz 1 des vorliegenden Artikels festgelegt.
(3) Im Falle neuer, von den Mitgliedstaaten nach dem 10. Juni 2008 eingeführter Mautsysteme ohne konzessionsgebundene Mautgebühren berechnen die Mitgliedstaaten die Kosten anhand einer Methodik, bei der die in Anhang III aufgeführten Eckpunkte für die Berechnung zugrunde gelegt werden.
Im Falle neuer, nach dem 10. Juni 2008 eingeführter konzessionsgebundener Mautgebühren dürfen die Mautgebühren nicht höher sein als bei der Anwendung eines Verfahrens, dem die in Anhang III aufgeführten Eckpunkte zugrunde liegen. Diese Äquivalenz ist auf der Grundlage eines auf die Art des Konzessionsvertrags abgestimmten ausreichend langen Bezugszeitraums zu bewerten.
Mautsysteme, die am 10. Juni 2008 bereits eingeführt sind oder für die vor dem 10. Juni 2008 Angebote oder Antworten auf Einladungen zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren vorliegen, die im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens unterbreitet wurden, sind von diesem Absatz ausgenommen, solange sie in Kraft bleiben und sofern sie nicht wesentlich geändert werden.“
In Anhang III („Eckpunkte für die Anrechnung der Kosten und die Berechnung der Mautgebühren“) der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung heißt es in Abschnitt 3:
„Betriebs-, Bewirtschaftungs- und Mauteinzugskosten
Hierunter fallen sämtliche Kosten des Infrastrukturbetreibers, die nicht in Abschnitt 2 erfasst sind und die Einrichtung, den Betrieb und die Bewirtschaftung der Infrastruktur und des Mautsystems betreffen. Zu diesen Kosten gehören insbesondere:
die Kosten des Baus, der Einrichtung und der Instandhaltung von Mautstellen und anderen Zahlungssystemen;
die laufenden Kosten für Betrieb und Verwaltung der Mauteinzugssysteme sowie für die Kontrolle der Mautentrichtung;
die mit Konzessionsverträgen verbundenen Verwaltungsgebühren und Abgaben;
die mit dem Betrieb der Infrastruktur verbundenen Bewirtschaftungs-, Verwaltungs- und Dienstleistungskosten.
Diese Kosten können einen Kapitalertrag oder eine Gewinnmarge beinhalten, der bzw. die dem übernommenen Risiko entspricht.
Die Kosten müssen auf faire und transparente Weise auf alle mautpflichtigen Fahrzeugklassen aufgeteilt werden.“
Deutsches Recht
Dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge werden die vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2014 geltenden Mautgebühren für die Benutzung der deutschen Bundesautobahnen nach § 14 Abs. 3 des Bundesfernstraßenmautgesetzes vom 12. Juli 2011 (BGBl. 2011 I, S. 1378) durch Anlage 4 dieses Gesetzes festgelegt. Sie richten sich zum einen nach einem für mautpflichtige Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit bis zu drei Achsen bzw. mit vier oder mehr Achsen festgesetzten Betrag pro Kilometer und zum anderen nach der Kategorie, der das Fahrzeug aufgrund seiner Emissionsklasse zugeordnet ist, und betragen zwischen 0,141 und 0,288 Euro.
Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht ferner hervor, dass die Festsetzung der im relevanten Zeitraum (1. Januar 2010 bis 18. Juli 2011) geltenden Mautsätze auf dem Gutachten „Aktualisierung der Wegekostenrechnung für die Bundesfernstraßen in Deutschland“ vom 30. November 2007 (im Folgenden: WKG 2007) mit einem Kalkulationszeitraum von 2007 bis 2012 beruht. Bei der Kalkulation wurden u. a. die Kosten des Kapitals, das in den Erwerb der Grundstücke investiert wurde, auf denen die Autobahnen gebaut wurden, und die Kosten für den Betrieb der Verkehrswege (betrieblicher und baulicher Unterhalt, Mauterhebungssystem, Verkehrspolizei) berücksichtigt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
BY und CZ betrieben bis zum 31. August 2015 eine Gesellschaft polnischen Rechts, die im Güterkraftverkehr tätig war, u. a. in Deutschland.
