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BFH 18.06.2015 - VI R 31/14
BFH 18.06.2015 - VI R 31/14 - Außergewöhnliche Belastungen bei Unterbringung einer Jugendlichen in einer Einrichtung der Jugendhilfe
Normen
§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 S 1 EStG 2009, § 64 Abs 1 Nr 1 EStDV 2000 vom 01.11.2011, § 64 Abs 1 Nr 2 S 1 Buchst c EStDV 2000 vom 01.11.2011, § 64 Abs 1 Nr 2 S 2 EStDV 2000 vom 01.11.2011, § 84 Abs 3f EStDV 2000 vom 01.11.2011, § 2 SGB 5, § 23 SGB 5, § 31 SGB 5, § 32 SGB 5, § 33 SGB 5, § 275 SGB 5, § 35a Abs 1a S 2 SGB 8, § 91 SGB 8, § 91ff SGB 8, Art 2 Abs 1 SGB 9, EStG VZ 2009, EStG VZ 2010, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 27. November 2013, Az: 7 K 69/12, Urteil
nachgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 18. Mai 2017, Az: 7 K 240/15, Beschluss
Leitsatz
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1. Für den Begriff der "Behinderung" i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV ist auf § 2 Abs. 1 SGB IX abzustellen. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist .
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2. Ob im Einzelfall eine Behinderung i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX vorliegt, hat das FG aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen .
Tenor
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Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 27. November 2013 7 K 69/12 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob Aufwendungen für die vollstationäre Unterbringung einer Jugendlichen in einer Einrichtung der Jugendhilfe als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbar sind.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 2009 und 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Die im Jahr 1994 geborene Tochter A der Kläger litt seit längerem an einer einfachen Störung der Konzentration und Aufmerksamkeit (F90.0, Liste der Internationalen Klassifikation der Krankheiten --ICD-10--) sowie an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8, ICD-10; vgl. Befundbericht des Kinderhospitals X vom 16. Oktober 2007 sowie jugendpsychiatrischer Befundbericht der Y Jugendklinik vom 17. April 2009). A befand sich Ende 2006 in jugendpsychiatrischer Behandlung. Nachdem es im häuslichen Bereich aufgrund aggressiven Verhaltens von A zu massiven Schwierigkeiten gekommen war, erfolgte in der Zeit von März 2007 bis Juni 2007 eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung. Eine weitere stationäre jugendpsychiatrische Beobachtung und Behandlung fand von November 2008 bis Januar 2009 statt. Seit Januar 2009 war die Tochter in einer betreuten Mädchenwohngruppe untergebracht. Der Landkreis gewährte vollstationäre Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) durch Übernahme der Jugendhilfekosten. Nach Überprüfung der Einkommensverhältnisse der Kläger setzte der Landkreis einen Kostenbeitrag gemäß §§ 91 ff. SGB VIII für das Jahr 2009 in Höhe von 7.151,52 € und für das Jahr 2010 in Höhe von 7.842 € fest.
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Mit ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragten die Kläger, den vom Landkreis festgesetzten Kostenbeitrag als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 EStG anzuerkennen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte diese Aufwendungen nicht. Die Einsprüche der Kläger wies das FA zurück, weil ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten nicht vorgelegt worden sei.
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Mit der hiergegen gerichteten Klage begehrten die Kläger die Berücksichtigung ihrer Aufwendungen nach Abzug einer Haushaltsersparnis in Höhe von 5.183,52 € (2009) bzw. 5.874 € (2010) als außergewöhnliche Belastungen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
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Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragen,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 27. November 2013 7 K 69/12 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2009 und 2010 i.d.F. der Einspruchsentscheidungen vom 16. März 2012 dahingehend abzuändern, dass für 2009 außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 5.183,52 € und für 2010 in Höhe von 5.874 € einkommensmindernd berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Nach den Feststellungen des FG kann nicht abschließend entschieden werden, ob die Tochter der Kläger vor Beginn der fraglichen Heilmaßnahme an einer "anderen Behinderung" i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) litt.
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1. Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).
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a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung-- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).
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b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227). Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind (Senatsurteil vom 19. April 2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577).
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c) Die Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch --SGB V--) hat der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV (vgl. Senatsurteile vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458, und vom 26. Februar 2014 VI R 27/13, BFHE 245, 18, BStBl II 2014, 824) ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV).
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d) Nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV ist solch ein qualifizierter Nachweis auch bei krankheitsbedingten Aufwendungen für eine medizinisch erforderliche auswärtige Unterbringung eines an Legasthenie oder einer anderen Behinderung leidenden Kindes des Steuerpflichtigen zu erbringen.
