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BSG 31.07.2012 - B 13 R 179/12 B
BSG 31.07.2012 - B 13 R 179/12 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - Entscheidung über eine Berufung durch Beschluss - Anhörungsmitteilung - Änderung der Prozesssituation - Erfordernis erneuter Anhörungsmitteilung
Normen
§ 62 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 12. Oktober 2011, Az: S 8 R 1379/09
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 28. März 2012, Az: L 2 R 5223/11, Beschluss
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. März 2012 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Mit Beschluss vom 28.3.2012 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auch für die Zeit vom 1.1.2001 bis 31.7.2009 verneint, nachdem die Beklagte nach Durchführung eines Erörterungstermins durch den Berichterstatter am 25.1.2012 mit Bescheid vom 24.2.2012 der Klägerin ab 1.8.2009 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt und die Klägerin dieses Teilanerkenntnis angenommen hatte.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt ausschließlich Verfahrensfehler.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 3.7.2012 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der ausschließlich geltend gemachte Revisionszulassungsgrund des Vorliegens eines Verfahrensmangels iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
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Die Klägerin rügt, das LSG habe verfahrensfehlerhaft im vereinfachten Verfahren nach § 153 Abs 4 SGG entschieden. Nach dem Anhörungsschreiben vom 1.3.2012 habe sie mit Schriftsatz vom 21.3.2012 mitgeteilt, dass die Ärzte Dres. R. und R. angeschrieben und um Klärung der nach dem Erörterungstermin vom 25.1.2012 noch "offenen Fragen" gebeten worden seien. Deshalb habe sie gebeten, deren Antworten abzuwarten. Vor diesem Hintergrund hätte eine erneute schriftliche Anhörung durch das LSG vor einer Entscheidung im Beschlussverfahren erfolgen müssen. Zudem habe das Anhörungsschreiben vom 1.3.2012 nicht den inhaltlichen Anforderungen einer Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG entsprochen. Denn es fehlten Angaben darüber, weshalb das LSG den Sachverhalt für geklärt und aus welchem Grund es einen rechtlich schwierigen Fall verneint habe. Vorliegend sei das Verfahren äußerst komplex gewesen. Es seien unterschiedliche medizinische Meinungen und Gutachten eingeholt worden. Auch hätten die Aussagen bzw Antworten der vorgenannten Ärzte noch ausgestanden.
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Dieses Vorbringen kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
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Die Klägerin hat nicht hinreichend dargelegt, dass das LSG ihr Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62, § 153 Abs 4 S 2 SGG) dadurch verletzt habe, dass es, ohne sie erneut anzuhören, durch Beschluss entschieden habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Dies muss aber nicht notwendig in einer mündlichen Verhandlung geschehen; dem Anhörungsgebot kann grundsätzlich auch anders, zB in einem schriftlichen Verfahren, entsprochen werden (BSG vom 15.10.2001 - B 2 U 217/01 B - Juris RdNr 3 mwN).
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Das LSG hat hier von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs 4 S 1 SGG). Dem Recht des Berufungsklägers auf rechtliches Gehör wird in S 2 der Vorschrift dadurch Rechnung getragen, dass die Beteiligten vorher zu hören sind. Dies ist hier aber nach dem Vortrag der Klägerin durch die Anhörungsmitteilung vom 1.3.2012 in hinreichendem Maße geschehen. Denn das LSG hat mit diesem Schreiben der Klägerin unmissverständlich seine Absicht mitgeteilt, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu ihren Ungunsten zu entscheiden, weil es die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Ferner ist ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Weitergehende Anforderungen an den Inhalt einer Anhörungsmitteilung verlangt § 153 Abs 4 S 2 SGG nicht (vgl BSG vom 16.3.1994 - 9 BV 151/93 - Juris RdNr 3; BSG vom 22.4.1998 - SozR 3-1500 § 153 Nr 7 S 19; Senatsbeschluss vom 25.11.1999 - B 13 RJ 25/99 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 9 S 27; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 19; Littmann in Lüdtke, SGG, 4. Aufl 2012, § 153 RdNr 42; Knecht in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2008, § 153 RdNr 25; vgl ähnlich zur gleichlautenden Regelung des § 130a iVm § 125 Abs 2 S 3 VwGO: zB BVerwG vom 21.12.1993 - NVwZ-RR 1994, 362; BVerwG vom 21.3.2000 - BVerwGE 111, 69, 73 f; BVerwG vom 17.7.2003 - 1 B 140/03 - Juris RdNr 2, wonach eine ordnungsgemäße Anhörung im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO voraussetzt, dass die gerichtliche Anhörungsmitteilung unmissverständlich erkennen lässt, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt). Denn die Anhörung dient insbesondere dem Zweck, dass der Berufungskläger gegen eine Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren (sachdienliche) Einwände erheben kann, denen sich das LSG dann möglicherweise auch anschließt (vgl BSG vom 21.6.2001 - SozR 3-1500 § 153 Nr 14 S 45). Auch gibt es keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, und zwar weder in einer mündlichen Verhandlung noch in der einem Beschluss gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG zwingend vorgeschriebenen vorangehenden Anhörungsmitteilung (BSG vom 13.10.1993 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3).