Für die Benutzung deutscher Bundesautobahnen zahlten sie auf den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 18. Juli 2011 entfallende Mautgebühren in Höhe von insgesamt 12420,53 Euro an die Bundesrepublik Deutschland.
BY und CZ halten diesen Betrag für überhöht und erhoben deshalb beim Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) Klage auf Rückzahlung. Ihre Klage wurde abgewiesen.
BY und CZ legten dagegen beim vorlegenden Gericht Berufung ein. Sie machen im Wesentlichen geltend, dass die Kostenkalkulation, auf deren Grundlage die Sätze der von ihnen entrichteten Mautgebühren festgesetzt worden seien, unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu überhöhten Sätzen geführt habe.
Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass zur Entscheidung der Frage, über die es zu befinden habe, zunächst zu prüfen sei, ob Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung unmittelbare Wirkung hätten und ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden seien.
Insoweit weist das vorlegende Gericht als Erstes darauf hin, dass der Gerichtshof in der Rechtssache, in der das Urteil vom 5. Februar 2004, Rieser Internationale Transporte (C-157/02, EU:C:2004:76), ergangen sei, entschieden habe, dass sich der Einzelne gegenüber einer Behörde nicht auf Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 berufen könne, wenn diese nicht oder nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt worden sei. Nach den Änderungen, die der Unionsgesetzgeber durch die Richtlinie 2006/38 an der Richtlinie 1999/62 vorgenommen habe, habe Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung jedoch unmittelbare Wirkung. Die Bestimmung enthalte nun ein Kostenüberschreitungsverbot. Danach seien überhöhte, nicht durch Kosten der Infrastruktur gerechtfertigte Mautgebühren unzulässig.
Als Zweites weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass fraglich sei, ob die Kosten der Verkehrspolizei, die bei der Festsetzung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mautgebühren berücksichtigt worden seien, unter den Begriff der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung fielen.
Das vorlegende Gericht stellt insoweit fest, dass die Festsetzung der Mautsätze nach deutschem Recht auf Kalkulationsmängeln beruhe, insbesondere was die Berücksichtigung der Kosten des Kapitals angehe, das in den Erwerb der Grundstücke investiert worden sei, auf denen die Autobahnen errichtet worden seien. Fraglich sei allerdings, ob ein relevanter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 auch bei einer geringfügigen Überschreitung der Infrastrukturkosten angenommen werden könne.
Als Drittes weist das vorlegende Gericht schließlich darauf hin, dass die Überhöhung eines Mautsatzes nach nationalem Recht noch durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte nachträgliche Kostenberechnung ausgeglichen werden könne. Im Hinblick auf Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C-205/98, EU:C:2000:493), sei jedoch fraglich, ob eine solche nationale Regelung mit dem Unionsrecht in Einklang stehe und, wenn ja, wie eine solche Kalkulation vorzunehmen wäre.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann ein einzelner Mautpflichtiger sich gegenüber nationalen Gerichten auf die Einhaltung der Vorschriften über die Kalkulation der Maut nach Art. 7 Abs. 9, Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung berufen, wenn der Mitgliedstaat bei der gesetzlichen Festlegung der Mautgebühren diese Vorschriften nicht in vollem Umfang eingehalten oder zu Lasten des Mautpflichtigen fehlerhaft umgesetzt hat?
Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
Können als Kosten des Betriebs des Verkehrswegenetzes im Sinne des Art. 7 Abs. 9 Satz 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung auch Kosten der Verkehrspolizei angesetzt werden?
Führt eine Überschreitung der mit der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühr ansatzfähigen Infrastrukturkosten im Bereich:
bis 3,8 %, insbesondere dann, wenn Kosten in Ansatz gebracht werden, die schon dem Grunde nach nicht ansatzfähig sind,
bis 6 %
zu einem Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot nach Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung mit der Folge, dass das nationale Recht insoweit nicht anwendbar ist?
Für den Fall, dass Frage 2 b) zu bejahen ist:
Ist das Urteil des Gerichtshofs vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C-205/98, EU:C:2000:493, Rn. 138), so zu verstehen, dass eine erhebliche Kostenüberschreitung im Ergebnis nicht mehr durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte nachträgliche Kostenberechnung ausgeglichen werden kann, durch die nachgewiesen werden soll, dass der festgesetzte Mautsatz im Ergebnis die ansatzfähigen Kosten tatsächlich nicht überschreitet?
