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EuGH 11.04.2013 - C-636/11
EuGH 11.04.2013 - C-636/11 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 11. April 2013 ( *1) - „Verordnung (EG) Nr. 178/2002 — Verbraucherschutz — Lebensmittelsicherheit — Information der Öffentlichkeit — Inverkehrbringen eines für den Verzehr durch den Menschen ungeeigneten, aber gesundheitlich unbedenklichen Lebensmittels“
Leitsatz
In der Rechtssache C-636/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht München I (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Dezember 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 2011, in dem Verfahren
Karl Berger
gegen
Freistaat Bayern
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Berger, vertreten durch Rechtsanwälte R. Wallau und M. Grube,
des Freistaats Bayern, vertreten durch Rechtsanwalt G. Himmelsbach,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und L. Pignataro-Nolin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31, S. 1).
Es ergeht im Rahmen einer Amtshaftungsklage von Herrn Berger gegen den Freistaat Bayern wegen einer Information der Öffentlichkeit über die Produkte des Klägers.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 178/2002
Art. 1 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 lautet:
„(1) Diese Verordnung schafft die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit des Menschen und die Verbraucherinteressen bei Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung der Vielfalt des Nahrungsmittelangebots, einschließlich traditioneller Erzeugnisse, wobei ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet wird. In ihr werden einheitliche Grundsätze und Zuständigkeiten, die Voraussetzungen für die Schaffung eines tragfähigen wissenschaftlichen Fundaments und effiziente organisatorische Strukturen und Verfahren zur Untermauerung der Entscheidungsfindung in Fragen der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit festgelegt.
(2) Für die Zwecke von Absatz 1 werden in dieser Verordnung die allgemeinen Grundsätze für Lebensmittel und Futtermittel im Allgemeinen und für die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit im Besonderen auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene festgelegt.“
Art. 3 dieser Verordnung enthält folgende Definitionen:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
‚Risiko‘ eine Funktion der Wahrscheinlichkeit einer die Gesundheit beeinträchtigenden Wirkung und der Schwere dieser Wirkung als Folge der Realisierung einer Gefahr;
…
‚Gefahr‘ ein biologisches, chemisches oder physikalisches Agens in einem Lebensmittel oder Futtermittel oder einen Zustand eines Lebensmittels oder Futtermittels, der eine Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen kann;
…“
Art. 4 Abs. 2 bis 4 der genannten Verordnung bestimmt:
„(2) Die in den Artikeln 5 bis 10 festgelegten allgemeinen Grundsätze bilden einen horizontalen Gesamtrahmen, der einzuhalten ist, wenn Maßnahmen getroffen werden.
(3) Die bestehenden lebensmittelrechtlichen Grundsätze und Verfahren werden so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Januar 2007 so angepasst, dass sie mit den Artikeln 5 bis 10 in Einklang stehen.
(4) Bis dahin werden abweichend von Absatz 2 die bestehenden Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung der in den Artikeln 5 bis 10 festgelegten Grundsätze durchgeführt.“
Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 lautet:
„Das Lebensmittelrecht verfolgt eines oder mehrere der allgemeinen Ziele eines hohen Maßes an Schutz für das Leben und die Gesundheit der Menschen, des Schutzes der Verbraucherinteressen, einschließlich lauterer Handelsgepflogenheiten im Lebensmittelhandel, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Schutzes der Tiergesundheit, des Tierschutzes, des Pflanzenschutzes und der Umwelt.“
Art. 10 dieser Verordnung sieht vor:
„Besteht ein hinreichender Verdacht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, so unternehmen die Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten.“
Art. 14 der genannten Verordnung bestimmt in seinen Abs. 1, 2 und 5:
„(1) Lebensmittel, die nicht sicher sind, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden.
(2) Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie
gesundheitsschädlich sind,
für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.
…
(5) Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, ist zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwendungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist.“
Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 dieser Verordnung lautet:
„Die Mitgliedstaaten setzen das Lebensmittelrecht durch und überwachen und überprüfen, dass die entsprechenden Anforderungen des Lebensmittelrechts von den Lebensmittel- und Futtermittelunternehmern in allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen eingehalten werden.
