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BSG 12.01.2022 - B 1 KR 18/21 B
BSG 12.01.2022 - B 1 KR 18/21 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Krankenversicherung - Krankenbehandlung - Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden - Tatfrage - Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1a SGB 5 - Klärungsbedürftigkeit)
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 2 Abs 1a SGB 5
Vorinstanz
vorgehend SG Mainz, 8. Juni 2020, Az: S 14 KR 245/18
vorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 7. Januar 2021, Az: L 5 KR 134/20, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für und die Versorgung mit Apherese-Behandlungen.
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Die 1991 geborene Klägerin beantragte bei der beklagten Krankenkasse im Oktober 2017 die Übernahme der Kosten für die Durchführung therapeutischer Apherese-Behandlungen. Dem Antrag beigefügt waren eine Bescheinigung des Chefarztes S des I Center, Int. Apheresestation, C, sowie ein Kostenvoranschlag. Als Diagnosen gab S an: CFS (Chronic Fatigue Syndrom), MCS (Multiple-Chemical-Sensitivity-Syndrom), Lymphadenopathie, rheumatische Erkrankung, Störung der Blut-Hirn-Schranke, erhöhte systemische Inflammation im TNF-alpha-Hemmtest, sehr gut beeinflussbar, Selenmangel, Kupfermangel, Bleibelastung intrazellulär. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ab (Bescheid vom 22.11.2017; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2018). Mit ihrer auf Erstattung der bereits entstandenen und Übernahme der zukünftigen Kosten der Apherese-Behandlungen gerichteten Klage ist die Klägerin in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG unter Verweis auf die Entscheidung des SG ausgeführt: Die Voraussetzungen für einen Sachleistungsanspruch seien nicht erfüllt. Es handele sich bei der streitigen Apherese-Behandlung um eine neue Behandlungsmethode, für die eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliege. Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V seien nicht erfüllt. Die Klägerin leide nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. Das bei ihr vorliegende Krankheitsbild sei auch nicht mit einer solchen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar (Urteil vom 7.1.2021).
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Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
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Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
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Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfrage:
"Besteht bei einem Leiden an einer komplexen chronischen inflammatorischen Multisystemerkrankung mit progressiv lebenszerstörendem Charakter, die mit vom Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassenen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung nicht heilend oder lindern zu beeinflussen ist, ein Anspruch gegen den Träger der Krankenversicherung auf Behandlung mit einer therapeutischen Apherese im Wege des sog. 'Off-Label-Use'?"
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1. Hierbei handelt es sich nicht um eine der Grundsatzrevision zugängliche Rechtsfrage. Denn die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und den darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch ist regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung, sondern zielt auf die Klärung von Tatfragen ab, soweit die erfragte - generelle - Tatsache nicht ausnahmsweise selbst Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung ist (vgl BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 9; BSG vom 12.2.2014 - B 1 KR 30/13 B - juris RdNr 7; BSG vom 24.1.2017 - B 1 KR 92/16 B - juris RdNr 9, jeweils mwN). Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen. Überdies handelt es sich bei der von der Klägerin begehrten therapeutischen Apherese-Behandlung auch nicht um einen, den zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Arzneimittels kennzeichnenden "Off-Label-Use", sondern um eine Behandlungsmethode iS des § 135 SGB V, deren ambulante Durchführung, einschließlich der für die Behandlung in Betracht kommenden Indikationen, in Anlage I Nr 1 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses umfassend geregelt ist.
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2. Sollte die Frage mit Blick auf das weitere Vorbringen der Klägerin dahin zu verstehen sein, ob ein Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1a SGB V bei einer Erkrankung in Betracht kommt, bei der sich kein Zeitpunkt bestimmen lässt, an dem - ohne die begehrte Leistung - ein akuter Handlungsbedarf zur Lebenserhaltung besteht, hätte die Klägerin sowohl die Klärungsbedürftigkeit als auch die Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage nicht hinreichend dargelegt.