Für den Fall, dass Frage 3 a) zu verneinen ist:
Ist für eine nachträgliche Kostenberechnung nach Ablauf der Kalkulationsperiode in vollem Umfang von den tatsächlichen Kosten und den tatsächlichen Mauteinnahmen, d. h. nicht von den diesbezüglichen Annahmen in der ursprünglichen prognostischen Kalkulation auszugehen?
Zu den Vorlagefragen
Zu Frage 2 a)
Als Erstes ist Frage 2 a) zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass die Kosten der Verkehrspolizei unter den Begriff der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
Nach Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung beruhen die Mautgebühren auf dem Grundsatz der ausschließlichen Anlastung von Infrastrukturkosten (Satz 1), müssen sich die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren an den Baukosten und den Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes orientieren (Satz 2) und können die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren auch eine Kapitalverzinsung oder Gewinnmarge zu Marktbedingungen umfassen (Satz 3).
Art. 7a Abs. 1 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Höhe der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren für das betreffende Infrastrukturnetz oder einen eindeutig ausgewiesenen Teil dieses Netzes die in Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie genannten Kosten berücksichtigen. Die Mautgebühren werden nach Art. 7 und Art. 7a Abs. 1 der Richtlinie festgelegt (Art. 7a Abs. 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung).
Aus dem Wortlaut dieser Vorschriften ergibt sich, dass bei der Festsetzung der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren ausschließlich die „Infrastrukturkosten“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung zu berücksichtigen sind, der in diesem Zusammenhang die Baukosten und die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes nennt.
Wie der Generalanwalt in Nr. 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist zunächst festzustellen, dass es bei den für die Beantwortung der vorliegenden Frage relevanten Kosten nicht um die Kosten für den Bau, die Instandhaltung oder den Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes geht, sondern um Betriebskosten.
Mit dem Begriff der „Kosten für den Betrieb“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 Satz 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung sind die Kosten gemeint, die durch den Betrieb der betreffenden Infrastruktur entstehen.
Diese Auslegung wird durch Anhang III Abschnitt 3 der geänderten Richtlinie 1999/62 bestätigt, wonach unter die Betriebskosten sämtliche Kosten des Infrastrukturbetreibers fallen, die den Betrieb der Infrastruktur betreffen. Allerdings ergibt sich aus Art. 7a Abs. 3 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung, dass die in Anhang III der Richtlinie genannten Eckpunkte für die Berechnung der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren für nach dem 10. Juni 2008 eingeführter Mautsysteme gelten, Anhang III der Richtlinie in der Rechtssache, um die es im Ausgangsverfahren geht, mithin überhaupt nicht anwendbar ist. Dennoch gibt Anhang III der Richtlinie Aufschluss darüber, wie vergleichbare Begriffe der Richtlinie zu verstehen sind.
Wie der Generalanwalt in Nr. 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fallen polizeiliche Tätigkeiten in die Verantwortung des Staates, der dabei hoheitliche Befugnisse ausübt und nicht lediglich als Betreiber der Straßeninfrastruktur handelt.
Die Kosten der Verkehrspolizei können daher nicht als „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung angesehen werden.
Ein solches Verständnis dieser Vorschrift wird durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt. Aus dem am 23. Juli 2003 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/62 (KOM[2003] 448 endg./2, S. 4) geht hervor, dass die Europäische Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte, bei der Festsetzung der Mautsätze externe Kosten zu berücksichtigen, u. a. die nicht durch Versicherungen gedeckten Unfallkosten, die letztlich von der Gesellschaft insgesamt getragen werden. Dazu sollten insbesondere die Verwaltungskosten der im Rahmen von Straßenverkehrsunfällen tätigen Behörden zählen. Der Unionsgesetzgeber ist diesem Vorschlag in der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung aber nicht gefolgt.
Somit ist auf Frage 2 a) zu antworten, dass Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass die Kosten der Verkehrspolizei nicht unter den Begriff der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
Zu Frage 2 b)
Als Zweites ist Frage 2 b) zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren die Infrastrukturkosten des betreffenden Verkehrswegenetzes um 3,8 % bzw. 6 % insbesondere deshalb übersteigen, weil Kosten berücksichtigt wurden, die nicht unter den Begriff der Infrastrukturkosten im Sinne dieser Bestimmung fallen.
Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 20 und 22), beruhen zum einen die Mautgebühren auf dem Grundsatz der ausschließlichen Anlastung von Infrastrukturkosten (Art. 7 Abs. 9 Satz 1 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung) und haben zum anderen die Mitgliedstaaten bei der Festsetzung der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren ausschließlich die in Art. 7 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung ausdrücklich genannten „Infrastrukturkosten“ zu berücksichtigen.
Folglich steht Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung jeder Überschreitung der Infrastrukturkosten des betreffenden Verkehrswegenetzes entgegen, die auf nicht unerhebliche Berechnungsfehler oder die Berücksichtigung von Kosten zurückzuführen ist, die nicht zu den in dieser Bestimmung genannten Kosten gehören, wie z. B. der Kosten der Verkehrspolizei.
Somit ist auf Frage 2 b) zu antworten, dass Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren die Infrastrukturkosten des betreffenden Verkehrswegenetzes wegen nicht unerheblicher Berechnungsfehler oder wegen der Berücksichtigung von Kosten, die nicht unter den Begriff der „Infrastrukturkosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen, um 3,8 % bzw. 6 % übersteigen.
Zu Frage 1
Als Drittes ist Frage 1 zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat auf Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung berufen kann, wenn der Mitgliedstaat diese Bestimmungen nicht beachtet oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber einem Mitgliedstaat vor dessen Gerichten auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat (Urteil vom 21. November 2018, Ayubi, C-713/17, EU:C:2018:929, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Eine Unionsvorschrift ist unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf. Sie ist hinreichend genau, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt werden zu können, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt (Urteil vom 1. Juli 2010, Gassmayr, C-194/08, EU:C:2010:386, Rn. 45).
In Rn. 42 des Urteils vom 5. Februar 2004, Rieser Internationale Transporte (C-157/02, EU:C:2004:76), hat der Gerichtshof entschieden, dass sich der Einzelne bei unterbliebener oder unvollständiger Umsetzung der Richtlinie 93/89/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über die Besteuerung bestimmter Kraftfahrzeuge zur Güterbeförderung sowie die Erhebung von Maut- und Benutzungsgebühren für bestimmte Verkehrswege durch die Mitgliedstaaten (ABl. 1993, L 279, S. 32) und der Richtlinie 1999/62 gegenüber einer staatlichen Stelle weder auf Art. 7 Buchst. h der Richtlinie 93/89 noch auf Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 berufen kann.
Zu Art. 7 Buchst. h der Richtlinie 93/89, wonach „[sich] [d]ie Mautgebühren … an den Kosten für Bau, Betrieb und weiteren Ausbau des betreffenden Straßennetzes [orientieren]“, hat der Gerichtshof in den Rn. 40 und 41 des Urteils vom 5. Februar 2004, Rieser Internationale Transporte (C-157/02, EU:C:2004:76), ausgeführt, dass diese Bestimmung nicht als unbedingt oder hinreichend genau angesehen werden kann, so dass sich der Einzelne gegenüber einer staatlichen Stelle nicht auf sie berufen kann, weil in der Bestimmung die Natur des Zusammenhangs, der zwischen den Mautgebühren und den Kosten für Bau, Betrieb und weiteren Ausbau des betreffenden Straßennetzes bestehen muss, nicht konkretisiert wird, weil in der Bestimmung diese drei Kostenkategorien nicht definiert werden und weil die Bestimmung, auch wenn sie den Mitgliedstaaten eine allgemeine Leitlinie für die Berechnung der Mautgebühren vorgibt, keine konkrete Berechnungsmethode enthält und den Mitgliedstaaten insoweit einen sehr weiten Spielraum belässt.
In Rn. 41 des Urteils vom 5. Februar 2004, Rieser Internationale Transporte (C-157/02, EU:C:2004:76), hat der Gerichtshof entschieden, dass das Gleiche erst recht für Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 gilt, der abgesehen von der Verwendung des Begriffes „gewogene durchschnittliche Mautgebühren“ anstelle von „Mautgebühren“ ebenso formuliert ist wie Art. 7 Buchst. h der Richtlinie 93/89, ohne dass der Begriff „gewogene durchschnittliche Mautgebühren“ definiert wird.