Hierzu betreiben sie ein System amtlicher Kontrollen und führen andere den Umständen angemessene Maßnahmen durch, einschließlich der öffentlichen Bekanntgabe von Informationen über die Sicherheit und Risiken von Lebensmitteln und Futtermitteln, der Überwachung der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit und anderer Aufsichtsmaßnahmen auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen.“
Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 bestimmt:
„Erkennt ein Lebensmittelunternehmer oder hat er Grund zu der Annahme, dass ein von ihm eingeführtes, erzeugtes, verarbeitetes, hergestelltes oder vertriebenes Lebensmittel den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht entspricht, so leitet er unverzüglich Verfahren ein, um das betreffende Lebensmittel vom Markt zu nehmen, sofern das Lebensmittel nicht mehr unter der unmittelbaren Kontrolle des ursprünglichen Lebensmittelunternehmers steht, und die zuständigen Behörden darüber zu unterrichten. Wenn das Produkt den Verbraucher bereits erreicht haben könnte, unterrichtet der Unternehmer die Verbraucher effektiv und genau über den Grund für die Rücknahme und ruft erforderlichenfalls bereits an diese gelieferte Produkte zurück, wenn andere Maßnahmen zur Erzielung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus nicht ausreichen.“
Art. 65 Abs. 2 der genannten Verordnung stellt u. a. klar, dass „[d]ie Artikel … 14 bis 20 … ab dem 1. Januar 2005 [gelten]“.
Verordnung (EG) Nr. 882/2004
Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 165, S. 1, Berichtigung ABl. L 191, S. 1) bestimmt in ihrem Art. 7:
„(1) Die zuständigen Behörden gewährleisten, dass sie ihre Tätigkeiten mit einem hohen Maß an Transparenz ausüben. Zu diesem Zweck machen sie die ihnen vorliegenden Informationen der Öffentlichkeit so rasch wie möglich zugänglich.
Generell hat die Öffentlichkeit Zugang zu:
Informationen über die Kontrolltätigkeiten der zuständigen Behörden und ihre Wirksamkeit und
Informationen gemäß Artikel 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.
(2) Die zuständige Behörde unternimmt entsprechende Schritte, um sicherzustellen, dass die Angehörigen ihres Personals dazu angehalten sind, keine in Wahrnehmung ihrer amtlichen Kontrollaufgaben erworbenen Informationen weiterzugeben, die ihrer Art nach in hinreichend begründeten Fällen der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Die Geheimhaltungspflicht hindert die zuständigen Behörden nicht daran, Informationen gemäß Absatz 1 Buchstabe b) zu verbreiten. Die Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr … bleiben unberührt.
(3) Der Geheimhaltungspflicht unterliegen insbesondere folgende Informationen:
die Vertraulichkeit von Voruntersuchungen oder laufenden rechtlichen Verfahren,
personenbezogene Daten,
die Dokumente, für die nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission … eine Ausnahmeregelung gilt,
Informationen, die durch einzelstaatliches oder Gemeinschaftsrecht geschützt sind und insbesondere Folgendes betreffen: Geheimhaltungspflicht, Vertraulichkeit von Beratungen, internationale Beziehungen und Landesverteidigung.“
Nach Art. 67 Abs. 2 der Verordnung Nr. 882/2004 gilt diese ab dem 1. Januar 2006.
Deutsches Recht
§ 40 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB) vom 1. September 2005 (BGB1. 2005 I S. 2618), berichtigt am 18. Oktober 2005 (BGB1. 2005 I S. 3007), bestimmte in seiner vom 17. September 2005 bis 24. April 2006 geltenden Fassung:
„(1) Die zuständige Behörde kann die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels und des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist, und, wenn dies zur Gefahrenabwehr geeigneter ist, auch unter Nennung des Inverkehrbringers, nach Maßgabe des Artikels 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 informieren. Eine Information der Öffentlichkeit in der in Satz 1 genannten Art und Weise kann auch erfolgen, wenn
…
ein nicht gesundheitsschädliches, aber zum Verzehr ungeeignetes, insbesondere ekelerregendes Lebensmittel in nicht unerheblicher Menge in den Verkehr gelangt oder gelangt ist oder wenn ein solches Lebensmittel wegen seiner Eigenart zwar nur in geringen Mengen, aber über einen längeren Zeitraum in den Verkehr gelangt ist,
…
In den Fällen des Satzes 2 Nr. 2 bis 5 ist eine Information der Öffentlichkeit nur zulässig, soweit hieran ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit besteht und dieses Interesse gegenüber den Belangen der Betroffenen überwiegt.
