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EuGH 06.10.2015 - C-59/14
EuGH 06.10.2015 - C-59/14 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 6. Oktober 2015 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 — Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union — Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 — Rückforderung einer Ausfuhrerstattung — Verjährungsfrist — Beginn — Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers — Schadenseintritt — Andauernder Verstoß — Punktueller Verstoß“
Leitsatz
In der Rechtssache C-59/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 13. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Februar 2014, in dem Verfahren
Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Jonas
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin), der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export, vertreten durch Rechtsanwalt D. Ehle,
der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias und E. Leftheriotou als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, P. Rossi und B. Eggers als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2015
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Firma Ernst Kollmer Fleischimport und -export und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas (im Folgenden: Hauptzollamt) wegen der Rückforderung von Ausfuhrerstattungen.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 2988/95
Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmt:
„(1) Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.
(2) Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:
„Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.
Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. …
…“
Art. 4 der Verordnung betrifft die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zur Rückforderung von zu Unrecht erlangten Vorteilen. Art. 5 der Verordnung führt die verwaltungsrechtlichen Sanktionen an, zu denen Unregelmäßigkeiten führen können, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden.
Verordnung (EWG) Nr. 565/80
Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 62, S. 5), die durch die Verordnung (EG) Nr. 1713/2006 der Kommission vom 20. November 2006 zur Aufhebung der Vorfinanzierung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 321, S. 11) aufgehoben wurde, sah vor, dass „[a]uf Antrag … ein der Ausfuhrerstattung entsprechender Betrag gezahlt [wird], sobald die Erzeugnisse oder Waren im Hinblick auf ihre Ausfuhr innerhalb einer bestimmten Frist einem Zolllagerverfahren oder Freizonenverfahren unterworfen worden sind“.
Art. 6 dieser Verordnung sah vor:
„Für die Anwendung der in dieser Verordnung vorgesehenen Regelung ist die Stellung einer Kaution erforderlich, durch die die Rückzahlung eines Betrages in Höhe des gezahlten Betrags, zuzüglich eines Zusatzbetrags, sichergestellt wird.
Unbeschadet von Fällen höherer Gewalt verfällt diese Kaution ganz oder teilweise,
wenn die Rückzahlung bei innerhalb der Frist nach Artikel 4 Absatz 1 und Artikel 5 Absatz 1 nicht erfolgter Ausfuhr nicht vorgenommen worden ist oder
wenn kein Erstattungsanspruch besteht oder Anspruch auf eine niedrigere Erstattung bestand.“
Verordnung (EWG) Nr. 3665/87
In Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 351, S. 1, berichtigt u. a. in ABl. 1993, L 164, S. 12), die durch die Verordnung (EG) Nr. 800/1999 der Kommission vom 15. April 1999 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 102, S. 11) aufgehoben wurde, hieß es:
„Das Erzeugnis muss in unverändertem Zustand in das Drittland oder in eines der Drittländer, für welche die Erstattung vorgesehen ist, innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach Annahme der Ausfuhranmeldung … eingeführt worden sein.“
Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:
„Der Nachweis der Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die Überführung in den freien Verkehr erfolgt durch die Vorlage
des jeweiligen Zollpapiers, einer Kopie oder Fotokopie dieses Papiers; diese Kopie oder Fotokopie muss entweder von der Stelle, die das Original abgezeichnet hat, einer Behörde des betreffenden Drittlandes oder von einer Behörde eines Mitgliedstaats beglaubigt sein[,] oder
der Verzollungsbescheinigung, die nach dem Muster im Anhang II in einer oder mehreren Amtssprachen der Gemeinschaft und in einer im betreffenden Drittland verwendeten Sprache ausgestellt ist …
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
In den Jahren 1992 und 1993 erließ das Hauptzollamt Bescheide, mit denen es der Klägerin des Ausgangsverfahrens nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung Nr. 565/80 im Wege der Vorfinanzierung gegen Sicherheitsleistung Ausfuhrerstattungen gewährte. Diese Vorfinanzierungen betrafen verschiedene Sendungen Rindfleisch, die im Hinblick auf ihre Ausfuhr gelagert wurden.