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e) Die in § 84 Abs. 3f EStDV angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV auf alle Fälle, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (Senatsurteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577), begegnet vorliegend auch für das Streitjahr 2010 keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die in § 84 Abs. 3f EStDV angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV verfassungsrechtlich unbedenklich, da es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt ist, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach, wie es vorliegend der Fall war (Senatsurteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577). Zwar hat der erkennende Senat ausdrücklich offen gelassen, ob und inwieweit anderes für die Zeit nach dem Ergehen der Urteile des BFH vom 11. November 2010 (Senatsurteile VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966, und VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969) bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss am 1. November 2011 bzw. der Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 am 4. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) oder jedenfalls bis zur entsprechenden Gesetzesinitiative --hier der Prüfbitte des Bundesrates vom 18. März 2011-- gilt (Senatsurteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577). Darauf kommt es im Streitfall --obwohl hier zumindest auch der Veranlagungszeitraum 2010 betroffen ist-- jedoch nicht an. Denn ein Verzicht auf die Einholung eines amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens im Vertrauen auf die geänderte Rechtsprechung des erkennenden Senats vom 11. November 2010 (Senatsurteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966, und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969) kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die Tochter der Kläger bereits seit Januar 2009 in der betreuten Mädchenwohngruppe untergebracht war. Zu diesem Zeitpunkt entsprach es sowohl der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602) als auch der Verwaltungspraxis (R 33.4 der Einkommensteuer-Richtlinien 2008), dass im Falle einer auswärtigen Unterbringung eines verhaltensauffälligen Jugendlichen in einer Wohngruppe ein vor Beginn der Unterbringung erstelltes amts- bzw. vertrauensärztliches Gutachten zur Anerkennung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen notwendig war.
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2. Vorliegend ist daher entscheidend, ob bei der Tochter der Kläger eine "andere Behinderung" vorlag und daher die Nachweiserfordernisse des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV zu erfüllen waren.
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a) Für den Begriff der "Behinderung" i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV ist auf § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) abzustellen (Senatsurteil vom 15. Januar 2015 VI R 85/13, BFHE 249, 114, BStBl II 2015, 586 Rz 14, m.w.N.; vgl. auch Welti in HK-SGB IX, 3. Aufl., § 2 Rz 1 und 11; Luthe, in: jurisPK-SGB IX, § 2 Rz 38 zur Bedeutung des § 2 Abs. 1 SGB IX für die gesamte Rechtsordnung bzw. für das Einkommensteuergesetz). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
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Zur Feststellung einer Behinderung i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX kann das Gesundheitsproblem grundsätzlich im Rahmen der ICD-10 beschrieben werden (Welti, a.a.O., § 2 Rz 20; so explizit auch § 35a Abs. 1a Satz 2 SGB VIII).
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Da Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 SGB VIII Kinder und Jugendliche erhalten können, deren seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit für länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist bzw. eine Beeinträchtigung zu erwarten ist, kommt im Streitfall die Anwendung des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. c EStDV wegen einer seelischen Behinderung in Betracht.
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aa) Seelisch behindert ist, wer infolge seelischer Störung in der Funktionsfähigkeit entsprechend gemindert ist. Als solche seelische Störungen kommen körperlich nicht begründbare Psychosen, seelische Störungen als Folge von Krankheit oder Verletzung des Gehirns, Anfallsleiden oder körperliche Beeinträchtigungen, Suchtkrankheiten, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen in Betracht (Welti, a.a.O., § 2 Rz 24; Neumann in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 12. Aufl., § 2 Rz 11).
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bb) Eine Behinderung nach § 2 Abs. 1 SGB IX setzt zudem eine mehr als sechs Monate sich erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Entscheidend ist insoweit nicht die seit Beginn der Erkrankung oder gar seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung abgelaufene Zeit, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung (Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 12. April 2000 B 9 SB 3/99 R, Sozialrecht 3-3870 § 3 Nr. 9).
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cc) Die (seelische) Gesundheit muss nach § 2 Abs. 1 SGB IX außerdem "von dem für das Lebensalter typischen Zustand" abweichen. Leistungseinschränkungen, die für das jeweilige Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind, stellen danach keine Behinderung dar (BTDrucks 10/3138, 16 zu § 2a des Schwerbehindertengesetzes). Gerade bei Kindern ist zur Feststellung einer Behinderung die Abgrenzung altersadäquater Gesundheitszustände notwendig. Erforderlich ist insoweit ein Vergleich der körperlichen, geistigen bzw. seelischen Fähigkeiten mit denen eines altersentsprechenden nicht behinderten Kindes (BSG-Urteil vom 12. Februar 1997 9 RVs 1/95, BSGE 80, 97).