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass bei der Festsetzung der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren nach Art. 7 Abs. 9 Satz 1 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung lediglich die „Infrastrukturkosten“ berücksichtigt werden dürfen (siehe oben, Rn. 22).
Indem Art. 7 Abs. 9 der geänderten Richtlinie 1999/62 vorsieht, dass die Mautgebühren auf dem Grundsatz der ausschließlichen Anlastung von „Infrastrukturkosten“ beruhen, konkretisiert er eindeutig die Natur des Zusammenhangs, der zwischen den Mautgebührensätzen und den betreffenden Infrastrukturkosten bestehen muss.
Außerdem ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung in Verbindung mit deren Art. 7 Abs. 9, dass mit dem „betreffenden Verkehrswegenetz“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie ein Verkehrswegenetz des „transeuropäischen Straßennetzes“ gemeint ist. Der Begriff des transeuropäischen Straßennetzes ist in Art. 2 Buchst. a der Richtlinie definiert. In Art. 2 der Richtlinie sind auch die Begriffe der Mautgebühr, der gewogenen durchschnittlichen Mautgebühr und der Baukosten definiert.
Wie der Generalanwalt in Nr. 83 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind somit die Hauptgründe, die einer unmittelbaren Wirkung von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 nach dem Urteil Rieser Internationale Transporte (C-157/02, EU:C:2004:76) entgegenstanden, durch die Änderungen, die der Unionsgesetzgeber mit der Richtlinie 2006/38 an der Richtlinie 1999/62 vorgenommen hat, weggefallen.
Die Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung belässt den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Modalitäten der Berechnung der Mautgebühren zwar immer noch einen Gestaltungsspielraum. Dies bedeutet aber nicht, dass die Verpflichtung, bei der Festsetzung der Mautgebühren ausschließlich die „Infrastrukturkosten“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie zu berücksichtigen, deshalb nicht genau oder nicht unbedingt wäre.
Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung erlegen den Mitgliedstaaten, die auf dem transeuropäischen Straßennetz Mautgebühren einführen oder beibehalten wollen, mithin die genaue und unbedingte Verpflichtung auf, bei der Festsetzung der Mautgebühren ausschließlich die „Infrastrukturkosten“, d. h. die Baukosten und die Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des betreffenden Verkehrswegenetzes, zu berücksichtigen.
Somit ist auf Frage 1 zu antworten, dass sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung, ausschließlich die Infrastrukturkosten im Sinne von Art. 7 Abs. 9 zu berücksichtigen, berufen kann, wenn der Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist oder sie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.
Zu Frage 3
Als Letztes ist Frage 3 zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung im Hinblick auf Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C-205/98, EU:C:2000:493), dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein überhöhter Mautgebührensatz durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte Neuberechnung der Infrastrukturkosten nachträglich gerechtfertigt wird. Verneinendenfalls möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bei einer solchen Neuberechnung nicht von den Annahmen in der ursprünglichen prognostischen Kalkulation, sondern ausschließlich von den tatsächlichen Kosten und den tatsächlich vereinnahmten Mautgebühren auszugehen ist.
In Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C-205/98, EU:C:2000:493), hat der Gerichtshof entschieden, dass die Republik Österreich eine Erhöhung der für die betreffende Autobahn geltenden Mautgebührensätze nicht durch die Einreichung einer neuen Methode der Berechnung der Kosten rechtfertigen konnte, weil sie zum einen nicht dargelegt hatte, inwieweit diese Methode geeigneter sein solle, und weil Art. 7 Buchst. h der Richtlinie 93/89, wonach sich die Mautgebühren an den Kosten für Bau, Betrieb und weiteren Ausbau des betreffenden Straßennetzes orientieren, zum anderen voraussetzte, dass die Anpassung der Mautgebührensätze später erfolgt als die Berechnung, die ihrer Rechtfertigung dient.
Diese Erwägungen gelten auch in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem sich die Rechtfertigung der als überhöht angesehenen Mautgebühren nicht aus der nachträglichen Anwendung einer neuen Berechnungsmethode, sondern aus der Aktualisierung der ursprünglich berücksichtigten Infrastrukturkosten im gerichtlichen Verfahren ergeben würde.