(2) Eine Information der Öffentlichkeit durch die Behörde ist nur zulässig, wenn andere ebenso wirksame Maßnahmen, insbesondere eine Information der Öffentlichkeit durch den Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmer oder den Wirtschaftsbeteiligten, nicht oder nicht rechtzeitig getroffen werden oder die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erreichen.
(3) Bevor die Behörde die Öffentlichkeit informiert, hat sie den Hersteller oder den Inverkehrbringer anzuhören, sofern hierdurch die Erreichung des mit der Maßnahme verfolgten Zwecks nicht gefährdet wird.
(4) Eine Information der Öffentlichkeit darf nicht mehr ergehen, wenn das Erzeugnis nicht mehr in den Verkehr gelangt und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass es, soweit es in den Verkehr gelangt ist, bereits verbraucht ist. Abweichend von Satz 1 darf eine Information der Öffentlichkeit ergehen, wenn eine konkrete Gesundheitsgefahr vorliegt oder vorgelegen hat und eine Information für medizinische Maßnahmen angezeigt ist.
(5) Stellen sich die von der Behörde an die Öffentlichkeit gegebenen Informationen im Nachhinein als falsch oder die zu Grunde liegenden Umstände als unrichtig wiedergegeben heraus, so ist dies unverzüglich öffentlich bekannt zu machen, sofern der betroffene Wirtschaftsbeteiligte dies beantragt oder dies zur Wahrung erheblicher Belange des Gemeinwohls erforderlich ist. Diese Bekanntmachung soll in derselben Weise erfolgen, in der die Information der Öffentlichkeit ergangen ist.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Am 16. und 18. Januar 2006 führte das Veterinäramt Passau (Deutschland) amtliche Kontrollen in mehreren Betriebsstätten der Unternehmensgruppe der Berger Wild GmbH (im Folgenden: Berger Wild) durch, die auf dem Gebiet der Verarbeitung und des Vertriebs von Wildfleisch tätig ist. Da dabei unzureichende hygienische Zustände vorgefunden wurden, wurden Proben von dem Wildfleisch genommen und zur Untersuchung an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: LGL) gesandt. Diese Untersuchung führte zu dem Befund, dass die fraglichen Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet und damit nicht sicher im Sinne der Verordnung Nr. 178/2002 waren.
Unter Anhörung von Berger Wild zu diesem Befund kündigte das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz mit Fax vom 23. Januar 2006 seine Absicht an, die Öffentlichkeit gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 LFGB darüber zu informieren, dass die bei den vorstehend genannten Kontrollen auffällig gewordenen Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen nicht geeignet seien. Außerdem wurde das Unternehmen darauf hingewiesen, dass von einer solchen Information abgesehen werde, wenn es selbst die Öffentlichkeit effektiv und rechtzeitig informiere.
Das Unternehmen widersprach der beabsichtigten Information der Öffentlichkeit, weil es sie für unverhältnismäßig hielt, und bot an, eine „Produktwarnung“ herauszugeben, in der seine Kunden gebeten würden, die fünf darin aufgeführten Produkte, bei denen sensorische Abweichungen auftreten könnten, ohne dass eine Gesundheitsgefahr bestehe, an den üblichen Verkaufsstellen umzutauschen.
In einer Presseerklärung vom 24. Januar 2006 teilte der Verbraucherschutzminister des Freistaats Bayern (im Folgenden: zuständiger Minister) den Rückruf von Wildfleischprodukten von Berger Wild mit. In dieser Presseerklärung heißt es: „Untersuchungen durch das [LGL] haben ergeben, dass Fleischproben aus den unten genannten Chargen ranzig, stickig, muffig oder sauer rochen. Bei sechs von neun untersuchten Fleischproben hatte der Fäulnisprozess bereits eingesetzt. Die Firma Berger Wild ist verpflichtet, Fleisch zurückzunehmen, das aus den gleichen Chargen stammt und sich noch im Handel befindet.“
Weiter wurde in der Presseerklärung ausgeführt, dass bei Kontrollen der drei Betriebsstätten von Berger Wild ekelerregende hygienische Zustände vorgefunden worden seien. Die zuständigen Behörden hätten dem Unternehmen sofort vorübergehend verboten, die in diesen Betriebsstätten hergestellten oder behandelten eigenen Produkte in den Verkehr zu bringen. Ausgenommen seien Lebensmittel dieses Unternehmens, deren Untersuchungsergebnisse ergeben hätten, dass sie in gesundheitlicher Hinsicht nicht zu beanstanden seien.
