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BFH 05.06.2024 - I B 52/22
BFH 05.06.2024 - I B 52/22 - Unerreichbarkeit eines Auslandszeugen
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 10. Mai 2022, Az: 8 K 1851/18, Urteil
Leitsatz
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NV: Behauptet derjenige Beteiligte, der nach Auffassung des Gerichts einen im Ausland ansässigen Zeugen zu stellen hat, dessen Unerreichbarkeit, hat das Gericht den daran von der Gegenseite geäußerten substantiierten Zweifeln nachzugehen.
Tenor
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Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 10.05.2022 - 8 K 1851/18 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) gründete am ….2010 zusammen mit A (Beigeladener zu 1.) die B GbR (Beigeladene zu 2.). Beide Gesellschafter wohnten im Streitjahr (2010) im Inland.
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Die Beigeladene zu 2. beteiligte sich am ….2010 an der neu errichteten C-Ltd., einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Großbritannien. Zum Geschäftsführer der C-Ltd. wurde der in X (Großbritannien) wohnhafte D bestellt, der zunächst von E als "Asset Manager" unterstützt wurde.
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Am ….2010 errichteten die Beigeladene zu 2. und die C-Ltd. die F-Partnership, eine Personengesellschaft britischen Rechts, deren Geschäfte von der C-Ltd. geführt werden sollten. Unternehmensgegenstand der F-Partnership sollte der Handel mit Gold, Edelmetallen und anderen Metallen in physischer und derivater Form sowie mit Wertpapieren sein.
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Am ….2010 erwarb die F-Partnership 60 einzeln bezeichnete, bei einer Bank in der Schweiz verwahrte Goldbarren für … € und veräußerte diese wieder in mehreren Tranchen im Januar und Februar 2011 für insgesamt … €. Im März 2011 erwarb die F-Partnership nochmals drei Goldbarren, die sie im August 2011 wieder veräußerte. Ab April 2011 handelte die F-Partnership mit Gold, Silber, Platin und Palladium ausschließlich noch in Unzen zu Fixpreisen (von den Beteiligten und dem Finanzgericht [FG] als "FX-Geschäfte" bezeichnet).
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Die Beigeladene zu 2. ermittelte als Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben und errechnete auf diese Weise für das Streitjahr aus der Beteiligung an der F-Partnership (basierend auf der Einnahmen-Überschuss-Rechnung der F-Partnership) einen Verlust von ./. … €. Gegenüber dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) erklärte sie für 2010 --nach dem mit Großbritannien seinerzeit bestehenden Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) von der Bemessungsgrundlage auszunehmende, dem (negativen) Progressionsvorbehalt unterliegende-- Einkünfte aus Gewerbebetrieb von ./. … €. Das FA lehnte es mit Bescheid vom 12.07.2012 ab, für die Beigeladene zu 2. eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vorzunehmen, weil diese weder selbst gewerblich tätig gewesen sei noch über die Beteiligung an der F-Partnership gewerbliche Einkünfte erzielt habe; beide Gesellschaften seien nur vermögensverwaltend tätig gewesen.
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Nachdem das FA über den gegen den Bescheid vom 12.07.2012 erhobenen Einspruch nicht entschieden hat, erhob der Kläger Untätigkeitsklage, der das Sächsische FG mit Urteil vom 10.05.2022 - 8 K 1851/18 stattgegeben hat. Das FG hat das FA verpflichtet, einen Bescheid für 2010 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Beigeladene zu 2. zu erlassen, in dem nach DBA steuerfreie, im Inland dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. … € festgestellt und dem Kläger anteilig zu 8/808 zugerechnet werden.
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Das FA beantragt mit seiner Beschwerde, die Revision gegen das FG-Urteil zuzulassen.
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Der Kläger beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt wegen Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
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1. Soweit das FA als Verfahrensmangel eine unwirksame Zustellung des Beiladungsbeschlusses und der Ladung zur mündlichen Verhandlung an den Beigeladenen zu 1. unter der Adresse … (Inland) behauptet, weil der Beigeladene im Jahr 2019 in die Schweiz verzogen sei, bleibt es damit allerdings ohne Erfolg. Auch wenn der Beigeladene zu 1. seinen Hauptwohnsitz in die Schweiz verlegt haben mag, hat er offenbar einen Wohnsitz oder zumindest eine für Zustellungen an ihn geeignete Adresse im Inland beibehalten und die Schriftstücke haben ihn --wie der Kläger in der Beschwerdeerwiderung unwidersprochen dargelegt hat-- auch tatsächlich erreicht.