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dd) Schließlich besteht eine Behinderung i.S. des § 2 Abs. 1 SGB IX nur dann, wenn "daher", also in Folge der seelischen Störung, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Eine seelische Störung allein genügt gerade nicht für die Annahme einer seelischen Behinderung. Hinzukommen muss vielmehr die Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft. Es kommt dabei auf das Ausmaß und den Grad der seelischen Störung an. Entscheidend ist, ob die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 1998 5 C 38/97, Buchholz 436.511 § 35a KJHG/ SGB VIII Nr. 1; Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs --VGH-- vom 4. Mai 2010 10 A 1623/09, juris; Kador in Jahn, SGB VIII, § 35a Rz 5 und 8). Hierzu ist aufgrund einer umfassenden Kenntnis des sozialen Umfelds des betroffenen Kindes oder Jugendlichen nach sozialpädagogischem und gegebenenfalls psychologischem Sachverstand zu beurteilen, wie sich die Funktionsbeeinträchtigung im Hinblick auf die Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft auswirkt. Sofern eine fachärztliche bzw. -therapeutische Stellungnahme zum Vorliegen einer seelischen Gesundheitsstörung auch Aussagen zur Frage einer (drohenden) Teilhabebeeinträchtigung umfasst, sind diese bei der Beurteilung angemessen zu berücksichtigen (Beschluss des Oberverwaltungsgerichts --OVG-- Lüneburg vom 11. Juni 2008 4 ME 184/08, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report 2008, 792).
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b) Ob im Einzelfall eine Behinderung vorliegt, hat das FG --nach Maßgabe des oben benannten Rechtsmaßstabs und-- aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (vgl. Senatsurteil vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9, zur Auslegung des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV).
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3. Im Streitfall tragen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht dessen Würdigung, dass die Tochter der Kläger an einer "anderen (seelischen) Behinderung" litt.
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a) Zwar ist die Würdigung des FG, dass bei der Tochter der Kläger eine Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit vorliegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) In den Befundberichten des Kinderhospitals X vom 16. Oktober 2007 und der Y Jugendklinik vom 17. April 2009 werden eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8) und die einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) diagnostiziert. Diese Befunde sind in der ICD-10 unter Kapitel V in der Kategorie "Psychische und Verhaltensstörungen", Unterkategorie "Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend" (F90-F98) aufgeführt. Die Würdigung des FG, dass die Tochter der Kläger an einer erheblichen Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit leidet, ist daher nachvollziehbar.
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bb) Nicht zu beanstanden ist auch, dass das FG die Sechs-Monats-Grenze in § 2 Abs. 1 SGB IX als überschritten angesehen hat. Aufgrund der in dem Befundbericht der Y Jugendklinik vom 17. April 2009 abgegebenen Empfehlung, dass aus "der derzeitigen Sicht" für die seelische Entwicklung der Jugendlichen ein Verbleib in der Einrichtung bis zum Ende der Schulzeit oder gegebenenfalls auch darüber hinaus sinnvoll erscheine, konnte das FG davon ausgehen, dass auch dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist.
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b) Es fehlen jedoch nachvollziehbare Feststellungen des FG zu den weiteren Tatbestandsmerkmalen des § 2 Abs. 1 SGB IX, nämlich zu den Fragen, ob die seelische Gesundheit der Tochter der Kläger von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und ob eine Teilhabebeeinträchtigung vorliegt bzw. droht.
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Ob allein aggressive Neigungen und selbstschädigende Handlungen von Kindern und Jugendlichen --wie es die Befundberichte der Tochter der Kläger attestieren-- als seelische Behinderung angesehen werden können, ist eine Frage des Einzelfalls (Kador, a.a.O., § 35a Rz 7). Bei einer hyperkinetischen Störung von Aktivität und Aufmerksamkeit (F90.0 ICD-10), die nach den Befundberichten auch bei der Tochter der Kläger vorliegt, ist die Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand der seelischen Gesundheit nur zu bejahen, wenn es als Sekundärfolge von ADHS zu einer weitergehenden seelischen Störung kommt, aufgrund derer die seelische Gesundheit des Kindes oder Jugendlichen länger als sechs Monate von dem für sein Alter typischen Zustand abweicht (Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19. September 2011 12 B 1040/11, juris; Hessischer VGH, Urteil vom 4. Mai 2010 10 A 1623/09, juris). Auch muss festgestellt werden, ob die in den Befundberichten weiterhin diagnostizierte kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8 ICD-10) eine in dem vorgenannten Sinne ausreichende weitergehende seelische Störung ist.
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Die Sache ist nicht spruchreif. Im zweiten Rechtsgang wird das FG die erforderlichen Feststellungen, gegebenenfalls unter Heranziehung bereits vorliegender Unterlagen (insbesondere der Befundberichte), Einholung eines Sachverständigengutachtens oder mittels Vernehmung der Personen, die die Tochter der Kläger untersucht und behandelt haben, treffen.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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