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a) Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
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Nach § 2 Abs 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BSG hat hierzu entschieden, dass das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung voraussetzt, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach den konkreten Umständen des Falles verwirklichen wird (vgl BSG vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - SozR 4-2500 § 2 Nr 12 Leitsatz und RdNr 21 mwN, auch zur Rspr des BVerfG; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 21). Die Einbeziehung wertungsmäßig vergleichbarer Erkrankungen bezieht sich allein auf Schwere und das Ausmaß der aus der Erkrankung folgenden Beeinträchtigung, indem der Gefahr des Todes der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gleichgestellt wird. Sie ermöglicht dagegen keine Reduzierung der Anforderungen an den die individuelle Notlage kennzeichnenden erheblichen Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf (BSG vom 19.3.2020, aaO, RdNr 23). Die Klägerin gibt diese Rechtsprechung zwar wieder, zeigt aber einen weitergehenden Klärungsbedarf nicht auf.
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Sofern sie geltend macht, die individuelle Notlage und der akute Handlungsbedarf mit dem damit verbundenen Zeitdruck stellten sich bei einer komplexen chronischen entzündlichen Multisystemerkrankung mit progressiv lebenszerstörendem Charakter anders dar, als in dem der Entscheidung des Senats vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - zugrunde liegenden Fall, weil sich bei einer solchen Systemerkrankung kein Zeitpunkt bestimmen lasse, an dem - ohne die fragliche Leistung - ein akuter Handlungsbedarf zur Lebenserhaltung bestehe, und soweit sie meint, die individuelle Notlage und der erhebliche Zeitdruck bestünden auch dann, wenn ein drohender Tod nicht konkret absehbar sei, tritt sie der vorgenannten Rechtsprechung des BSG im Ergebnis lediglich entgegen und fordert eine Absenkung der danach erforderlichen Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1a SGB V, ohne eine erneute Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen.
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Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. Weder zeigt die Klägerin auf, dass der Rechtsprechung des BSG in nicht geringfügigem Umfang widersprochen worden wäre, noch bringt sie hiergegen neue erhebliche Gesichtspunkte vor. Dies gilt umso mehr, als in dem der Entscheidung des Senats vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - zugrunde liegenden Fall das LSG die Annahme einer notstandsähnlichen Situation maßgeblich darauf gestützt hatte, dass der Zustand des Versicherten unter Fortführung der bisherigen Behandlung jederzeit in einen sich rasant entwickelnden und deshalb mit einiger Wahrscheinlichkeit unumkehrbaren und im Ergebnis tödlichen Prozess hätte umschlagen können (aaO juris RdNr 23 f; siehe ferner BSG vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - SozR 4-2500 § 2 Nr 12 RdNr 25).
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b) Die Klägerin zeigt im Übrigen auch die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht auf. Dazu wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Wie das Vorliegen grundsätzlicher Bedeutung insgesamt, ist dies auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen. Auch Darlegungen zur Klärungsfähigkeit müssen sich also auf die Tatsachen beziehen, die das LSG im angegriffenen Urteil mit Bindungswirkung für das BSG (§ 163 SGG) festgestellt hat (vgl BSG vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 10 mwN). Dem wird die Klägerin nicht gerecht.
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Die Klägerin behauptet, "Unstreitig" leide sie "unter einer komplexen chronischen inflammatorischen Multisystemerkrankung mit progressiv lebenszerstörendem Charakter". Sie zitiert hierzu aus dem Bericht des behandelnden Arztes S, ohne aufzuzeigen, dass das LSG in der angegriffenen Entscheidung oder das SG in der vom LSG in Bezug genommenen Entscheidung selbst eine entsprechende Feststellung, insbesondere zu einem "progressiv lebenszerstörenden Charakter" der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung getroffen hat.
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Überdies ist die ambulante Durchführung von Apheresen, einschließlich der für die Behandlung in Betracht kommenden Indikationen, in Anlage I Nr 1 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses umfassend geregelt. Inwiefern daneben noch Raum für einen Leistungsanspruch auf der Grundlage des § 2 Abs 1a SGB V verbleibt oder die vorgenannte Richtlinie gegen höherrangiges Recht verstoßen sollte, legt die Klägerin nicht unter Auseinandersetzung mit der insofern einschlägigen Rechtsprechung des BSG dar (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 24).
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3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Schlegel
Scholz
Dr. Bockholdt ist an der Unterschrift verhindert.
Schlegel
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