Mit Schreiben vom 10. August 1993 übersandte die Klägerin des Ausgangsverfahrens dem Hauptzollamt die von den jordanischen Zollbehörden am 9. März 1993 ausgestellte Zollerklärung Nr. 79/239. Diese Erklärung bescheinigte die Überführung einer von der Klägerin des Ausgangsverfahrens ausgeführten Sendung Rindfleisch in den freien Verkehr in Jordanien. Am 30. April 1996 bzw. am 4. März 1998 gab das Hauptzollamt die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens bestellten Sicherheiten frei.
Anlässlich einer Missionsreise des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) vom 28. Februar bis zum 14. März 1998 wurde festgestellt, dass die von den jordanischen Zollbehörden ausgestellte Zollerklärung vor Erhebung der Einfuhrabgaben storniert worden war und die betreffende Sendung Rindfleisch tatsächlich in den Irak reexportiert worden war.
Mit Bescheid vom 23. September 1999 forderte das Hauptzollamt einen Betrag in Höhe von 103289,89 Euro zurück. Auf einen Einspruch der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen den Rückforderungsbescheid hin wurde dieser Betrag mit Entscheidung vom 26. September 2011 auf 59545,70 Euro verringert. Im Übrigen wurde der Einspruch mit Entscheidung vom 23. Januar 2012 zurückgewiesen.
Am 5. Februar 2012 erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Finanzgericht Hamburg Klage, mit der sie die Aufhebung der drei genannten Entscheidungen begehrt. Sie macht geltend, der Rückforderungsanspruch sei verjährt. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 laufe die Verjährungsfrist nicht ab Freigabe der Sicherheit, sondern ab Begehung der Unregelmäßigkeit. Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung knüpfe den Tatbestand der „Unregelmäßigkeit“ nämlich an eine Handlung oder an ein Unterlassen eines Wirtschaftsteilnehmers. Folglich sei bei der Bestimmung, ob der Anspruch auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge verjährt sei, auf den Zeitpunkt der Vorlage der von den jordanischen Zollbehörden ausgestellten Zollerklärung, d. h. den 10. August 1993, abzustellen.
Das vorlegende Gericht neigt der Auffassung zu, dass der Lauf der Verjährungsfrist unabhängig vom Zeitpunkt des Schadenseintritts mit der Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers, die einen Verstoß gegen eine Unionsbestimmung darstellt, beginnt. Diese Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95. Zum einen weise nämlich der Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber, der bei der Formulierung dieser Vorschrift den Konjunktiv verwendet habe, den Tatbestand der „Unregelmäßigkeit“ nicht an den Eintritt eines Schadens knüpfe, da ein Verhalten eines Wirtschaftsteilnehmers auch dann eine Unregelmäßigkeit darstellen könne, wenn es einen Schaden für den Unionshaushalt bewirkt „haben würde“. Zum anderen ergebe sich aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der genannten Verordnung, der auf die „Begehung der Unregelmäßigkeit“ Bezug nehme, dass der Unionsgesetzgeber den Beginn der Verjährungsfrist nicht an den „Eintritt“, sondern an die „Begehung“ der Unregelmäßigkeit habe knüpfen wollen, d. h. an ein Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers, das in einem Verstoß gegen eine Unionsbestimmung bestehen müsse.
Allerdings ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Frage der Bestimmung des Beginns der Verjährungsfrist in den Fällen anders beurteilt werden könnte, in denen der Verstoß gegen Unionsbestimmungen erst nach Eintritt des Schadens aufgedeckt worden sei. Seiner Auffassung nach ließe sich nämlich argumentieren, dass zur Erfüllung des Tatbestands der „Unregelmäßigkeit“ in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 zwei Voraussetzungen vorliegen müssten, nämlich ein Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers und ein daraus resultierender Schaden.