Somit ist auf Frage 3 zu antworten, dass die Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung im Hinblick auf Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C-205/98, EU:C:2000:493), dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein überhöhter Mautgebührensatz durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte Neuberechnung der Infrastrukturkosten nachträglich gerechtfertigt wird.
Zur Beschränkung der zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils
In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesrepublik Deutschland für den Fall, dass der Gerichtshof zu dem Schluss gelangen sollte, dass Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung unmittelbare Wirkung haben, beantragt, die zeitliche Wirkung des vorliegenden Urteils zu begrenzen.
Sie hat dies erstens damit begründet, dass hinsichtlich der Tragweite des Begriffs der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung Unsicherheit bestehe. Diese Unsicherheit sei zu einem großen Teil auf das Verhalten der Kommission zurückzuführen. In ihren Stellungnahmen vom 10. Dezember 2014 gemäß Artikel 7h Absatz 2 der Richtlinie 1999/62/EG zur Einführung eines neuen Mautsystems in Deutschland (C[2014] 9313 final) und vom 16. Januar 2019 gemäß Artikel 7h Absatz 2 der Richtlinie 1999/62/EG zur Einführung eines neuen Mautsystems in Deutschland (C[2019] 60) habe die Kommission nämlich die Auffassung vertreten, dass die Kosten der Verkehrspolizei unter den Begriff der Betriebskosten fielen.
Zweitens weist die Bundesrepublik Deutschland auf die schwerwiegenden finanziellen Folgen hin, die eine rückwirkende Anwendung des vorliegenden Urteils haben würde.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C-724/17, EU:C:2019:204, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nur ganz ausnahmsweise kann der Gerichtshof aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit beschränken, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C-724/17, EU:C:2019:204, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C-724/17, EU:C:2019:204, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht dargetan hat, dass die Voraussetzung des guten Glaubens der Betroffenen erfüllt wäre.
Insbesondere ist die Bundesrepublik Deutschland, wie der Generalanwalt in den Nrn. 99 und 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Erklärung dafür schuldig geblieben, inwieweit die oben in Rn. 52 angeführten Stellungnahmen der Kommission, mit denen neue Mautgebührensysteme gebilligt wurden, bei denen die Verkehrspolizei im Zusammenhang mit Infrastrukturkosten berücksichtigt wurde, zu einer objektiven, bedeutenden Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite von Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der geänderten Fassung beigetragen hätten.
Der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Satz der Mautgebühren, der sich auf den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 18. Juli 2011 bezog, wurde nämlich auf der Grundlage des WKG 2007 berechnet, das sich auf einen Kalkulationszeitraum von 2007 bis 2012 bezog. Die genannten Stellungnahmen der Kommission wurden jedoch nach diesem Kalkulationszeitraum abgegeben und konnten bei der Festsetzung des für die betreffenden Mautgebühren geltenden Satzes mithin nicht berücksichtigt werden.
Die Wirkung des vorliegenden Urteils ist daher zeitlich nicht zu beschränken.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge in der durch die Richtlinie 2006/38/EG des Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Kosten der Verkehrspolizei nicht unter den Begriff der „Kosten für [den] Betrieb“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
Art. 7 Abs. 9 der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die gewogenen durchschnittlichen Mautgebühren die Infrastrukturkosten des betreffenden Verkehrswegenetzes wegen nicht unerheblicher Berechnungsfehler oder wegen der Berücksichtigung von Kosten, die nicht unter den Begriff der „Infrastrukturkosten“ im Sinne dieser Bestimmung fallen, um 3,8 % bzw. 6 % übersteigen.
Der Einzelne kann sich vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf die Verpflichtung aus Art. 7 Abs. 9 und Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung, ausschließlich die Infrastrukturkosten im Sinne von Art. 7 Abs. 9 zu berücksichtigen, berufen, wenn der Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist oder sie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.
Die Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2006/38 geänderten Fassung ist im Hinblick auf Rn. 138 des Urteils vom 26. September 2000, Kommission/Österreich (C-205/98, EU:C:2000:493), dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein überhöhter Mautgebührensatz durch eine im gerichtlichen Verfahren eingereichte Neuberechnung der Infrastrukturkosten nachträglich gerechtfertigt wird.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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