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2. Von den seitens des FA des Weiteren geltend gemachten Verfahrensmängeln liegt jedenfalls derjenige der unberechtigten Ablehnung eines Beweisantrags vor (Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht, § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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a) Zwischen den Beteiligten war unter anderem die vom FG später bejahte Frage im Streit, ob die von der F-Partnership erzielten Einkünfte --wenn es sich denn um gewerbliche Einkünfte handeln würde-- einer in Großbritannien belegenen Betriebsstätte der F-Partnership zuzuordnen wären. So hatte das FA bezweifelt, dass D die Büroräumlichkeiten in X zur ständigen Nutzung für die F-Partnership zur Verfügung gestanden haben. Außerdem hat das FA vorgetragen, nicht D, sondern der Beigeladene zu 1. habe die tatsächliche Geschäftsleitung der F-Partnership von der Bundesrepublik Deutschland aus innegehabt; zum Beweis hat sich das FA auf das Zeugnis des D berufen (Schriftsatz des FA vom 28.02.2022). Das FG hat sodann am 19.04.2022 beschlossen, Beweis zu erheben "über das tatsächliche Tätigwerden des als Managing Director der F-Partnership angestellten Herrn D im Dezember 2010 und Anfang 2011" durch Vernehmung des D als Zeuge. Der Zeuge wurde über die Prozessbevollmächtigten des Klägers zu der auf den 10.05.2022 terminierten mündlichen Verhandlung geladen. Die Bevollmächtigten des Klägers teilten dem FG am 04.05.2022 jedoch mit, der derzeitige Aufenthaltsort des D sei sowohl ihnen als auch dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. nicht bekannt und könne mangels Kontaktmöglichkeiten nicht in Erfahrung gebracht werden. Mit Schriftsatz vom 06.05.2022 gab das FA die Anschrift einer britischen Gesellschaft (G-Ltd.) bekannt, als deren Director D momentan tätig sei. Das FA habe dies aufgrund eigener Recherchen aus den zugänglichen Datenbanken ermittelt. Zwecks Klärung, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausreichend Sorge für das Erscheinen des Zeugen getragen und damit seiner Beweismittelbeschaffungspflicht gerecht geworden sei, werde um Terminsverlegung gebeten. Nachdem das FG dem Terminsverlegungsersuchen nicht stattgegeben hatte, wiederholte das FA in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag und benannte erneut die Anschrift der G-Ltd.
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b) Das FG ist dem Beweisantrag des FA ungeachtet dessen Wiederholung in der mündlichen Verhandlung nicht nachgegangen und hat am 10.05.2022 lediglich die vom Kläger gestellten Zeugen H und I vernommen. Den Verzicht auf die Vernehmung des Zeugen D hat das FG in dem angefochtenen Urteil damit begründet, es sei völlig ungewiss, ob D über die vom FA gefundene Anschrift erreichbar sei und auch bereit wäre, in dessen Sinne Angaben zu machen. Hinzu komme, dass das FA nicht eine Tatsache genannt habe, für die Beweis durch Vernehmung des D als Zeuge angetreten werden solle. Die vom FA aufgeworfenen Fragen ergäben sich eindeutig aus den Unterlagen, den Angaben des Klägers und dem vom FA vorgelegten E-Mail-Verkehr. Außerdem hätten die Zeugen H und I zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass D Verfügungsmacht über das Büro in X gehabt habe.
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c) Die Ablehnung des Beweisantrags des FA, ohne zumindest den Versuch unternommen zu haben, den Zeugen D über die vom FA ermittelte Adresse selbst zu laden oder dem darlegungs- und beweisverpflichteten Beteiligten aufgegeben zu haben, den Zeugen zur Vernehmung stellen zu lassen, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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Das Gericht darf substantiierte Beweisanträge, die einen entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 07.08.2001 - III B 67/00, BFH/NV 2002, 45). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (BFH-Beschluss vom 17.11.2009 - VI B 11/09, BFH/NV 2010, 650). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.
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Der Beweisantrag des FA war hinreichend substantiiert, was sich auch schon daraus ersehen lässt, dass das FG selbst zuvor bereits einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hatte. Das FA hatte in dem Schriftsatz vom 28.02.2022 konkrete Umstände dargelegt, aus denen sich eine Funktion des D lediglich als "Strohmann" ergeben könnte, während das Tagesgeschäft der F-Partnership tatsächlich und maßgeblich vom Beigeladenen zu 1. geleitet worden sei. Hierzu hätte D als Zeuge ebenso gehört werden können wie zur Frage der Verfügungsmacht über das Büro in X. D war für die Aufklärung dieser beiden Komplexe eine zentrale Person, die zu den vom FG als entscheidungserheblich angesehenen Sachverhalten in näherer Beziehung stand als die beiden vom FG vernommenen Zeugen H und I.
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Mit nicht tragfähiger Begründung hat das FG den Zeugen D als "für das Gericht nicht erreichbar" angesehen. Der Umstand, dass das FA aufgrund einer Datenbankrecherche die Adresse eines Unternehmens ermittelt hat, als deren Geschäftsführer der Zeuge angegeben war, hätte für das FG Anlass sein müssen, die Bemühungen des von ihm als darlegungs- und feststellungsbelasteten angesehenen Klägers hinsichtlich der Stellung des Auslandszeugen zu überprüfen. Mit der schlichten Übernahme des Klägervorbringens hinsichtlich der angeblichen Unerreichbarkeit des Zeugen, ohne dem gegenteiligen Hinweis des FA auch nur ansatzweise nachzugehen, ist das FG seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung nicht ausreichend nachgekommen.
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3. Aufgrund des beschriebenen Verfahrensmangels macht der Senat von der in § 116 Abs. 6 FGO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde an das FG zurückzuverweisen. Eine Zurückverweisung erscheint auch deshalb angebracht, weil in einem Revisionsverfahren der Rechtsstreit voraussichtlich noch aus einem anderen Grund zurückverwiesen werden müsste. Das FG ist im Hinblick auf die als "FX-Geschäfte" bezeichneten Handelsaktivitäten der F-Partnership zu dem Ergebnis gekommen, diese seien im Hinblick auf die vom BFH mit Urteil vom 19.01.2017 - IV R 50/14 (BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456) entwickelten Kriterien zur Gewerblichkeit des Goldhandels mit dem Handel von physischem Gold gleichzustellen. Es fehlen jedoch im angefochtenen Urteil konkrete Feststellungen zur zivilrechtlichen Struktur und zu den Abwicklungsusancen dieser Geschäfte, sodass die Beurteilung des FG anhand der getroffenen Feststellungen nicht nachvollzogen werden kann.
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4. Einer Befassung mit den weiteren vom FA geltend gemachten Zulassungsgründen bedarf es angesichts des Verfahrensstands nicht.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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