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BSG 01.12.2016 - B 9 SB 25/16 B
BSG 01.12.2016 - B 9 SB 25/16 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - unterbliebene Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids - keine Fortwirkung des Mangels in der Berufungsinstanz - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - keine stillschweigende Gewährung - Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten - keine vollständige Kompensation durch zivilrechtliche Haftungsklage
Normen
§ 160a Abs 2 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 73 Abs 6 S 7 SGG, § 87 SGG, § 105 Abs 1 S 2 SGG, § 85 Abs 2 ZPO, § 611 BGB
Vorinstanz
vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 26. März 2015, Az: S 8 SB 289/13, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht für das Saarland, 4. März 2016, Az: L 5 SB 14/15, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 4. März 2016 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. In der Hauptsache ist die Aberkennung der Voraussetzungen für Merkzeichen H im Streit. Bei der 1987 geborenen und von Geburt an hörgeschädigten Klägerin waren zunächst ein Grad der Behinderung von 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen H, G und B sowie RF festgestellt (Bescheide vom 10.4.1989 und 5.5.1994). Später wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen für G und B aberkannt (Bescheid vom 13.10.2005), nach Ausbildung und Anschlussbeschäftigung der Klägerin bei E. entzog der Beklagte auch Merkzeichen H (Bescheid vom 4.10.2012). Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6.3.2013, lt Aktenvermerk und Bildschirmausdruck abgesandt am 7.3.2013). Das SG hat die am 15.4.2013 eingegangene und mit einem Wiedereinsetzungsgesuch verbundene Klage nach HNO-ärztlicher Begutachtung mangels Hilfebedarfs abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.3.2015). Das LSG hat die Berufung demgegenüber wegen Versäumung der Klagefrist zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, der Klägervertreter habe einen Zugang des Widerspruchsbescheids nach dem 10.3.2013 nicht substantiiert behauptet, und eine Wiedereinsetzung mangels unverschuldeter Fristversäumnis durch den Klägervertreter abgelehnt. Davon abgesehen sei die Klage aller Voraussicht nach auch unbegründet. Denn das Kommunikationsdefizit vor Spracherwerb Ertaubter begründe Hilflosigkeit regelmäßig nur bis zum Ablauf einer ersten Berufsausbildung und anschließenden nur noch in - hier nicht ersichtlichen - Ausnahmefällen (Urteil vom 4.3.2016).
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Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG (zugestellt am 14.3.2016) und rügt Verfahrensfehler. Die Beschwerdebegründung ist am 19.5.2016 beim BSG eingegangen, nachdem der Klägervertreter per Mail vom 17.5.2016 um 23.42 Uhr und am 18.5.2016 erneut per Fax Fristverlängerung beantragt hatte.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt unbeschadet einer Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist (§ 160a Abs 2 S 1 SGG) nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
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a) Die Klägerin führt zunächst an, es sei entgegen den Feststellungen des LSG nicht unstreitig, dass der Widerspruchsbescheid ausweislich eines Vermerks in den Akten am 7.3.2013 abgesandt worden sei. Auch ein zu den Akten gereichter Bildschirmausdruck sei kaum zu entziffern und im Hinblick auf den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid angesichts der verwendeten Kürzel auch kaum zu identifizieren gewesen. Die dortigen Kürzel seien wenig aussagekräftig und ließen Raum für die Möglichkeit, dass der Widerspruchsbescheid erst am 8.3. oder 11.3.2013 auf den Postweg gebracht sein könne mit der Folge, dass keine Fristversäumnis gegeben sei. Die fragliche Absendung sei durch Einholen einer Auskunft bei der Deutschen Post unter Beweis gestellt.
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Die damit verbundene Sachaufklärungsrüge (§ 103 SGG) hat die Klägerin nicht ausreichend angebracht. Ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Denn nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 letzter Teils SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31 S 52). Wird ein Rechtsstreit - wie hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f). Die Klägerin verdeutlicht schon nicht, ob und wann ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt wurde, der die nötige Warnfunktion entfalten konnte, um dem LSG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen vor Augen zu führen.
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b) Die Klägerin rügt zudem, das LSG habe verfahrensfehlerhaft eine Prozessentscheidung anstelle einer Sachentscheidung getroffen, indem es die Klagefrist als versäumt angesehen habe (vgl hierzu BSG SozR 3-1750 § 418 Nr 1). Soweit die Klägerin anführt, das LSG habe die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Klagefrist abgelehnt (§ 67 SGG iVm § 87 SGG), obwohl das Verschulden des Prozessbevollmächtigten als gering anzusehen sei, setzt sie sich nicht damit auseinander, ob und inwieweit eine solche Differenzierung bei einem Maßstab, der auf Schuldlosigkeit abstellt (vgl § 67 SGG), überhaupt rechtserheblich sein könnte. Soweit sie in diesem Kontext zudem den Standpunkt einnimmt, das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten sei ihr nicht zuzurechnen, weil der Verlust der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H durch eine zivilrechtliche Haftungsklage nicht (vollständig) kompensiert werden könne, hätte sie allerdings anführen müssen, welche Rechtsgrundlage entgegen § 73 Abs 6 S 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO hierfür streiten könnte. Daran fehlt es.
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Der Vortrag der Klägerin, das SG habe Wiedereinsetzung nach § 67 SGG stillschweigend gewährt, das LSG dementsprechend verfahrensfehlerhaft eine verbindliche Entscheidung des SG geändert, geht ebenfalls fehl. Die Beschwerdebegründung versäumt insoweit bereits jegliche Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen und vom LSG auch zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stillschweigend, sondern nur durch eine eindeutig verlautbarte Entscheidung gewährt werden kann (BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 4). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Aufklärungsrüge (§ 103 SGG) anbringt, bleibt deshalb auch offen, wieso sich das LSG hätte gedrängt sehen müssen, die "Vorderrichterin" hierzu zu vernehmen.
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c) Die Klägerin behauptet des Weiteren als verfahrensfehlerhaft, dass das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entschieden habe, ohne die beantragte persönliche Anhörung der Klägerin durchzuführen. Um einen Verfahrensmangel geltend machen zu können, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann, hätte sich die Beschwerdebegründung indessen näher damit auseinandersetzen müssen, wieso der Verfahrensfehler des SG in der Berufungsinstanz fortgewirkt haben könnte. Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ist ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. Daher kann ein - etwaiger - Verfahrensmangel des SG die Zulassung nur ausnahmsweise rechtfertigen, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist (vgl BSG Beschluss vom 20.5.2015 - B 13 R 74/16 B). Hierzu fehlt schlüssiger Vortrag der Klägerin. Daran ändert auch der Hinweis auf die angeblich verfahrensfehlerhaft unterbliebene Zurückverweisung an das SG nichts. Denn auch hierzu führt die Beschwerdebegründung nicht aus, ob und inwieweit die Voraussetzungen des § 159 SGG, die das LSG zur Zurückverweisung ermächtigen könnten, überhaupt gegeben sein könnten.
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2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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