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Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung auch nicht hinreichend dargelegt, dass das LSG nach § 153 Abs 4 S 2 SGG verpflichtet war, sie ein weiteres Mal anzuhören. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (vgl BSG vom 17.9.1997 - SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12; Senatsbeschluss vom 20.10.2010 - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13; BSG vom 25.11.2011 - B 12 KR 81/10 B - RdNr 8; BSG vom 29.5.2012 - B 1 KR 6/12 B - Juris RdNr 7). Das LSG muss den Beteiligten dann vor der Beschlussfassung erneut Gelegenheit zur Stellungnahme geben und sie darauf hinweisen, dass das Gericht dem neuen Vorbringen, insbesondere Beweisanträgen, nicht zu folgen beabsichtigt, sondern am Verfahren nach § 153 Abs 4 S 1 SGG festhält (vgl Senatsbeschluss vom 20.11.2003 - SozR 4-1500 § 153 Nr 1 RdNr 6-7; BSG vom 25.11.2011 aaO).
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Die Beschwerdebegründung der Klägerin enthält keine hinreichenden Ausführungen darüber, dass sich die Prozesslage mit dem Eingang ihres Schriftsatzes vom 21.3.2012 wesentlich geändert hat. Insbesondere fehlen jegliche Darlegungen darüber, welche entscheidungserheblichen "offenen Fragen" durch die vorgenannten ärztlichen Auskünfte noch geklärt werden sollten, um das Berufungsgericht von der beabsichtigen Verfahrensweise, im vereinfachten Beschlussverfahren zu entscheiden, abzuhalten. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin weiterhin vorträgt, sie habe mit einem weiteren Schriftsatz (vom 22.3.2012) ein Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen, ohne im Einzelnen darzulegen, was nach diesem Geschehen noch Streitgegenstand war und dass sich die "offenen Fragen" hierauf bezogen.
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Sofern die Klägerin grundsätzlich meint, das LSG hätte nicht gemäß § 154 Abs 4 S 1 SGG über die Berufung durch Beschluss entscheiden dürfen und sie darin ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sieht, hat sie einen Verfahrensfehler ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet.
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Das LSG "kann" die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 154 Abs 4 S 1 SGG). Die Entscheidung des Berufungsgerichts, bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Diese Entscheidung kann vom BSG nur darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung, eine mündliche Verhandlung nicht durchzuführen, sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zu Grunde liegen (BSG vom 13.10.1993 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG vom 2.5.2001 - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38; BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 13/02 B - Juris RdNr 8; Senatsbeschluss vom 27.12.2011 - B 13 R 253/11 B - Juris RdNr 12; BSG vom 27.3.2012 - B 5 R 468/11 B - BeckRS 2012, 69182 RdNr 10; BSG vom 24.5.2012 - B 9 SB 14/11 B - BeckRS 2012, 70689, RdNr 9, stRspr). Bei der Prüfung der Ermessensentscheidung sind grundsätzlich auch die Fragen eingeschlossen, ob das Berufungsgericht die Schwierigkeit des Falles sowie die Bedeutung von Tatsachenfragen berücksichtigt und insoweit die Anforderungen von Art 6 Abs 1 EMRK beachtet hat (vgl BSG vom 13.10.1993 aaO; Senatsbeschluss vom 30.7.2009 - B 13 R 187/09 B - Juris RdNr 6).
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Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht, dass das LSG mit seiner Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren nach den vorgenannten Maßstäben ermessensfehlerhaft vorgegangen wäre. Hierzu hätte dargelegt werden müssen, dass das Berufungsgericht, ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung, die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen falsch eingeschätzt habe. Allein die bloße Behauptung, das Verfahren sei "äußerst komplex", reicht hierfür ebenso wenig aus wie der schlichte Hinweis, dass unterschiedliche medizinische Meinungen und Gutachten eingeholt worden seien, ohne diese näher darzustellen und aufzuzeigen, welche Schlussfolgerungen das LSG hieraus gezogen hat. Entsprechendes gilt für den Verweis auf die noch ausstehenden Antworten der Ärzte Dres. R. und R. Denn die Klägerin hat - wie oben bereits ausgeführt - nicht dargelegt, welche "offenen Fragen" durch die ärztlichen Auskünfte noch geklärt werden sollten, um das Berufungsgericht zu veranlassen, von der vorgesehenen Verfahrensweise Abstand zu nehmen oder die Vorlage der entsprechenden ärztlichen Auskünfte abzuwarten. Schließlich kann auch der Hinweis der Klägerin auf die aus Art 6 Abs 1 EMRK folgende Pflicht ua auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung in ihrem Fall den Vorwurf eines Verfahrensfehlers nicht begründen. Denn das LSG hatte am 25.1.2012 durch den zuständigen Berichterstatter (§ 155 SGG) einen Erörterungstermin durchgeführt. Damit aber hatten die Klägerin und ihre damaligen Prozessbevollmächtigten Gelegenheit, ihren Standpunkt - auch entscheidungsnah - mündlich vorzutragen.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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