In einer Pressemitteilung vom 25. Januar 2006 mit der Überschrift „Rückruf von Wildfleisch (Fa. Berger Wild, Passau) … Rückrufaktion weitet sich aus – zahlreiche Produkte genussuntauglich“ informierte der zuständige Minister darüber, dass die Einstufung als „nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“ bereits für zwölf Tiefkühlprodukte aus dem Handel und sechs Frischfleischproben aus dem Betrieb, von denen eine sogar mit Salmonellen belastet gewesen sei, gelte. Hinsichtlich der zwölf für den Verzehr ungeeigneten Proben fügte der Minister hinzu: „Ob sie gesundheitsgefährlich sind, werden die bis Ende der Woche vorliegenden mikrobiologischen Untersuchungen des [LGL] ergeben.“
Außerdem gab diese Pressemitteilung die eingeleiteten Sofortmaßnahmen an und enthielt eine aktualisierte Liste der zurückgerufenen Erzeugnisse.
Am 27. Januar 2006 gab der zuständige Minister eine weitere Pressemitteilung heraus.
In einer Rede vor dem Bayerischen Landtag am 31. Januar 2006 erklärte er u. a., dass Berger Wild keine Ware mehr vertreiben könne und am selben Tag Insolvenz angemeldet habe, womit eine Gesundheitsgefährdung durch neu in den Verkehr gebrachte Produkte auszuschließen sei.
Infolge der Pressemitteilung vom 25. Januar 2006 stellte die Kommission auf Veranlassung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit eine Schnellwarnung in das Schnellwarnsystem der Europäischen Union für Lebens- und Futtermittel ein.
Berger Wild sah sich durch die Pressemitteilungen der Behörden des Freistaat Bayerns massiv geschädigt und reichte beim Landgericht München I Schadensersatzklage gegen den Freistaat Bayern ein, die u. a. darauf gestützt wurde, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 178/2002 die Information der Öffentlichkeit nur erlaube, wenn eine tatsächliche Gesundheitsgefahr bestehe, nicht aber, wenn es sich nur um für den Verzehr durch den Menschen ungeeignete Lebensmittel handle. Der Freistaat Bayern ist dagegen der Ansicht, besagter Art. 10 lasse eine öffentliche Warnung durch die zuständigen nationalen Behörden auch dann zu, wenn keine konkrete Gesundheitsgefahr bestehe.
Das vorlegende Gericht geht bei seiner vorläufigen Bewertung davon aus, dass die Verbraucherwarnungen auf der Grundlage des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs ordnungsgemäß waren, stellt sich aber die Frage, ob Letzteres mit der Verordnung Nr. 178/2002 in Einklang steht. Insoweit weist es auch darauf hin, dass es sich, nachdem Berger Wild die fachgerechte Untersuchung der Fleischproben bestritten habe, die Überzeugung habe bilden können, dass keine Zweifel an der Einschätzung des LGL angebracht seien, wonach die Lebensmittel für den Verzehr ungeeignet seien, ohne aber eine Gesundheitsgefährdung auszulösen.
Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht München I beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 10 der Verordnung Nr. 178/2002 einer nationalen Regelung entgegen, durch die eine Information der Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels und des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel- oder Futtermittel hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist, ermöglicht wird, wenn ein nicht gesundheitsschädliches, aber zum Verzehr ungeeignetes, insbesondere ekelerregendes Lebensmittel in nicht unerheblicher Menge in den Verkehr gelangt oder gelangt ist oder wenn ein solches Lebensmittel wegen seiner Eigenart zwar nur in geringen Mengen, aber über einen längeren Zeitraum in den Verkehr gelangt ist?