In dem Fall, dass die Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 erst zum Zeitpunkt des Eintritts des Schadens zu laufen beginnen sollte, stellt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Frage, ob ein „Schaden“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 bereits mit der Zahlung des der Ausfuhrerstattung entsprechenden Vorfinanzierungsbetrags oder erst zum Zeitpunkt der endgültigen Gewährung der Ausfuhrerstattung durch Freigabe der Sicherheit eintritt.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Setzt die für den Beginn der Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 erforderliche und in Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung definierte Unregelmäßigkeit in einem Fall, in dem der Verstoß gegen eine Unionsbestimmung erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, neben einer Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers kumulativ voraus, dass ein Schaden für den Gesamthaushalt der Union oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, bewirkt worden ist, so dass die Verjährungsfrist erst ab Schadenseintritt zu laufen beginnt, oder beginnt die Verjährungsfrist unabhängig vom Zeitpunkt des Schadenseintritts bereits mit der Handlung oder Unterlassung des Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen eine Unionsbestimmung darstellt?
Sofern auf Frage 1 geantwortet wird, dass die Verjährungsfrist erst mit Eintritt des Schadens beginnt:
Liegt – im Zusammenhang mit der Rückforderung endgültig gewährter Ausfuhrerstattung – ein Schaden im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 bereits vor, wenn einem Ausführer ein der Ausfuhrerstattung entsprechender Betrag im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 565/80 gezahlt worden ist, ohne dass die Sicherheit nach Art. 6 dieser Verordnung bereits freigegeben worden wäre, oder liegt ein Schaden erst im Zeitpunkt der Freigabe der Sicherheit bzw. endgültigen Gewährung der Ausfuhrerstattung vor?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wo der Verstoß gegen eine Unionsbestimmung erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, dahin auszulegen sind, dass die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Schaden für den Unionshaushalt oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, eingetreten ist, oder dahin, dass diese Frist unabhängig von diesem Zeitpunkt bereits mit der Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, zu laufen beginnt.
Zunächst ist zum einen darauf hinzuweisen, dass für Unregelmäßigkeiten, die die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen, die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehene Verjährungsfrist von vier Jahren gilt, wenn nicht eine sektorbezogene Regelung der Union oder nationale Vorschriften eine spezielle Verjährungsfrist vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Pfeifer & Langen, C-564/10, EU:C:2012:190, Rn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 im vorliegenden Fall anwendbar ist, obwohl der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt auf die Jahre 1992 und 1993 zurückgeht. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass die in dieser Vorschrift geregelte Verjährungsfrist auf Unregelmäßigkeiten anwendbar ist, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung begangen worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., C-278/07 bis C-280/07, EU:C:2009:38, Rn. 34).
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Bestimmung der Bedeutung von Vorschriften des Unionsrechts, wie hier von Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95, sowohl ihr Wortlaut als auch ihr Zusammenhang und ihre Ziele zu berücksichtigen (Urteil Angerer, C-477/13, EU:C:2015:239, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 nach beträgt die Verjährungsfrist für die Verfolgung vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit. Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung definiert den Tatbestand der „Unregelmäßigkeit“ als jeden Verstoß gegen eine Unionsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Union oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde.
Die Begehung einer Unregelmäßigkeit, die die Verjährungsfrist in Lauf setzt, ist somit von der Erfüllung zweier Voraussetzungen abhängig, nämlich von einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, und einem Schaden oder einem potenziellen Schaden für den Unionshaushalt.
Unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wo der Verstoß gegen das Unionsrecht nach Eintritt des Schadens aufgedeckt wurde, beginnt die Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Begehung der Unregelmäßigkeit zu laufen, d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem sich sowohl die Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, als auch der Schaden für den Unionshaushalt oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, ereignet haben.
Dieses Ergebnis entspricht dem Ziel der Verordnung Nr. 2988/95, die nach ihrem Art. 1 Abs. 1 dem Schutz der finanziellen Interessen der Union dient. Die Verjährung beginnt nämlich zum Zeitpunkt des Ereignisses, das zuletzt eintritt, d. h. entweder zum Zeitpunkt des Schadenseintritts, wenn der Schaden nach der Handlung oder Unterlassung eintritt, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, oder zum Zeitpunkt dieser Handlung oder Unterlassung, wenn der bereffende Vorteil vor dieser Handlung oder Unterlassung gewährt wurde. Dies erleichtert die Verfolgung des Ziels des Schutzes der finanziellen Interessen der Union.