Falls die vorstehende Frage bejaht wird:
Ist die Frage 1 anders zu beantworten, wenn der Sachverhalt vor dem 1. Januar 2007 stattfand, allerdings das nationale Recht bereits im Hinblick auf die vorgenannte Verordnung angepasst wurde?
Zu den Vorlagefragen
Das vorlegende Gericht geht von der Prämisse aus, dass im Ausgangsfall die Lebensmittel, die Gegenstand der Warnungen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 LFGB im Januar 2006 waren, nicht als schädlich für die menschliche Gesundheit anzusehen waren. Es möchte daher mit seinen beiden gemeinsam zu prüfenden Fragen im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Information der Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels und des Unternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht wurde, zulässig ist, wenn ein Lebensmittel zwar nicht gesundheitsschädlich, aber für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist.
Art. 10 der genannten Verordnung, auf den die Vorlagefragen abstellen, beschränkt sich aber darauf, den Behörden eine Informationspflicht aufzuerlegen, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann.
Diese Bestimmung als solche untersagt es daher den Behörden nicht, die Öffentlichkeit zu informieren, wenn ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet, aber nicht gesundheitsschädlich ist.
Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu geben, hält der Gerichtshof auch die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 für angebracht, obwohl diese Bestimmung in den ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich erwähnt wird (vgl. insoweit u. a. Urteil vom 14. Oktober 2010, Fuß, C-243/09, Slg. 2010, I-9849, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002, der gemäß deren Art. 65 Abs. 2 ab dem 1. Januar 2005 gilt, betreiben die Mitgliedstaaten ein System amtlicher Kontrollen und führen andere den Umständen angemessene Maßnahmen durch, einschließlich der öffentlichen Bekanntgabe von Informationen über die Sicherheit und Risiken von Lebensmitteln.
Art. 7 der Verordnung Nr. 882/2004, der ab dem 1. Januar 2006 gilt, sieht u. a. vor, dass zum einen die Öffentlichkeit generell Zugang zu Informationen über die Kontrolltätigkeiten der zuständigen Behörden und ihre Wirksamkeit hat und dass zum anderen die zuständige Behörde entsprechende Schritte unternimmt, um sicherzustellen, dass die Angehörigen ihres Personals dazu angehalten sind, keine in Wahrnehmung ihrer amtlichen Kontrollaufgaben erworbenen Informationen weiterzugeben, die ihrer Art nach in hinreichend begründeten Fällen der Geheimhaltungspflicht unterliegen.
Art. 14 der Verordnung Nr. 178/2002, der gemäß deren Art. 65 Abs. 2 ab dem 1. Januar 2005 gilt, enthält die Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit. Nach seinem Abs. 2 gilt ein Lebensmittel, das für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, als „nicht sicher“.
Ein Lebensmittel genügt nämlich, soweit es für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel und damit auch ungeeignet ist, nicht den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit, wie sie aus Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 178/2002 hervorgehen, und kann jedenfalls die Verbraucherinteressen beeinträchtigen, deren Schutz gemäß Art. 5 dieser Verordnung zu den Zielen gehört, die mit dem Lebensmittelrecht verfolgt werden.
Demnach können die nationalen Behörden, wenn Lebensmittel, obwohl sie für die menschliche Gesundheit nicht schädlich sind, aufgrund ihrer Ungeeignetheit für den Verzehr durch den Menschen nicht den genannten Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit genügen, die Verbraucher, wie es in Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 vorgesehen ist, darüber informieren, wobei die Vorgaben des Art. 7 der Verordnung Nr. 882/2004 zu beachten sind.
Somit ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der eine Information der Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels und des Unternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht wurde, zulässig ist, wenn ein Lebensmittel zwar nicht gesundheitsschädlich, aber für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist. Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine solche Information der Öffentlichkeit durch die nationalen Behörden zulässig ist; dabei sind die Vorgaben des Art. 7 der Verordnung Nr. 882/2004 zu beachten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der eine Information der Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels und des Unternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht wurde, zulässig ist, wenn ein Lebensmittel zwar nicht gesundheitsschädlich, aber für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist. Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine solche Information der Öffentlichkeit durch die nationalen Behörden zulässig ist; dabei sind die Vorgaben des Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz zu beachten.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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