Dieses Ergebnis wird auch nicht durch das Vorbringen der griechischen Regierung in Frage gestellt, dass die Verjährung zu dem Zeitpunkt beginne, zu dem die zuständigen Behörden die Unregelmäßigkeit aufdeckten. Diesem Vorbringen steht nämlich die Rechtsprechung des Gerichtshofs entgegen, wonach der Zeitpunkt, zu dem die nationalen Behörden von einer Unregelmäßigkeit Kenntnis erlangt haben, ohne Einfluss auf den Beginn der Verjährungsfrist ist (Urteil Pfeifer & Langen, C-52/14, EU:C:2015:381, Rn. 67).
Im Übrigen obliegt der Verwaltung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine allgemeine Sorgfaltspflicht bei der Prüfung, ob die von ihr geleisteten und den Haushalt der Union belastenden Zahlungen ordnungsgemäß erfolgt sind (Urteil Ze Fu Fleischhandel GmbH und Vion Trading, C-201/10 und C-202/10, EU:C:2011:282, Rn. 44). Es liefe dieser Sorgfaltspflicht zuwider, ließe man die Verjährung zum Zeitpunkt der Aufdeckung der in Rede stehenden Unregelmäßigkeit beginnen.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin auszulegen sind, dass die Verjährungsfrist unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wo der Verstoß gegen eine Unionsbestimmung erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem sich sowohl die Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, als auch der Schaden für den Unionshaushalt oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, ereignet haben.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, zu welchem Zeitpunkt ein „Schaden“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eintritt.
Vor der Beantwortung dieser Frage ist der zeitliche Ablauf des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts in Erinnerung zu rufen. Zunächst – in den Jahren 1992 und 1993 – wurde der Klägerin des Ausgangsverfahrens nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 565/80 im Wege der Vorfinanzierung ein der Ausfuhrerstattung entsprechender Betrag gewährt. Sodann – am 10. August 1993 – legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine von den jordanischen Zollbehörden ausgestellte Zollerklärung vor, mit der nach Art. 17 Abs. 3 und Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 3665/87 die Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die Überführung in den freien Verkehr in Jordanien nachgewiesen werden sollte. Schließlich – am 30. April 1996 bzw. am 4. März 1998 – wurden die zum Zeitpunkt der Gewährung der Vorauszahlung nach Art. 6 der Verordnung Nr. 565/80 bestellten Sicherheiten freigegeben.
Unter solchen Umständen tritt ein „Schaden“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Entscheidung über die endgültige Gewährung des betreffenden Vorteils, im vorliegenden Fall der Ausfuhrerstattungen, getroffen wird. Ab diesem Zeitpunkt liegt nämlich tatsächlich ein Schaden für den Unionshaushalt vor. Dieser Schaden kann nicht als ein Schaden angesehen werden, der bereits vor dem Zeitpunkt der endgültigen Gewährung dieses Vorteils vorgelegen hätte, da andernfalls die Verjährungsfrist für dessen Rückforderung bereits zu einem Zeitpunkt laufen könnte, zu dem er noch nicht gewährt wurde.
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Schaden eingetreten ist, sobald die Entscheidung getroffen wurde, dem betreffenden Ausführer die Ausfuhrerstattung zu gewähren.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sind dahin auszulegen, dass die Verjährungsfrist unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wo der Verstoß gegen eine Unionsbestimmung erst nach Eintritt eines Schadens aufgedeckt wurde, zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem sich sowohl die Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die sich als Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, als auch der Schaden für den Unionshaushalt oder die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, ereignet haben.
Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Schaden eingetreten ist, sobald die Entscheidung getroffen wurde, dem betreffenden Ausführer die Ausfuhrerstattung zu gewähren.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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